Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Bayern | Page 18

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Bayern 18 Zur Erklärung rechtsextremer Gewalt und ethisch-kultureller Konflikte wird die Desintegration von Anhut und Heitmeyer (2000) als wichtigster Faktor identifiziert. Hintergründe für die Prominenz der Desintegrationstheorie in der GMF-Forschung sind die zunehmende funktionale Differenzierung, Individualisierungsprozesse und Enttraditionalisierung moderner Gesellschaften. Diese Phänomene können zum Verlust überindividueller Norm- und Wertvorstellungen führen und weniger anpassungsfähige Menschen gesellschaftlich desintegrieren (Ganter/Esser, 1999). Die Folgen sind Wettbewerbssituationen mit Minderheiten, die ebenfalls – aus unterschiedlichen Gründen – nicht in der Lage sind, gesellschaftliche oder individuelle Anerkennung zu erlangen. So ist diesen Minderheiten zum Beispiel oft der Zugang zu statushöheren Berufen verweigert, was in meritokratischen Gesellschaften jedoch ein wesentliches Element für Anerkennung darstellt. Strobl (2001) erklärt die Hinwendung zu rechtsextremen Orientierungen von desintegrierten Individuen durch die dort vorherrschende Überzeugung der Überlegenheit und den damit verbundenen Angeboten für Anerkennungsdefizite. Die Desintegrationstheorie überschneidet sich hierbei mit der im vorherigen Kapitel erläuterten Deprivationstheorie: Durch Abwertung von Minderheiten kompensieren betroffene Individuen ihre eigene negative Situation. Es müssen deshalb andere soziale Handlungen gewählt werden, um Anerkennung zu erlangen, was in der folgen Abbildung gezeigt wird. Abbildung 6: Desintegration und GMF Gesellschaftl. Desintegration Wettbewerbssituation mit anderen "Außenseitern" Feindliche Einstellungen geg. Minderheiten Nach Endrikat et al. (2002) kann die (Des-)Integration in drei Dimensionen eingeteilt werden: sozial-strukturell, institutionell und sozial-emotional. Die sozial-strukturelle Dimension beinhaltet die „Teilhabe an materiellen und kulturellen Gütern“ (ebd., S.41), um prekäre Situationen zu verhindern. Somit ist zum Beispiel Arbeitslosigkeit eine Gefahr für den individuellen Lebensstandard, aber auch für die berufliche Anerkennung, was beides zu gesellschaftlicher Desintegration führen kann. Bei der institutionellen Dimension geht es primär um die individuelle politische Partizipation. Diese Dimension wird auch durch die Theorie zu politische Kultur und Institutionen (nächstes Kapitel) abgedeckt und dort vertieft erläutert. Die letzte Dimension (sozial-emotional) fokussiert die „Erfahrung sozialer Unterstützung“ (ebd., S.43). Menschen, die nicht in ein soziales Netz aus Freunden, Kollegen, Bekannten oder Familienmitgliedern eingebunden sind, können sich sozial isoliert fühlen. Eine Folge könnte hierbei die Entwicklung menschenfeindlicher Mentalitäten sein. In der Regressionsanalyse (Kapitel 6.3) wurden für die Überprüfung der Desintegrationstheorie