HARVARD BUSINESS MANAGER MAGAZINE Harvard_Business_Manager__Juli_2017 | Page 63

über 7500 Mitarbeiter, hat eine Wertschöpfungskette mit 1000 exklusiven Handelspartnern und 600 000 Einzelhändlern geschaffen und erwirtschaftet einen jährlichen Umsatz von fast einer Milliarde US-Dollar, wovon rund 100 Millionen Dollar als Steuerzahlungen an den nigerianischen Fiskus fließen. Mittlerweile baut das Unternehmen in Nigeria auch Märkte für andere schnell umschlagende Konsumgüter wie Bleichmittel und Pflanzenöl auf. Bevor Tolaram seine Haushaltsbleiche „ Hypo“ auf den Markt brachte, nutzten weniger als 5 Prozent der Nigerianer Bleichmittel zum Wäschewaschen. Dank seiner breit aufgestellten Produktionsanlagen und Vertriebskanäle konnte Tolaram diesen Markt versechsfachen und erreicht heute 30 Prozent der Bevölkerung. Jetzt plant der Konzern, diesen Erfolg mit Pflanzenöl zu wiederholen.
Hätte sich Tolaram für den konventionellen Ansatz entschieden und in die aufstrebende Mittelklasse investiert, hätte der Konzern wohl kein jährliches Wachstum von 36 Prozent erreicht – in einem selbst geschaffenen Markt und über 15 Jahre hinweg. Und hätte er mit seinen Investitionen gewartet, bis die nigerianische Regierung oder internationale Entwicklungsorganisationen die größten Infrastrukturprobleme beseitigt hätten, würde der Konzern heute keine Geschäfte in Nigeria machen. Tolaram internalisiert die Risiken, die andere in Nigerias Wirtschaftsumfeld beklagen.
Der wohl offensichtlichste Beleg für diese Strategie ist der Bau eines neuen Hochseehafens in Lekki im Bundesstaat Lagos. Der Containerhafen wird durch eine 1,5 Milliarden Dollar schwere öffentlich-private Partnerschaft entwickelt und betrieben, die unter der Führung der Tolaram- Gruppe steht. Tolarams ehemaliger strategischer Leiter für Afrika, Ankur Sharma, fass te diese Philosophie der Selbstständigkeit im Februar 2016 zusammen: „ Wenn wir einen neuen Markt schaffen, sorgen wir für alles, was für unseren Erfolg nötig ist. In einigen Ländern haben wir Kraftwerke gebaut, in anderen haben wir Millionen in die Logistik gesteckt, nur um unsere Produkte von der Fabrik zum Händler zu transportieren. So setzen wir unser Leitbild einer starken Integration entlang der Wertschöpfungskette um, womit wir unsere Zukunft und die Kostenentwicklung selbst kontrollieren können. Wir fühlen uns jedem unserer Märkte verpflichtet und werden alles unternehmen, um dort erfolgreich zu sein.“
MORINGA-BÄUME FÜR GHANA
Mittlerweile betreibt Tolaram seit bald 30 Jahren eigene Werke in Nigeria – und immer mehr Startups ahmen seine Strategie nach. MoringaConnect beispielsweise ist ein Unternehmen in Ghana, das vor drei Jahren vom Raumfahrtingenieur und MIT-Absolventen Kwami Williams sowie von
ARCHIV
The Fortune at the Bottom of the Pyramid
C. K. Prahalad, Stuart L. Hart
Mit ihrem bahnbrechen- den Artikel und einem gleichnamigen Buch brachten C. K. Prahalad und Stuart L. Hart 2002 das Konzept des „ Bottom of the Pyramid“ einer breiten Leserschaft nahe. Die Autoren plädieren dafür, die Ärmsten der Welt in die unternehmerische Wertschöpfung ein- zubinden – als Kunden, Lieferanten oder Distributoren. So können Unter- nehmen Gewinne machen und gleichzeitig die Armut bekämpfen.
Der Artikel ist online kostenlos zugänglich: bit. ly / 2q8KlTP
Emily Cunningham, einer Entwicklungsexpertin mit Harvard-Ausbildung, gegründet wurde. Es versorgt ghanaische Bauern mit Saaten, Dünger, Schulungen und Finanzierungsmitteln für den Anbau des Moringa- oder Meerrettichbaums, eines äußerst widerstandsfähigen und zugleich schnell wachsenden Baums mit sehr nährstoff- reichen Blättern, die seit Jahrhunderten als Heilmittel genutzt werden. Seit der Gründung hat MoringaConnect 1600 Bauern in sein Programm aufgenommen; Hunderte weitere stehen auf der Warteliste. Das Unternehmen hat 250 000 Moringa-Bäume in Nordghana gepflanzt und das Einkommen der Bauern bis zum Zehnfachen ge- steigert. Zu seinen größten Kunden zählt der amerika nische Onlinekosmetik-Aboservice Birchbox, der Moringa-Öl für seine Haar- und Hautpflegeprodukte verwendet. 2016 dürfte der Umsatz von MoringaConnect fast eine Million Dollar erreicht haben.
Ursprünglich wollten Williams und Cunningham die Bauern mit Maschinen zur Verarbeitung ihrer Moringa-Ernte ausstatten. Doch bald wurde ihnen klar, dass dies nicht ausreichte, um einen neuen Markt zu schaffen. Also nutzen sie Integration, um die Kosten zu senken. MoringaConnect setzt sich bewusst über Marktforschungsergebnisse hinweg, nach denen sich das Wachstum der Mittelschicht in Afrika verlangsamt, die Korruption auf dem Kontinent allgegenwärtig ist und die Verschuldung Ghanas stark ansteigt. Stattdessen sehen die Firmengründer hier die Chance, mit einer natürlichen Ressource zu arbeiten, die den Bauern – und letztlich dem gesamten Land – enormen Wohlstand bescheren kann.
Zwei weitere afrikanische Unternehmen, die diese Strategie verfolgen, sind M-KOPA und Fyodor Biotechnologies. Solarleuchtensets sind das Geschäft der kenianischen Firma M-KOPA. Nicht einmal 30 Prozent der Kenianer haben Zugang zur Stromversorgung. Aus Sicht der Gründer von M-KOPA eröffnet das ähnlich vielversprechende Geschäftschancen wie im Fall von M-PESA, einem Unternehmen, das 2007 in Kenia die Revolution der mobilen Zahlungssysteme angestoßen hat. Als dieser Beitrag geschrieben wurde, hatten die Sets von M-KOPA bereits in mehr als 400 000 Haushalte Einzug gehalten, und jeden Tag kommen im Schnitt weitere 550 dazu. Das Unternehmen hat 100 Kundenservicezentren in ganz Kenia und rund 2500 Jobs geschaffen. Obwohl die Weltbank Kenias Wirtschaftswachstum als „ allenfalls mäßig“ bezeichnet, ist es M-KOPA gelungen, einen Markt mit Hunderttausenden Menschen entstehen zu lassen, die von staatlichen Infrastrukturprojekten vergessen wurden und sich nun die Solarleuchten ins Haus holen.
In Nigeria hat die Firma Fyodor Biotechnologies einen Urintest zur Erkennung von Malaria entwi-
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