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„VON INKLUSION UND BARRIEREFREIHEIT
PROFITIEREN ALLE MENSCHEN“
Interview mit Christina Marx, Leiterin der Aufklärung bei der Aktion Mensch
Ob in der Schule, im Job oder
in der Freizeit: Inklusion ist
in vielen Lebensbereichen
noch nicht umgesetzt –
und das, obwohl die UN-
Behindertenrechtskonven-
tion bereits vor elf Jahren
in Deutschland in Kraft
getreten ist. Daher setzt sich
die Aktion Mensch mit Aktionen,
Kampagnen und ihrer Projektförderung dafür ein, dass
Inklusion in Deutschland vorankommt. von klein auf gemeinsam aufwachsen und erfahren, dass
Vielfalt normal ist, werden sie auch im späteren Leben
Inklusion als ganz selbstverständlich empfinden. Und zu
Inklusion kann jeder ganz einfach beitragen – indem er
selbst auf Menschen mit Behinderung zugeht, sich freiwil-
lig engagiert oder auch ein Projekt startet. Daher sensibili-
sieren wir mit unseren Kampagnen die Öffentlichkeit auch
für das Thema und zeigen, dass von Inklusion und Barriere-
freiheit alle Menschen in der Gesellschaft profitieren. kann auch nur ganz stark an die Arbeitgeber appellieren,
einfach auf die Potenziale von Menschen mit Behinde-
rung zu schauen. Zugleich muss Verschiedenheit als Nor-
malität begriffen werden. Arbeitnehmer mit und ohne
Behinderung müssen sich auf Augenhöhe begegnen und
dürfen keine Berührungsängste haben. Eine inklusive
Unternehmenskultur braucht vor allem diese Art der
Begegnung und ein selbstverständlicheres Miteinander.
Das muss heute vielfach erst noch gelernt werden.
Wie sieht es mit der Inklusion im Arbeitsleben aus? Gibt es etwas, das Menschen mit Behinderung selbst
tun können?
Woran liegt es, dass Inklusion in vielen Bereichen der
Gesellschaft nicht weiterkommt? Wie die Situation sich hier entwickelt, zeigt unser Inklusi-
onsbarometer Arbeit, das wir jedes Jahr gemeinsam mit
dem Handelsblatt Research Institute erstellen. Danach
ist die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung
immer noch mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen
ohne Behinderung – und das, obwohl sie oft gut qua-
lifiziert sind. Insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit
ist bei Menschen mit Behinderung ein großes Problem.
Sie sind im Durchschnitt rund 100 Tage länger arbeits-
los als Menschen ohne Behinderung. Allerdings gibt es
auch kleine Erfolge, etwa, dass 1,27 Millionen Menschen
mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt aktiv sind.
Es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die verhindern, dass
es eine gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit und
ohne Behinderung gibt. Das können fehlende gesetzliche
Rahmenbedingungen sein, bürokratische Hürden oder
Personal- und Geldmangel wie etwa im Bildungsbe-
reich. Häufig sind es aber eher die Barrieren im Kopf, die
Inklusion aufhalten – etwa, weil es Berührungsängste
gibt, man sich im Alltag zu wenig begegnet und weil die
Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung daher nicht
mitgedacht werden.
Was kann man tun? Wie müsste für Sie die Unternehmenskultur der Zukunft
aussehen, um eine vollständige Inklusion zu erreichen?
Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass Inklusion bereits im Kin-
desalter vermittelt und gelernt werden muss. Wenn Kinder Eine solche Unternehmenskultur muss den Menschen
und seine Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellen. Ich
Was sagt ein Arbeitnehmer?
Dennis Winkens arbeitet als Online-Redakteur
für eine Firma in Remscheid. Er ist Tetraplegi-
ker, lebt also mit einer Form der Querschnitts-
lähmung und benötigt für seinen Beruf einen
entsprechend gestalteten Arbeitsplatz sowie
technische Hilfsmittel. Woran scheitert Inklusi-
on oft? „Wenn ein völlig normales und unvor-
eingenommenes Miteinander von Menschen
mit und ohne Behinderung stattfindet, ist das
für mich gelungene Inklusion. Ich finde, dass hier
öfter der Fokus darauf liegen sollte, welche Din-
ge jemand gut kann, und nicht vorwiegend darauf,
welche Defizite sie oder er mitbringt. Jeder sollte die
Möglichkeit haben, seinen Fähigkeiten entsprechend ar-
beiten zu können, egal, ob er oder sie nur eine Hand hat,
im Rollstuhl sitzt oder ein anderes Handicap hat.“
Sie müssen sich auf jeden Fall zutrauen, sich auf Stellen
des ersten Arbeitsmarktes zu bewerben. Dabei sind un-
sere Sondersysteme mit den Förderschulen zurzeit noch
ein Hemmschuh. Ich habe aber die Hoffnung, dass mit
einem zunehmend inklusiven Bildungssystem auch die-
se Hürde immer häufiger überwunden wird.
Wie kann Digitalisierung zu mehr Inklusion beitragen?
Technische Hilfsmittel und digitale Angebote ermöglichen
Menschen mit Behinderung, sich besser am Arbeitsprozess
beteiligen zu können: Denn unterstützende Technologien
können zum Beispiel dabei helfen, Barrieren zu überwin-
den. Aber es gibt auch Risiken: Automatisierung führt dazu,
dass viele Jobs in Zukunft wegfallen können – beispiels-
weise, wenn immer leistungsfähigere Roboter Aufgaben
übernehmen.
Was sagt ein Arbeitgeber?
Der Online-Redakteur Dennis Winkens
bei einem Hackathon der
Aktion Mensch.
Die Firma BOHRMA Maschinenbau aus dem hessischen
Fulda baut große Bohrsysteme für den Tiefbau, zum Bei-
spiel für Tunnelarbeiten. Das Unternehmen macht gute
Erfahrungen mit der Beschäftigung von Menschen mit
Schwerbehinderung. Worauf kommt es an? „Mitarbeiter
mit Handicap sind bei uns ganz normal in die Produkti-
on integriert“, sagt Betriebsleiter Florian Witzel.
„Es kommt darauf an, den richtigen Ar-
beitsplatz für den richtigen Menschen
zu finden. Zu Beginn mussten einige
Berührungsängste und Vorurteile
überwunden werden“, räumt Wit-
zel ein. „Inzwischen aber wirkt
sich die Vielfalt der Belegschaft
Tage, die Arbeitslose mit
positiv auf das Betriebsklima aus
Schwerbehinderung länger
und strahlt nach außen.“
Ø 100
nach einer Beschäftigung
suchen
Über die Aktion Mensch e. V.
Die Aktion Mensch e. V. ist die größte private Förderorganisation im sozialen Bereich in Deutschland. Seit ihrer Gründung im Jahr
1964 hat sie mehr als vier Milliarden Euro an soziale Projekte weitergegeben. Ziel der Aktion Mensch ist, die Lebensbedingungen
von Menschen mit Behinderung, Kindern und Jugendlichen zu verbessern und das selbstverständliche Miteinander in der Gesell-
schaft zu fördern. Mit den Einnahmen aus ihrer Lotterie unterstützt die Aktion Mensch jeden Monat bis zu 1.000 Projekte. Möglich
machen dies rund vier Millionen Lotterieteilnehmer. Zu den Mitgliedern gehören: ZDF, Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Deutsches Rotes
Kreuz, Diakonie, Paritätischer Gesamtverband und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Seit Anfang 2014 ist
Rudi Cerne ehrenamtlicher Botschafter der Aktion Mensch.
Mehr Informationen unter: www.aktion-mensch.de