STRATEGIEN GESCHÄFTSMODELLE
BÄUME UND ÖL
Von oben: Kwami Williams, CEO von MoringaConnect, mit potenziellen Geschäftspartnerinnen in Ghana; ein Bauer mit einem Instrument, das Moringa- Connect ihm zur Ver- messung seines Landes zur Verfügung gestellt hat; Williams und COO Emily Cunningham bei einem ihrer ersten Besuche in Ghana.
KONSUMPOTENZIALE AUFDECKEN
Die zugleich schwierigste und wichtigste Eigenschaft der marktbildenden Innovatoren, die wir untersucht haben, ist ihre Fähigkeit, latente Konsumpotenziale zu erschließen. Sie spüren Bedürfnisse auf, die potenzielle Konsumenten nur schwer befriedigen können, und entwickeln Lösungen und Geschäftsmodelle, mit denen sich dieser Bedarf stillen lässt. Diese Innovatoren betrachten die Welt mit anderen Augen – sie suchen nach Dingen, die nicht konsumiert werden. Diese Haltung mag Unternehmern leichter fallen, die in der regionalen Kultur verwurzelt sind. Wir sind aber überzeugt, dass sie auch erlernt werden kann. Wir haben vier Strategien identifiziert, die jeder anwenden kann, der ein starkes langfristiges Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum anstoßen möchte.
1. Unzufriedenheit erkennen
Latente Konsumpotenziale gibt es, weil – ganz elementar betrachtet – den Konsumenten ein Angebot fehlt, das ein wesentliches Bedürfnis erschwinglich und praktikabel erfüllen kann. Womöglich verhindert ihre eigene Trägheit, dass sie versuchen, sich das Leben durch ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung leichter zu machen. Oder es sind die Eigenschaften eines vorhandenen Angebots, die ihnen Sorgen oder gar Angst bereiten.( Ein Beispiel: Dienste, die nutzungsabhängig abgerechnet werden, um einen hohen Anschaffungspreis zu umgehen, könnten bei potenziellen Anwendern die Furcht vor einer unerwartet hohen Rechnung wecken.)
Der Wunsch, etwas Wichtiges zu erledigen, kann, im Zusammenspiel mit den Eigenschaften eines neuartigen Produkts, die Entschlusskraft fördern. Wenn Konsumenten etwas als mühsam und anstrengend empfinden, signalisieren sie das mit deutlichen emotionalen Markern wie Zorn, Enttäuschung oder Angst. Diese Marker durch ethnografische Untersuchungen oder Feldforschung zu erkennen ist eine der wirkungsvollsten Methoden, um vollständig oder teilweise brachliegende Konsumpotenziale aufzudecken.
ckelt, der für zwei Dollar verkauft werden soll und zu Hause eingesetzt werden kann. Damit sind die Menschen fortan nicht mehr gezwungen, eine womöglich weit entfernte Klinik aufzusuchen, um sich einer komplizierten und kostspieligen Diagnostik zu unterziehen. Das Unternehmen hat bereits das Grundstück erworben, auf dem ein Produktionswerk entstehen soll, und will bis Mitte 2017 die ersten 2,3 Millionen Testsets fertiggestellt haben. Wie Tolaram hat es zudem begonnen, eine integrierte Wertschöpfungskette zu entwickeln.
2. Auf Provisorien achten
Wenn es Verbrauchern an erschwinglichen, leicht zugänglichen Angeboten fehlt, beginnen sie Behelfslösungen – auch „ Lifehacks“ genannt – zu entwickeln. In Afrika sind sie allgegenwärtig, weil viele konventionelle Produkte oder Dienstleistungen für die meisten Menschen schlicht zu teuer sind. Wenn Unternehmer verstehen, welche Vorteile solche Behelfslösungen haben und welche Kompromisse sie erfordern, können sie neue Antworten auf bestehende Konsumdefizite geben.
Ebendas gelang dem indischen Mischkonzern Godrej mit der Entwicklung eines Billigkühlschranks für Indiens Landbevölkerung. Zu den Behelfslösungen, mit denen die Menschen die fehlende Kühlung kompensierten, gehörten der traditionelle Tontopfkühler und die fest etablierte Gewohnheit, täglich einzukaufen und zu kochen.
64 HARVARD BUSINESS MANAGER JULI 2017