+3 Magazin März 2020 | Page 8

+1 8 Steffen Willwacher, Institut für Biomechanik und Orthopädie, Deutsche Sporthochschule Köln Höher, schneller, weiter Bein-Prothesen, die speziell für die Teilnahme an sportlichen Wett- kämpfen verwendet werden, ermög- lichen es heutzutage, dass Menschen nach einer oder mehreren Amputa- tionen gemeinsam mit Nichtampu- tierten trainieren und oft auch an gemeinsamen Wettkämpfen teilneh- men können. Als in den 1970er-Jah- ren die ersten Wettkämpfe für Sport- ler mit Amputationen durchgeführt wurden, kamen noch rigide Prothe- sen aus Metall und Holz zum Einsatz. Heute stehen sehr leichte, elastische Carbon-Materialien zur Verfügung, die aber auch gerne mal mehr als 10.000 Euro kosten können. Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass jede Prothese eine Einzelanfertigung ist. Erfahrene Orthopädie-Mecha- niker müssen für jeden Sportler die Schaftelemente aus Carbon unter Berücksichtigung der individuellen Anatomie an das verbliebene Bein anpassen. Dies ist auch notwendig, da sehr hohe Kräfte und damit ho- her Druck am Übergang zwischen Prothese und biologischem Bein wir- ken. Im paralympischen Sport müs- sen die Prothesen passiv sein, dürfen also keinen Motor oder Elektronik beinhalten. Weiterhin ist die Länge der Prothesensysteme begrenzt. Die Prothesenhersteller und Orthopädie- techniker versuchen daher über eine Optimierung der Form und die Ver- ringerung des Gewichts sowie durch eine noch optimalere Ausrichtung des Prothesenbeins, die Leistung der Sportler weiter zu verbessern. Dimitri Habermann, Leser Barriere im Kopf In meinem Umfeld werden die Begriffe Inklusion und Integration oftmals für das gleiche gehalten. Aber das stimmt nicht. Denn nur, weil jemand integriert ist, heißt das noch lange nicht, dass er auch uneingeschränkte gesellschaftli- che Teilhabe genießt. Ohne Inklusion bleibt er erst einmal der Andersartige. Oftmals wird die Forderung nach Inte- gration auch als Aufforderung an die- jenigen, die sich integrieren sollen, ver- standen. Die Minderheiten sollen sich an die Mehrheit anpassen. Das hat nun wirklich gar nichts mehr mit Inklusion zu tun. Denn hier bereitet die Mehr- heit, die auch mal die ein oder andere Barriere ohne Mühe überwinden und damit tolerieren kann, den Menschen den Weg, für die diese Barrieren sehr wohl ein großes Problem sind. Das be- ginnt bei barrierefreien Zugängen zu öffentlichen Einrichtungen oder zum Arbeitsplatz und endet dort, wo es in einer Gesellschaft normal geworden und kein Problem mehr ist, irgendeine Einschränkung oder Behinderung zu haben. INKLUSION WIRKT Aber nicht jeder will den gemeinsamen Unterricht Positive Effekte schulischer Inklusion Haltung zu Inklusion im Kindes- und Jugendalter ... führt zu mehr Toleranz 94% über 75% glauben, schulische Inklusion … ... fördert ein besseres Miteinander ... wirkt sich positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern aus ... erhöht die Bereitschaft, sich sozial zu engagieren sind der Meinung, dass Kinder mit und ohne Beeinträchtigung in ihrer Freizeit die Möglichkeit haben sollten, gemeinsam aufzuwachsen. 66% befürworten dagegen nur gemeinsamen Unterricht in der Schule. Umfrage unter › Quellen: Aktion Mensch, Die Zeit, infas Antonia Petri, Leserin Eine Frage der Haltung Wir, das Jugendfreizeit- und Bil- dungswerk Karlsruhe, arbeiten seit mehr als 20 Jahren inklusiv. Durch unsere inklusiven Ferienangebote se- hen wir, wie wichtig es ist, bereits den Jüngsten unserer Gesellschaft Erfah- rungen der Inklusion nahezubringen. Deshalb haben wir zwei besondere Angebote geschaffen, die es Kindern mit erhöhtem Pflege- und Betreu- ungsbedarf möglich macht, ohne eine Einzelassistenz bei uns mitzumachen. Das „Abenteuerland“ bietet den Kin- dern einen Freiraum, indem sie spie- lerisch miteinander lernen. Respekt, Wertschätzung und Gemeinschaft sind die Schlüsselbegriffe, die sie hier erfahren. Unser zweites Angebot „Auf dem Rücken der Pferde“ gibt den Kindern die Möglichkeit, gemeinsa- me Ferien auf dem Reiterhof zu ver- bringen. Bei Reitstunden und Pferde- füttern spielt es keine Rolle, welche Einschränkungen und Bedürfnisse ein Kind mitbringt. Um diese Kon- zepte weiterzuentwickeln und nach- haltig zu gestalten, bedarf es der Re- flexion über bestehende Grenzen und Hürden, die man verändern oder gar aufbrechen muss. Deshalb besteht das Team aus Ehrenamtlichen, die mit einem hohen Betreuungsschlüs- sel und durch eine Pflegefachkraft ergänzt auch medizinische und pfle- gerische Aspekte auffangen können. Unser Resümee ist: Wir brauchen mehr Zusammenarbeit und Koope- rationen zwischen allen Akteuren, die in dem weiten Feld der Inklusi- on stehen und arbeiten. Inklusion ist erst dann gelungen, wenn man nicht (mehr) darüber sprechen muss. Theresia Degener, Professorin für Recht und Disability Studies, Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen- Lippe Warten auf die Wende In den letzten zehn Jahren sind durch jene, die Inklusion wirklich wollen, viele Wege gefunden und geebnet worden. Aber es wurden auch zahlrei- che Begründungen vorgelegt, warum Inklusion nicht machbar sei. Zwar hat sich die Zahl der Menschen, die ambulant betreut werden, verdoppelt, Adriana Fink, Leserin Eingeschränkt frei Jörg Schlömerkemper, Leser Hoch lebe die Verschiedenheit Inklusion ist der Anspruch und der Versuch, zwei Ziele miteinander zu verbinden, die zunächst kaum vereinbar scheinen: Kinder mit be- sonderem Förderbedarf sollen pä- dagogisch optimal gefördert wer- den und zugleich gleichberechtigt aufwachsen und in der Gesellschaft selbstbestimmt leben können. Aber spezielle Förderung grenzt aus. Ein gemeinsamer Unterricht aller Kin- der wird den besonderen Bedürf- nissen nicht ohne weiteres gerecht. Gelingen kann Inklusion gleich- wohl, wenn nicht alle Schülerinnen und Schüler immer gemeinsam un- terrichtet werden müssen. Hilfreich wäre zweierlei: Zum einen sollten alle – und zwar wirklich alle – Kin- der in einem eigens für sie und mit ihnen entwickelten profilorientier- ten Lernprogramm individuell an den Anforderungen wachsen, die ihren Möglichkeiten und Bedürfnis- sen entsprechen. Und zum anderen sollten sie in heterogenen Gruppen erfahren, dass sie ihre unterschiedli- chen Fähigkeiten in die kooperative Arbeit einbringen können, dass sie dabei gebraucht werden und ent- sprechende Anerkennung erfahren. Das ist nicht einfach, aber als Pers- pektive könnte es einen Ausweg zwi- schen strikt getrennt und pauschal gemeinsam aufzeigen. Ihr Name, Leserin Die Digitalisierung hat für Menschen mit Behinderung viele Barrieren abgebaut. Gehörlose können über Chats kommunizieren, blinden Men- schen helfen Sprachdienste bei der Steuerung von Geräten. Allerdings müsste Barrierefreiheit bei digitalen Angeboten noch stärker mitgedacht werden. Ein Webservice, der nur auf einem Betriebssystem läuft, schließt Nutzer aus. Schreiben Sie uns, wie Sie darüber den- ken – und teilen Sie uns Ihre Antwort mit. Vielleicht erscheinen Sie dann im nächsten Heft. eine Deinstitutionalisierung der Be- treuung fand aber nicht statt: Heute leben mehr behinderte Personen in Heimen als zum Zeitpunkt des In- krafttretens der UN-Behinderten- rechtskonvention, kurz UN-BRK, im Jahr 2008. Zwar wurden vielerorts die Schulgesetze geändert, aber bis auf wenige Ausnahmen die Vorgaben der UN-BRK gesetzlich nicht verankert. Die Inklusionsquote stieg bundesweit, jedoch sank die Exklusionsquote nur um 0,6 Prozent. Die Zahl der behin- derten Kinder, die aus dem Regel- schulsystem ausgegrenzt werden, hat sich also kaum verändert. Zwar ist die niedrigere Arbeitslosenquote bei Schwerbehinderten erfreulich, gleich- zeitig stieg jedoch die Zahl der Werk- stattbeschäftigten. Dabei schreibt die UN-BRK nicht den Ausbau, sondern den Rückbau der Werkstätten für Menschen mit Behinderung vor. Denn dies sind Sonderwelten, die behinder- te Menschen diskriminieren, Orte, an denen sie nicht einmal den Mindest- lohn erhalten und ihnen fundamen- tale Arbeitsrechte wie das Streikrecht nicht zustehen. Die rechtliche Betreu- ung wurde reformiert, aber Zwangsbe- handlung und Bevormundung bleiben erlaubt. Das Menschenrechtsmodell von Behinderung ist in Deutschland noch nicht angekommen. Was ist Ihre Meinung?