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WAS SIND SELTENE
KRANKHEITEN?
WIR FRAGEN:
... und was ist
Ihre Meinung?
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Tetrachromaten können bis zu 100 Millionen Farben mehr als andere
Menschen sehen. Die Fähigkeit wird häufig zuerst für eine Sehschwäche
gehalten – und betrifft ausschließlich Frauen. Quelle: Gabriele Jordan, Newcastle University
Eva Luise Köhler,
Stiftungsratsvorsitzende
Eva Luise und
Horst Köhler Stiftung
für Menschen mit
Seltenen Erkrankungen
Keine Seltenheit
Experten haben hochgerechnet, dass
es bis zu 8.000 seltene chronische
Erkrankungen gibt. Die Tendenz
ist durch fortschrittliche Diagnostik
steigend – was auch für die Zahl der
Betroffenen gilt. 4,3 Millionen, vor
allem Kinder und Jugendliche, aber
auch Erwachsene, sind es allein in
Deutschland. Für sie gleicht oft schon
die Suche nach Spezialisten, die über-
haupt in der Lage sind, eine Diagnose
zu stellen, einer jahrelangen Odyssee
von Klinik zu Klinik. An deren Ende
steht dann leider viel zu häufig keine
geeignete Therapie, weil es derzeit nur
etwa 140 Arzneien für seltene Leiden
gibt. Natürlich setzen die Betroffenen
und ihre Familien alle Hoffnungen in
den medizinischen Fortschritt – und
das zu Recht, wie ich finde. Es ist ein
wunderbares Privileg, dass ich als
ACHSE-Schirmherrin und im Rah-
men unserer Stiftungsarbeit immer
wieder erleben darf, welch Glück es
bedeutet, wenn Wissenschaftler Ant-
worten finden, die Chancen auf Lin-
derung und manchmal sogar auf Hei-
lung eröffnen. Weil Forschung aber
eher eine langfristige Perspektive ist,
darf nicht vergessen werden, dass die
Betroffenen heute schon hochwertige
medizinische Versorgung benötigen,
wie sie nur an spezialisierten Zen-
tren geleistet werden kann. Um zu
verhindern, dass schwerkranke Men-
schen weiterhin jahrelang schlecht
betreut durchs System irren, muss
die im Nationalen Aktionsplan für
seltene Erkrankungen definierte Ver-
sorgungsstruktur endlich vollständig
implementiert werden.
Leslie Malton,
Schauspielerin und
Botschafterin der
Elternhilfe für Kinder
mit Rett-Syndrom in
Deutschland
Sichtbar werden
Seltene Krankheiten – sollte es nicht
vielleicht besondere Krankheiten
heißen, denn sind wir nicht alle be-
sonders und einzigartig, egal ob
gesund oder krank? Bereicherung,
Herausforderung, Schmerz, Ver-
zweiflung und das lachende Herz
sind stete Begleiter eines Menschen
und seiner Familie auf dem langen
und unebenen Lebensweg mit einer
seltenen Krankheit. Trotzdem gibt
es kaum etwas Beglückenderes als
das erkennende Licht in den Augen
eines schwerbehinderten Menschen,
wenn die klaffende Verständnislosig-
keit überwunden wird. Sie lässt die
© iStock./Benjavisa
Qualen, die Ohnmacht gegenüber
diesem Schicksal verblassen und gibt
den Angehörigen Mut und Kraft im
Moment der Schwäche. Das Glei-
che erfahren Familien, die sich an
die Elternhilfe für Kinder mit Rett-
Syndrom wenden. Sie werden mit
größtem Verständnis, Empathie und
Sorgfalt empfangen. Die Elternhilfe
ist der beste Partner bei der Bewäl-
tigung der neuen Lebenssituation,
eben weil sie selbst Betroffene sind.
Man spricht dieselbe Sprache und
weiß Bescheid über das, was auf die
Familie zukommen wird. Sie können
entsprechend beraten und einer Fa-
milie zur Seite stehen. Zudem ist es
äußerst wichtig, über die zweithäu-
figste Behinderung für Mädchen das
Bewusstsein in der Gesellschaft zu
stärken, Aufmerksamkeit zu generie-
ren und zu informieren. Es darf nicht
sein, dass Familien in größter Not bei
Anlaufstellen hören: „Rett? Noch nie
gehört.“ Das muss sich ändern.