Buffalos Head to Head Lake Nakuru, 2011, aus der Serie „ Across the Ravaged Land Pt. 2“; Fotografie von Nick Brandt, Courtesy of Galerie Camera Work, Berlin
wenn Führungskräfte auf alles eine Antwort haben wollen, bleiben sie auf gewohntem Terrain. Manchmal ist das nötig und angemessen. Wenn sie aber Wissenslücken aufdecken wollen, müssen sie mit dieser Gewohnheit brechen.
Bettinger geht immer davon aus, dass er in vielen Dingen falschliegt. „ Der Unterschied zwischen erfolgreichen und erfolglosen Managern liegt nicht in der Qualität ihrer Entscheidungs- findung“, sagt Bettinger. „ Jeder trifft vermutlich in 60 Prozent der Fälle gute und in 40 Prozent schlechte Entscheidungen, vielleicht ist die Ver- teilung sogar 55 zu 45 Prozent. Der Unterschied besteht darin, dass erfolgreiche Manager schlechte Entscheidungen schneller als solche erkennen und korrigieren, während erfolglose Manager häufig an ihrem Standpunkt festhalten und versuchen, die anderen davon zu überzeugen, dass sie recht haben.“
Wenn Sie wirklich überzeugt sind, dass die besten Manager sich von mittelmäßigen Kollegen vor allem darin unterscheiden, wie schnell sie eigene Fehleinschätzungen erkennen, dann werden Sie aktiv nach Situationen Ausschau halten, in denen Sie sich irren. Ich habe den Visionär Stewart Brand, Erfinder des „ Whole Earth Catalog“ und Gründer der Onlinecommunity „ The Well“, nach dem Geheimnis seiner Kreativität gefragt. Er sagte mir: „ Jeden Tag frage ich mich: ‚ Bei wie vielen Dingen liege ich völlig daneben?‘“ Als ich diese Anekdote im Lauf des Projekts dem SAP-Mitgründer Hasso Plattner erzählte, beugte er sich nach vorn und sagte: „ Das ist genau der Gedanke, mit dem auch ich jeden Morgen aufwache!“
Innovationen sind immer mindestens implizit mit der Erkenntnis verbunden, dass Sie sich irgendwo geirrt haben. Robin Chase gründete Zipcar, nachdem sie Carsharing in Europa erlebt und erkannt hatte, dass die Annahme, jeder müsse ein eigenes Auto haben, in der amerikanischen Gesellschaft ein enormes Maß an Verschwendung ver- ursacht hatte. Das ist die positivste Form, einen Fehler zu erkennen, denn sie verweist auf eine Chance. Meistens erkennen Unternehmen fehl- geleitete Annahmen erst, wenn ein bedrohlicher neue Wettbewerber auftaucht oder die Unzulänglichkeit langjähriger Praktiken zu schmerzlichen Verlusten führt.
Für Manager stellt sich die Frage, wie sie mit der Vorstellung umgehen sollen, dass sie auch irren können. Ed Catmull, Präsident der Trickfilmstudios Pixar und Disney Animation, hat es sich zur Gewohnheit gemacht, bei Orientierungsveranstaltungen für neue Mitarbeiter öffentlich zu erklären, dass er nicht auf alles eine Antwort hat. „ Ich spreche über die Fehler, die wir gemacht, und die Lektionen, die wir gelernt haben. … Wir wollen nicht, dass die Leute davon ausgehen, dass wir alles richtig machen, nur weil wir erfolgreich sind“, zitiert ihn ein Artikel der Harvard Business Review von 2008. Catmull akzeptiert nicht nur, dass Mitarbeiter sich irren, er ermutigt sogar zu Fehlern: „ Fehler so schnell wie möglich zu machen bedeutet eine steile Lernkurve“, schrieb er in seinem Buch „ Creativity, Inc.“( auf Deutsch erschien das Buch 2014 unter dem Titel „ Die Kreativitäts-AG“).
Sara Blakely, Gründerin und CEO von Spanx, feiert Fehlschläge regelrecht, damit die Mitar- beiter daraus lernen können. Bei einer Betriebsversammlung sprach sie kürzlich öffentlich über eine Reihe von peinlichen Schnitzern, die ihr persönlich seit der Gründung von Spanx unterlaufen sind. Drury wiederum hat eine ganz andere und eigene Methode, zu hinterfragen, was er und andere Branchenveteranen denken. „ Ich bin ein großer Verfechter der George-Costanza-Managementtheorie“, sagte er mir. Damit bezieht er sich auf eine berühmte Folge der TV-Serie „ Seinfeld“, in der der unglückselige George sich vornimmt, nach folgendem Prinzip sein Leben zu ändern: „ Wenn jeder Instinkt, den du hast, falsch ist, dann musst du ja richtig liegen, wenn du das genaue Gegenteil tust.“ Drury weiß, dass Xero seine viel größeren Wettbewerber nach deren Regeln nicht schlagen kann – das Unternehmen muss sie mit einem anderen Ansatz überlisten. Deshalb fragt er: „ Was ist das genaue Gegenteil dessen, was ein etablierter Anbieter von uns erwartet?“ Das muss wohl seine Überlegung gewesen sein, als er 2005 alles auf die Cloud setzte, während die Branche sich noch vollständig auf traditionelle, lokal installierte Software verließ.
Diese Übung ist oft amüsant, verweist aber auf eine ernste Tatsache. Viele müssen erst die Angst überwinden, ahnungslos zu wirken, bevor sie es gut finden können, sich zu irren. Adrian Wooldridge, der in einer Kolumne für das Wirtschaftsmagazin „ The Economist“ Woche für Woche in- telligente Dinge schreibt, hat sich dies beim legendären Bob Woodward abgeschaut, einem der beiden Journalisten, die den Watergate-Einbruch aufdeckten. Woodward stellte fast schon peinlich grundlegende Fragen, die ihn völlig uninformiert aussehen ließen. Aber Wooldridge erkannte, was Woodward damit bezweckte: Wenn Fragen nicht in eine klare Richtung deuten, ist die Wahrscheinlichkeit größer, Dinge zu erfahren, nach denen man eigentlich gar nicht gefragt hat.
Narayana Murthy, ein weiterer Mitgründer von Infosys, legt den Mitgliedern seines Topteams einen ähnlichen Fragestil nahe und sagt, sie sollen aufhören, andere beeindrucken zu wollen. „ Ich stelle klar, dass unsere Fragen möglichst einfach formuliert sein müssen.“ Dass sie dadurch weniger gebildet klingen, ist ihm egal, „ denn komplexe Sätze und Fragen bergen Bedingungen“ – das heißt, ihnen liegen Annahmen zugrunde, die die Antwort von vornherein einschränken, bevor der
JULI 2017 HARVARD BUSINESS MANAGER 37