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Steffen Willwacher,
Institut für Biomechanik
und Orthopädie, Deutsche
Sporthochschule Köln
Höher, schneller,
weiter
Bein-Prothesen, die speziell für die
Teilnahme an sportlichen Wett-
kämpfen verwendet werden, ermög-
lichen es heutzutage, dass Menschen
nach einer oder mehreren Amputa-
tionen gemeinsam mit Nichtampu-
tierten trainieren und oft auch an
gemeinsamen Wettkämpfen teilneh-
men können. Als in den 1970er-Jah-
ren die ersten Wettkämpfe für Sport-
ler mit Amputationen durchgeführt
wurden, kamen noch rigide Prothe-
sen aus Metall und Holz zum Einsatz.
Heute stehen sehr leichte, elastische
Carbon-Materialien zur Verfügung,
die aber auch gerne mal mehr als
10.000 Euro kosten können. Der
Hauptgrund dafür liegt darin, dass
jede Prothese eine Einzelanfertigung
ist. Erfahrene Orthopädie-Mecha-
niker müssen für jeden Sportler die
Schaftelemente aus Carbon unter
Berücksichtigung der individuellen
Anatomie an das verbliebene Bein
anpassen. Dies ist auch notwendig,
da sehr hohe Kräfte und damit ho-
her Druck am Übergang zwischen
Prothese und biologischem Bein wir-
ken. Im paralympischen Sport müs-
sen die Prothesen passiv sein, dürfen
also keinen Motor oder Elektronik
beinhalten. Weiterhin ist die Länge
der Prothesensysteme begrenzt. Die
Prothesenhersteller und Orthopädie-
techniker versuchen daher über eine
Optimierung der Form und die Ver-
ringerung des Gewichts sowie durch
eine noch optimalere Ausrichtung
des Prothesenbeins, die Leistung der
Sportler weiter zu verbessern.
Dimitri Habermann, Leser
Barriere im Kopf
In meinem Umfeld werden die Begriffe
Inklusion und Integration oftmals für
das gleiche gehalten. Aber das stimmt
nicht. Denn nur, weil jemand integriert
ist, heißt das noch lange nicht, dass er
auch uneingeschränkte gesellschaftli-
che Teilhabe genießt. Ohne Inklusion
bleibt er erst einmal der Andersartige.
Oftmals wird die Forderung nach Inte-
gration auch als Aufforderung an die-
jenigen, die sich integrieren sollen, ver-
standen. Die Minderheiten sollen sich
an die Mehrheit anpassen. Das hat nun
wirklich gar nichts mehr mit Inklusion
zu tun. Denn hier bereitet die Mehr-
heit, die auch mal die ein oder andere
Barriere ohne Mühe überwinden und
damit tolerieren kann, den Menschen
den Weg, für die diese Barrieren sehr
wohl ein großes Problem sind. Das be-
ginnt bei barrierefreien Zugängen zu
öffentlichen Einrichtungen oder zum
Arbeitsplatz und endet dort, wo es in
einer Gesellschaft normal geworden
und kein Problem mehr ist, irgendeine
Einschränkung oder Behinderung zu
haben.
INKLUSION WIRKT Aber nicht jeder will den gemeinsamen Unterricht
Positive
Effekte
schulischer
Inklusion
Haltung zu Inklusion im
Kindes- und Jugendalter
... führt zu
mehr
Toleranz
94%
über
75%
glauben,
schulische
Inklusion
…
... fördert ein
besseres
Miteinander
... wirkt sich positiv auf die
Persönlichkeitsentwicklung
von Kindern aus
... erhöht die Bereitschaft,
sich sozial
zu engagieren
sind der Meinung, dass Kinder mit
und ohne Beeinträchtigung
in ihrer Freizeit die Möglichkeit
haben sollten, gemeinsam
aufzuwachsen.
66%
befürworten dagegen nur
gemeinsamen Unterricht
in der Schule.
Umfrage unter
›
Quellen: Aktion Mensch, Die Zeit, infas
Antonia Petri,
Leserin
Eine Frage der Haltung
Wir, das Jugendfreizeit- und Bil-
dungswerk Karlsruhe, arbeiten seit
mehr als 20 Jahren inklusiv. Durch
unsere inklusiven Ferienangebote se-
hen wir, wie wichtig es ist, bereits den
Jüngsten unserer Gesellschaft Erfah-
rungen der Inklusion nahezubringen.
Deshalb haben wir zwei besondere
Angebote geschaffen, die es Kindern
mit erhöhtem Pflege- und Betreu-
ungsbedarf möglich macht, ohne eine
Einzelassistenz bei uns mitzumachen.
Das „Abenteuerland“ bietet den Kin-
dern einen Freiraum, indem sie spie-
lerisch miteinander lernen. Respekt,
Wertschätzung und Gemeinschaft
sind die Schlüsselbegriffe, die sie hier
erfahren. Unser zweites Angebot „Auf
dem Rücken der Pferde“ gibt den
Kindern die Möglichkeit, gemeinsa-
me Ferien auf dem Reiterhof zu ver-
bringen. Bei Reitstunden und Pferde-
füttern spielt es keine Rolle, welche
Einschränkungen und Bedürfnisse
ein Kind mitbringt. Um diese Kon-
zepte weiterzuentwickeln und nach-
haltig zu gestalten, bedarf es der Re-
flexion über bestehende Grenzen und
Hürden, die man verändern oder gar
aufbrechen muss. Deshalb besteht
das Team aus Ehrenamtlichen, die
mit einem hohen Betreuungsschlüs-
sel und durch eine Pflegefachkraft
ergänzt auch medizinische und pfle-
gerische Aspekte auffangen können.
Unser Resümee ist: Wir brauchen
mehr Zusammenarbeit und Koope-
rationen zwischen allen Akteuren,
die in dem weiten Feld der Inklusi-
on stehen und arbeiten. Inklusion ist
erst dann gelungen, wenn man nicht
(mehr) darüber sprechen muss.
Theresia Degener,
Professorin für Recht
und Disability Studies,
Evangelische Hochschule
Rheinland-Westfalen-
Lippe
Warten auf die Wende
In den letzten zehn Jahren sind durch
jene, die Inklusion wirklich wollen,
viele Wege gefunden und geebnet
worden. Aber es wurden auch zahlrei-
che Begründungen vorgelegt, warum
Inklusion nicht machbar sei. Zwar
hat sich die Zahl der Menschen, die
ambulant betreut werden, verdoppelt,
Adriana Fink, Leserin
Eingeschränkt frei
Jörg Schlömerkemper,
Leser
Hoch lebe die
Verschiedenheit
Inklusion ist der Anspruch und der
Versuch, zwei Ziele miteinander
zu verbinden, die zunächst kaum
vereinbar scheinen: Kinder mit be-
sonderem Förderbedarf sollen pä-
dagogisch optimal gefördert wer-
den und zugleich gleichberechtigt
aufwachsen und in der Gesellschaft
selbstbestimmt leben können. Aber
spezielle Förderung grenzt aus. Ein
gemeinsamer Unterricht aller Kin-
der wird den besonderen Bedürf-
nissen nicht ohne weiteres gerecht.
Gelingen kann Inklusion gleich-
wohl, wenn nicht alle Schülerinnen
und Schüler immer gemeinsam un-
terrichtet werden müssen. Hilfreich
wäre zweierlei: Zum einen sollten
alle – und zwar wirklich alle – Kin-
der in einem eigens für sie und mit
ihnen entwickelten profilorientier-
ten Lernprogramm individuell an
den Anforderungen wachsen, die
ihren Möglichkeiten und Bedürfnis-
sen entsprechen. Und zum anderen
sollten sie in heterogenen Gruppen
erfahren, dass sie ihre unterschiedli-
chen Fähigkeiten in die kooperative
Arbeit einbringen können, dass sie
dabei gebraucht werden und ent-
sprechende Anerkennung erfahren.
Das ist nicht einfach, aber als Pers-
pektive könnte es einen Ausweg zwi-
schen strikt getrennt und pauschal
gemeinsam aufzeigen.
Ihr Name,
Leserin
Die Digitalisierung hat für Menschen
mit Behinderung viele Barrieren
abgebaut. Gehörlose können über
Chats kommunizieren, blinden Men-
schen helfen Sprachdienste bei der
Steuerung von Geräten. Allerdings
müsste Barrierefreiheit bei digitalen
Angeboten noch stärker mitgedacht
werden. Ein Webservice, der nur auf
einem Betriebssystem läuft, schließt
Nutzer aus. Schreiben Sie uns, wie Sie darüber den-
ken – und teilen Sie uns Ihre Antwort
mit. Vielleicht erscheinen Sie dann im
nächsten Heft.
eine Deinstitutionalisierung der Be-
treuung fand aber nicht statt: Heute
leben mehr behinderte Personen in
Heimen als zum Zeitpunkt des In-
krafttretens der UN-Behinderten-
rechtskonvention, kurz UN-BRK, im
Jahr 2008. Zwar wurden vielerorts
die Schulgesetze geändert, aber bis auf
wenige Ausnahmen die Vorgaben der
UN-BRK gesetzlich nicht verankert.
Die Inklusionsquote stieg bundesweit,
jedoch sank die Exklusionsquote nur
um 0,6 Prozent. Die Zahl der behin-
derten Kinder, die aus dem Regel-
schulsystem ausgegrenzt werden, hat
sich also kaum verändert. Zwar ist
die niedrigere Arbeitslosenquote bei Schwerbehinderten erfreulich, gleich-
zeitig stieg jedoch die Zahl der Werk-
stattbeschäftigten. Dabei schreibt die
UN-BRK nicht den Ausbau, sondern
den Rückbau der Werkstätten für
Menschen mit Behinderung vor. Denn
dies sind Sonderwelten, die behinder-
te Menschen diskriminieren, Orte, an
denen sie nicht einmal den Mindest-
lohn erhalten und ihnen fundamen-
tale Arbeitsrechte wie das Streikrecht
nicht zustehen. Die rechtliche Betreu-
ung wurde reformiert, aber Zwangsbe-
handlung und Bevormundung bleiben
erlaubt. Das Menschenrechtsmodell
von Behinderung ist in Deutschland
noch nicht angekommen.
Was ist Ihre Meinung?