Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Bayern | Page 17

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Bayern 17
vorkamen, unzufriedener mit ihrer Position waren, als seltener beförderte Militärpolizisten. Das Konzept der( relativen) Deprivation ist ein Ansatz, um diese scheinbar paradoxen Phänomene zu beschreiben und zu verstehen. Im Fokus stehen hierbei die subjektiv wahrgenommenen Diskrepanzen zwischen gefühltem Anspruch und tatsächlicher Situation( Kessler / Harth, 2008). Walker und Smith( 2002) fassen die Ausganslage der Deprivationstheorie deshalb wie folgt zusammen: durch den subjektiven Vergleich mit anderen Mitmenschen kann die Wahrnehmung entstehen, benachteiligt zu sein.
Ausgehend von dieser Basis, also der Diskrepanz zwischen subjektivem Anspruch und tatsächlichen Umständen durch das Anstellen von Vergleichen, ergeben sich eine Vielzahl von Ausprägungen der Deprivationstheorie. So teilen Kessler und Harth( 2008) die Deprivation in kognitive vs. emotionale, sowie individuelle vs. kollektive Komponenten ein. Rippl und Baier( 2005) haben diese Einteilung um die Komponenten absolut vs. relativ, objektiv vs. subjektiv, Erwartungen vs. Zustände und strukturell vs. institutionell vs. sozial erweitert. Zusätzlich gibt es Analysen, die nur von individueller relativer Deprivation und fraternaler bzw. kollektiver Deprivation ausgehen( vgl. Wolf et al., 2006). In dieser Studie konzentrieren wir uns auf räumliche kollektive Deprivation und auf subjektive individuelle relative Deprivation( siehe Kapitel 6.3). Im Detail ist die Deprivationstheorie also nicht eindeutig definiert und auch schwer abgrenzbar zu anderen Erklärungsansätzen, wie der Desintegrationstheorie( Rippl / Baier, 2005). Diese scheinbare Schwäche birgt in sich jedoch die Stärke der Offenheit für eine Vielzahl von Mechanismen, mit deren Hilfe gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit erklärt werden kann, was in der folgenden Abbildung vereinfacht dargestellt ist.
Abbildung 5: Problemstellung der Deprivationstheorie
Deprivation
( tatsächlich oder perzipiert)
Unzufriedenheit
Phänomene sozialen Handelns, z. B. GMF
3.5 Desintegrationstheorie
Robert Merton hat in seinen Überlegungen zu Anomie und Sozialstruktur( 1938) die Bedeutung von Desintegrationsprozessen für das Entstehen abweichenden Verhaltens beschrieben. Nach Merton entstehen Desintegration und Anomie dann, wenn Individuen eine Diskrepanz zwischen den kulturell anerkannten und internalisierten Werten und den ihnen zur Erreichung dieser Werthaltungen zur Verfügung stehenden Mittel erleben( Merton, 1938).