Edelstahl Aktuell Oktober 2024 | Page 13

PORTRÄT

Im Porträt : Dr . Gregor Graf , Head of Engineering bei Rosswag Engineering und Head of Mechanical Finishing bei Edelstahl Rosswag Metall neu gedacht – Die Zukunft der Fertigung

Gregor Graf ist ein Experte im Bereich des Metall-3D-Drucks . Seit 2014 hat er maßgeblich zur Entwicklung der additiven Fertigung bei Rosswag beigetragen . Er hat mit seiner Faszination für funktional gradierte Materialien , die Verbindung von konventioneller und additiver Fertigung und für digitale Lösungen , Effizienzsteigerungen nicht nur bei Rosswag , sondern in der ganzen Industrie vorangetrieben .
EA : Wie war Ihr Werdegang und wie sind Sie in die Edelstahlbranche gelangt ? GG : Ich habe Maschinenbau studiert und bin schon seit 2012 bei Rosswag . Damals habe ich als Praktikant in der Fertigung angefangen . Ich habe dann meine Masterarbeit über ein additiv gefertigtes Stechdrehwerkzeug mit integrierten Kanalstrukturen geschrieben , welches mittlerweile in Serie hergestellt wird . Nach Abschluss meiner Masterarbeit 2014 habe ich die Möglichkeit bekommen , bei Rosswag die Division Rosswag Engineering mit Fokus auf den Metall 3D-Druck aufzubauen . Ich war der erste Mitarbeiter in dem Geschäftsbereich und durfte nach und nach ein Team aufbauen . Mittlerweile sind wir 15 Mitarbeiter , haben drei Maschinen und eine der weltweit ganzheitlichsten Prozessketten , da wir nicht nur Bauteile , sondern auch das zugehörige Metallpulver herstellen . 2023 habe ich zusätzlich die Chance bekommen , die mechanische Fertigbearbeitung mit etwa 20 bis 25 Mitarbeitern zu übernehmen . Hier werden sowohl CNC-Finish- Zerspanung von Schmiedeprodukten durchgeführt als auch technologisch anspruchsvolle 3D-Druck-Anwendungen veredelt . Parallel dazu habe ich , damit es nicht zu langweilig wird , auch noch im Juni meine Doktorarbeit abgeschlossen ( lacht ). Dabei ging es um die funktionale Gradierung von Materialeigenschaften in der additiven Fertigung .
Edelstahl steht bei uns , wie der Name Edelstahl Rosswag schon vermuten lässt , historisch im Mittelpunkt . Daher habe ich schon meinen ganzen Werdegang mit Edelstahl und über 400 verschiedenen Werkstoffen , darunter auch Nickel- und Titanlegierungen , gearbeitet .
EA : Was macht für Sie die Faszination von Edelstahl und von Metall 3D-Druck aus ? GG : Mich fasziniert es , wie Edelstahl und 3D-Druck es ermöglichen , durch Variation der Legierungsbestandteile in Kombination mit der flexiblen Geometrie im 3D-Druck funktionale Optimierungen zu erzielen . An einer Stelle , an der , häufiger Verschleiß auftritt erhöht man die Härte , an einer Stelle , die wiederkehrender Belastung standhalten muss , verbessert man die Duktilität , damit es nicht zu Rissen oder Brüchen kommt und an einer anderen Stelle achtet man auf besonders wärmeleitende Materialeigenschaften . Dazu kommt die Flexibilität , hier einen Hohlraum zu schaffen , da einen Kanal um die Ecke zu leiten und dort 20 Einzelkomponenten , die sonst geschweißt würden , in ein Bauteil zu integrieren . Die Möglichkeit , komplexe , funktionsintegrierte Bauteile zu erstellen , die genau für eine Anwendung optimiert sind , begeistert mich . Das eröffnet völlig neue Designund Funktionsmöglichkeiten , die vielleicht 50 Prozent weniger kosten und 200 Prozent mehr Performance bieten , so schafft man wirklich einen Mehrwert .
EA : Welche Ziele möchten sie beruflich noch erreichen ? Ich bin aktuell sehr zufrieden , aber jetzt , nach Abschluss der Doktorarbeit , habe ich wieder freie Kapazitäten im Kopf für neue Ideen . Ich möchte Synergien zwischen additiver und konventioneller Fertigung vorantreiben , neue Geschäftsmodelle entwickeln und technische Lösungen für neue Branchen erschließen . Großen Fokus lege ich momentan auf die Digitalisierung , Effizienzsteigerung , das Erschließen neuer Märkte und Plattform-Ökonomie . Ich sehe großes Potenzial darin , dass Unternehmen in der Industrie besser zusammenarbeiten und ihr Wissen über digitale Plattformen teilen . Viele Unternehmen fangen bei null an und führen Tests durch , die bereits hunderte Male von anderen Firmen mit der gleichen Maschine gemacht wurden . Das ist ineffizient . Deshalb haben wir die Plattform AddiMap entwickelt . Diese Plattform ermöglicht es Unternehmen , die im Metall-3D-Druck tätig sind , ihre gesammelten Daten , wie Prozessparameter und Materialeigenschaften , zu teilen und sogar zu verkaufen . Das versetzt Unternehmen in die Lage , schneller mit der Entwicklung eigener Anwendungen beginnen zu können , ohne erst langwierige und teure Vorversuche durchführen zu müssen . Ein weiteres Ziel ist , es möglichst viel zu automatisieren und Prozesse durch digitale Workflows und KI-Anwendungen effizienter zu gestalten .
Gregor Graf . Foto : Edelstahl Rosswag
Wir möchten hierfür unter anderem flexible Standards schaffen , die auf verschiedene Bauteile übertragbar sind und streben einen „ digitalen Co-Pilot “ an , der den Mitarbeitenden relevante Informationen und Daten wie Arbeitsanweisungen , Messprotokolle , Montage- und Zerspanungsvorgaben zur richtigen Zeit zur Verfügung stellt .
EA : Wo sehen Sie die größten Veränderungen der Branche ? In den letzten zehn Jahren hat sich in der 3D-Druckbranche viel verändert . Zu Beginn meiner Tätigkeit gab es nur etwa fünf qualifizierte Werkstoffe , und das hat uns oft vor Herausforderungen gestellt , wenn Kunden spezielle Legierungen für ihre Anwendungen brauchten . Heute sieht das ganz anders aus : Wir arbeiten mit über 50 verschiedenen Legierungen und haben sogar einen eigenen Atomizer , um Sondermetallpulver in kleinen Mengen in wenigen Tagen herzustellen . Die Branche hat auch einen realistischeren Blick auf den 3D-Druck entwickelt . Früher gab es überzogene Erwartungen , dass bald alles von Pizza zu Turbinen mit Fingerschnipsen additiv gefertigt wird ( lacht ). Heute wird der 3D-Druck vor allem dann eingesetzt , wenn er einen klaren wirtschaftlichen oder technischen Mehrwert bietet .
EDELSTAHL AKTUELL | AUSGABE 7 | OKTOBER 2024 13