+3 Magazin März 2020 | Page 9

Anzeige „VON INKLUSION UND BARRIEREFREIHEIT PROFITIEREN ALLE MENSCHEN“ Interview mit Christina Marx, Leiterin der Aufklärung bei der Aktion Mensch Ob in der Schule, im Job oder in der Freizeit: Inklusion ist in vielen Lebensbereichen noch nicht umgesetzt – und das, obwohl die UN- Behindertenrechtskonven- tion bereits vor elf Jahren in Deutschland in Kraft getreten ist. Daher setzt sich die Aktion Mensch mit Aktionen, Kampagnen und ihrer Projektförderung dafür ein, dass Inklusion in Deutschland vorankommt. von klein auf gemeinsam aufwachsen und erfahren, dass Vielfalt normal ist, werden sie auch im späteren Leben Inklusion als ganz selbstverständlich empfinden. Und zu Inklusion kann jeder ganz einfach beitragen – indem er selbst auf Menschen mit Behinderung zugeht, sich freiwil- lig engagiert oder auch ein Projekt startet. Daher sensibili- sieren wir mit unseren Kampagnen die Öffentlichkeit auch für das Thema und zeigen, dass von Inklusion und Barriere- freiheit alle Menschen in der Gesellschaft profitieren. kann auch nur ganz stark an die Arbeitgeber appellieren, einfach auf die Potenziale von Menschen mit Behinde- rung zu schauen. Zugleich muss Verschiedenheit als Nor- malität begriffen werden. Arbeitnehmer mit und ohne Behinderung müssen sich auf Augenhöhe begegnen und dürfen keine Berührungsängste haben. Eine inklusive Unternehmenskultur braucht vor allem diese Art der Begegnung und ein selbstverständlicheres Miteinander. Das muss heute vielfach erst noch gelernt werden. Wie sieht es mit der Inklusion im Arbeitsleben aus? Gibt es etwas, das Menschen mit Behinderung selbst tun können? Woran liegt es, dass Inklusion in vielen Bereichen der Gesellschaft nicht weiterkommt? Wie die Situation sich hier entwickelt, zeigt unser Inklusi- onsbarometer Arbeit, das wir jedes Jahr gemeinsam mit dem Handelsblatt Research Institute erstellen. Danach ist die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung immer noch mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung – und das, obwohl sie oft gut qua- lifiziert sind. Insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit ist bei Menschen mit Behinderung ein großes Problem. Sie sind im Durchschnitt rund 100 Tage länger arbeits- los als Menschen ohne Behinderung. Allerdings gibt es auch kleine Erfolge, etwa, dass 1,27 Millionen Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt aktiv sind. Es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die verhindern, dass es eine gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit und ohne Behinderung gibt. Das können fehlende gesetzliche Rahmenbedingungen sein, bürokratische Hürden oder Personal- und Geldmangel wie etwa im Bildungsbe- reich. Häufig sind es aber eher die Barrieren im Kopf, die Inklusion aufhalten – etwa, weil es Berührungsängste gibt, man sich im Alltag zu wenig begegnet und weil die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung daher nicht mitgedacht werden. Was kann man tun? Wie müsste für Sie die Unternehmenskultur der Zukunft aussehen, um eine vollständige Inklusion zu erreichen? Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass Inklusion bereits im Kin- desalter vermittelt und gelernt werden muss. Wenn Kinder Eine solche Unternehmenskultur muss den Menschen und seine Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellen. Ich Was sagt ein Arbeitnehmer? Dennis Winkens arbeitet als Online-Redakteur für eine Firma in Remscheid. Er ist Tetraplegi- ker, lebt also mit einer Form der Querschnitts- lähmung und benötigt für seinen Beruf einen entsprechend gestalteten Arbeitsplatz sowie technische Hilfsmittel. Woran scheitert Inklusi- on oft? „Wenn ein völlig normales und unvor- eingenommenes Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung stattfindet, ist das für mich gelungene Inklusion. Ich finde, dass hier öfter der Fokus darauf liegen sollte, welche Din- ge jemand gut kann, und nicht vorwiegend darauf, welche Defizite sie oder er mitbringt. Jeder sollte die Möglichkeit haben, seinen Fähigkeiten entsprechend ar- beiten zu können, egal, ob er oder sie nur eine Hand hat, im Rollstuhl sitzt oder ein anderes Handicap hat.“ Sie müssen sich auf jeden Fall zutrauen, sich auf Stellen des ersten Arbeitsmarktes zu bewerben. Dabei sind un- sere Sondersysteme mit den Förderschulen zurzeit noch ein Hemmschuh. Ich habe aber die Hoffnung, dass mit einem zunehmend inklusiven Bildungssystem auch die- se Hürde immer häufiger überwunden wird. Wie kann Digitalisierung zu mehr Inklusion beitragen? Technische Hilfsmittel und digitale Angebote ermöglichen Menschen mit Behinderung, sich besser am Arbeitsprozess beteiligen zu können: Denn unterstützende Technologien können zum Beispiel dabei helfen, Barrieren zu überwin- den. Aber es gibt auch Risiken: Automatisierung führt dazu, dass viele Jobs in Zukunft wegfallen können – beispiels- weise, wenn immer leistungsfähigere Roboter Aufgaben übernehmen. Was sagt ein Arbeitgeber? Der Online-Redakteur Dennis Winkens bei einem Hackathon der Aktion Mensch. Die Firma BOHRMA Maschinenbau aus dem hessischen Fulda baut große Bohrsysteme für den Tiefbau, zum Bei- spiel für Tunnelarbeiten. Das Unternehmen macht gute Erfahrungen mit der Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung. Worauf kommt es an? „Mitarbeiter mit Handicap sind bei uns ganz normal in die Produkti- on integriert“, sagt Betriebsleiter Florian Witzel. „Es kommt darauf an, den richtigen Ar- beitsplatz für den richtigen Menschen zu finden. Zu Beginn mussten einige Berührungsängste und Vorurteile überwunden werden“, räumt Wit- zel ein. „Inzwischen aber wirkt sich die Vielfalt der Belegschaft Tage, die Arbeitslose mit positiv auf das Betriebsklima aus Schwerbehinderung länger und strahlt nach außen.“ Ø 100 nach einer Beschäftigung suchen Über die Aktion Mensch e. V. Die Aktion Mensch e. V. ist die größte private Förderorganisation im sozialen Bereich in Deutschland. Seit ihrer Gründung im Jahr 1964 hat sie mehr als vier Milliarden Euro an soziale Projekte weitergegeben. Ziel der Aktion Mensch ist, die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung, Kindern und Jugendlichen zu verbessern und das selbstverständliche Miteinander in der Gesell- schaft zu fördern. Mit den Einnahmen aus ihrer Lotterie unterstützt die Aktion Mensch jeden Monat bis zu 1.000 Projekte. Möglich machen dies rund vier Millionen Lotterieteilnehmer. Zu den Mitgliedern gehören: ZDF, Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie, Paritätischer Gesamtverband und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Seit Anfang 2014 ist Rudi Cerne ehrenamtlicher Botschafter der Aktion Mensch. Mehr Informationen unter: www.aktion-mensch.de