HARVARD BUSINESS MANAGER MAGAZINE Harvard_Business_Manager__Juli_2017 | Page 26
SCHWERPUNKT KARRIERE
arbeiter hinterfragen und sich neue Perspektiven
aufzeigen. Gleichzeitig aber achtet der Konzern-
chef sorg fältig darauf, dabei nicht den falschen
Eindruck demokratischer Verhältnisse entstehen
zu lassen.
All das bedeutet nicht, dass CEOs Autokraten
oder einsame Wölfe sein sollten. CEOs, die ohne
Rücksicht auf Verluste operieren, halten sich in
der Regel nur so lange, wie ihr Unternehmen keine
andere Wahl hat, als sich dieser Schocktherapie
zu unterziehen. Sobald das Unternehmen den Kri-
senmodus verlassen hat, werden solche Chefs
wieder vor die Tür gesetzt – sie haben die Unter-
stützung ihrer Mitarbeiter oder Boardmitglieder
verloren, die die vielen Kollateralschäden nicht
mehr weiter mittragen wollen. Es ist kein Zufall,
dass die Karriere des typischen Turnaround-CEOs
aus einer Serie zwei- bis dreijähriger Gastspiele be-
steht – er löscht den Brand und zieht zur nächsten
Aufgabe weiter.
BEREIT SEIN, SICH ANZUPASSEN
Schon der Blick auf die Auswirkungen
des Brexit oder die jüngste Präsident-
schaftswahl in den USA zeigt, wie wichtig
es für Unternehmen und deren Chefs ist,
auf plötzliche Veränderungen im Umfeld
reagieren zu können. Unsere Analyse
zeigt, dass CEOs, die sich gut auf Veränderungen
einstellen können, um den Faktor 6,7 größere
Erfolgsaussichten haben. Auch die Chefs selbst
sagen uns immer wieder, wie wichtig diese Anpas-
sungsfähigkeit is t. Als wir Dominic Barton, den
Global Managing Partner von McKinsey, nach den
Eigenschaften eines starken CEOs fragten, ant-
wortete er ohne Zögern: „Er kümmert sich um
Situ ationen, die nicht im Lehrbuch stehen. Als
CEO haben Sie es immer wieder mit Situationen
zu tun, die in dieser Form schlicht noch nicht
beschrieben worden sein können. Besser also, Sie
sind bereit, sich anzupassen.“
Die meisten CEOs wissen zwar, dass sie sowohl
kurz- wie auch mittel- und langfristige Entwick-
lungen im Auge behalten müssen, doch die be-
sonders anpassungsfähigen CEOs verbringen
deutlich mehr – nämlich bis zur Hälfte – ihrer Zeit
mit der langfristigen Perspektive. Andere Füh-
rungskräfte an der Spitze widmen hingegen im
Schnitt lediglich 30 Prozent ihrer Zeit den langfris-
tigen Fragen. Wir glauben, dass ein langfristiger
Fokus besser ist, weil er Unternehmenslenkern
hilft, Signale frühzeitig wahrzunehmen und da -
rauf zu reagieren. Sehr anpassungsfähige CEOs
greifen regelmäßig auf vielfältige Informations -
kanäle zu: Sie scannen weite Netzwerke, ziehen
die unterschiedlichsten Datenquellen zurate und
finden Relevantes selbst in Informationen, die mit
ihrem Geschäft auf den ersten Blick nicht viel
zu tun haben. Dadurch entwickeln sie ein frühes
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HARVARD BUSINESS MANAGER JULI 2017
„ALS CEO HABEN SIE ES IMMER
WIEDER MIT SITUATIONEN ZU
TUN, DIE IN DIESER FORM NOCH
NICHT BESCHRIEBEN WORDEN
SEIN KÖNNEN. SEIEN SIE BEREIT.“
Gespür für Veränderungen und bilden Strategien
dafür heraus.
Zudem begreifen anpassungsfähige CEOs Rück-
schläge als festen Bestandteil jedes Kurswechsels
und sehen Fehler als Chance, zu lernen und zu
wachsen. In unserer Stichprobe hatten CEOs, die
Rückschläge als Fehlschläge auffassten, eine um
50 Prozent geringere Erfolgsquote. Erfolgreiche
CEOs würden Ihnen dagegen unbeeindruckt alle
möglichen sachlichen Gründe vorlegen, wo und
weshalb sie ihr Ziel nicht erreicht haben, und
Ihnen konkrete Beispiele nennen, wie sie ihr Vor-
gehen geändert haben, um beim nächsten Mal
erfolgreicher zu sein. Ebenso hatten angehende
CEOs mit dieser Einstellung (die Carol Dweck von
der Stanford University als „wachstumsorientierte
Haltung“ bezeichnet) höhere Chancen auf einen
Platz an der Unternehmensspitze: Fast 90 Prozent
der aussichtsreichen CEO-Kandidaten, die wir
analysiert haben, erhielten gute Werte für ihren
Umgang mit Rückschlägen.
ZUVERLÄSSIG ERGEBNISSE ABLIEFERN
So banal es vielleicht klingen mag – die
Fähigkeit, zuverlässig gute Leistung zu
erbringen, war die vielleicht aussage-
kräftigste der vier essenziellen CEO-Ver-
haltensweisen. In unserer Stichprobe
gelangten CEO-Kandidaten mit hohen
Zuverlässigkeitswerten mit doppelt so hoher
Wahrscheinlichkeit auf diese Position und zählten
dort mit 15-facher Wahrscheinlichkeit zu den Er-
folgreichen. Boards und Investoren schätzen eine
ruhige Hand, und Mitarbeiter vertrauen vorher-
sagbaren Unternehmensführern.
Führungskräfte sind sich der großen Bedeutung
dieser Zuverlässigkeit häufig – und zum eigenen
Nachteil – nicht bewusst. Simon, ein vielverspre-