FahrRad 2/2013 | Page 34

Radreise
ten zu erreichen . Verpflegung musste mitgebracht werden . Brandschutz und Rettungswege entsprachen den Standards vergangener Jahrhunderte , und der Schlafkomfort war ein Gedanke , den hier niemand wirklich zuließ , um nicht in Depression zu verfallen . Dass kein Handy­Signal vorhanden war , ist eher ein Luxusproblem angesichts geradezu lebensbedrohender Zustände in Räumen und Treppenaufgängen , mit Auf­Putz­ Verkabelungen , in denen man sich nachts durchaus erhängen konnte . Dieses Etablissement würde sicher auf dem Konti­nent nicht eröffnet werden ; in GB scheinen auch unter den Gästen mangelnde Hygiene , fehlenden Komfort und nicht vorhandenen Service für Kennzeichen von alternativer , nachhaltiger Wirtschaft zu gelten , weshalb sich Reisende tunlichst nur hörend an der Konversation in eisiger Raumtemperatur beteiligt . Die Straßen hingegen sind sicherer als in Deutschland , wenn auch die Radspuren oft genau in dem Teil des Profils verlaufen , in dem sich die gröbsten Frostaufbrüche befinden . Wohltuend macht sich der Verzicht der Briten auf schulmeisterliches Verhalten bemerkbar , das so typisch für uns Deutsche ist . Lastwagenfahrer verhalten sich äußerst partnerschaftlich und bieten bei Gelegenheit sogar eine Mitfahrgelegenheit an , die man nur schweren Herzens ablehnen kann : „ Thanks , but – no , thanks !“ Pubs und Geschäfte am Straßenrand machen das Leben leichter , wenn es um die Energiezufuhr geht . Und jedermann hilft dem unsicheren Reisenden mit Ratschlägen und Hinweisen . Hilfreich ist ebenso , dass in nahezu allen Geschäften , öffentlichen Einrichtungen und Gaststätten frei zugängliches Internet ins Smartphone kommt . Öffentliche Konso­ len für den Internetzugang sind allerdings Mangelware und zumeist auf Hotels , Touristenbüros und Bibliotheken beschränkt .
Ein besonderes Highlight war das gegenseitige Wiedererkennen mit einem ehemaligen Angestellten der Heilsarmee in Hemer , der mir zwischen 1980 und 1993 wöchentlich das Programmheft für das TV­Programm der britischen Truppen verkauft hatte , und der sich an einen der wenigen deutschen Kunden noch recht gut erinnerte .
Der Autor , links , mit alten Bekannten
Wer in GB übrigens sein Rad mit in den Zug nimmt , muss zwar auf die komfortablen Fahrradabteile der DB verzichten , zahlt aber dafür kein zusätzliches Fahrgeld für sein Velo . Schließlich zeigte , am zehnten Tag und nach mehr als 700 Kilometern , ein zweisprachiges Schild die Grenze zwischen England und Wales an . Es zeigt sich , dass „ Welsh “ keineswegs ein Dialekt des Englischen ist , sondern eine selbständige , keltische Sprache , die seit Jahrzehnten wieder von einer wachsenden Zahl von Menschen genutzt und gesprochen wird . Sie ist Schulfach über die Grenzen von Wales hinaus , ebenso wie die Tradition der walisischen Männerchöre weit über die britischen Inseln hinaus zur Legende geworden ist .
Das Straßenbild wird zunächst von
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