+3 Magazin Juli 2018 | Page 7

+1 René Marcel Jörgenson, Leser Keine Zeitfrage „Ich habe keine Zeit“ ist wohl die weit- verbreitetste und zugleich schlechtes- te Ausrede, die es gibt. Zeit ist etwas, von der wir alle gleich viel haben. Vielmehr beschreibt die ser Satz, dass man keine Lust oder etwas Wichti- geres zu tun hat. Das ist vollkommen in Ordnung, aber man kann das sei- nem Gegenüber klar kommunizieren: „Deine Katzengeschichten interessie- ren mich nicht“ oder „Ich habe etwas Besseres vor, als mit dir ins Kino zu gehen“, das wären ehrliche Antwor- ten. Wenn man sich dessen bewusst wird, dass es keine Zeitfrage ist, son- dern eine Frage der Lust, wird man Günter Hudasch, Erster Vorsitzender Berufsverband der Achtsamkeitslehrenden in Deutschland (MBSR- Verband) Innehalten Unser Leben ist so hektisch geworden, dass man eher fragen müsste: Wofür fehlt die Zeit eigentlich nicht? Schlaf, Essen, Familie und Freunde – selbst diese elementaren Bedürfnisse kom- men für viele oft zu kurz. Da erscheint es geradezu radikal, sich Zeit zu neh- men, um eigentlich nichts zu tun, au- ßer zu atmen. Das ist es, was wir tun, wenn wir Achtsamkeit üben: Wir hal- ten inne, um den eigenen Körper und die Atmung zu spüren. Dafür können wir uns hinsetzen, die Augen schließen und wahrnehmen, was da ist – Um- gebungsgeräusche, das Fließen des Atems, die eigenen Gedanken. Inne- halten können wir auch im Alltag, um zum Beispiel beim Duschen die Wär- me des Wassers auf der Haut wahrzu- nehmen. So kommen wir zu uns, statt „außer uns“ zu sein. Mit regelmäßiger gegenüber sich selbst ehrlicher. Vor nicht so langer Zeit habe ich selbst noch oft diese Ausrede verwendet und bin meinen Wünschen nicht nachgegangen. Das tue ich jetzt. Ich wollte etwa für mich eine neue Sport- art entdecken und fand Fahrradfah- ren toll. Aber mich mit dem Thema erst mal zu beschäftigen, war mir zu aufwendig. Das passende Fahrrad finden, eine fahrradtaugliche Ausrüs- tung zulegen – und von den bevorste- henden Wegen will ich gar nicht erst sprechen. Ein Freund von mir hat diesen Wunsch in mir erkannt und mich eines Tages zu seinem Fahrrad- laden des Vertrauens gebracht. Raten Sie mal, wer sich ein Fahrrad zugelegt hat und jetzt jeden Tag Zeit hat, mit dem Fahrrad unterwegs zu sein? Übung wächst die Fähigkeit, uns we- niger den automatischen Reaktionen zu überlassen, die in stressigen Situa- tionen oft reflexartig in uns ausgelöst werden. Stattdessen können wir be- wusster entscheiden, wie wir reagieren möchten. Braucht es dafür Zeit? Ja. Aber weniger, als viele denken. Schon 20 Minuten am Tag können den All- tag positiv beeinflussen. Sie bedeuten, ein Stück Freiheit zu gewinnen und die Schönheit des Lebens zu genie- ßen, statt sich von den vermeintlichen Zwängen des hektischen Lebens (an-) treiben zu lassen. Achtsamkeitsme- ditation kann man in achtwöchigen Kursen erlernen und dann ein Leben lang für sich oder mit anderen weiter trainieren und praktizieren. Ingrid Staufer, Leserin Zeit fehlt nicht. Es fehlt maximal an der Zeit zur freien Einteilung. Zu viel Zeit wird fremd bestimmt verplempert – von Arbeitgebern mit starren Arbeits- zeiten und den damit verbundenen un- nötig langen Zeiten zum Pendeln. 7 Felix Plötz, Entrepreneur und Autor Barriere im Kopf Freitag, später Nachmittag. Ich fahre gerade den PC herunter. Schon wie- der Freitag, ich kann es kaum glauben. Freue ich mich darüber? Nein, es er- schreckt mich eher. Wieder ist eine Wo- Max Blust, Leser Urlaub vom Gehirn Es fehlt die Zeit zum Planen und dann noch die Energie zum Verwirk- lichen. Wenn wir Zeit für uns haben, sind wir glücklich, mal nichts zu ma- chen. Typisches Ereignis: Vorhaben werden wochenlang akribisch ge- plant, wie mit Freundin und Freun- den etwas zu unternehmen, und am Ende der Woche liegt man doch nur mit seiner Liebsten auf der Couch. Auf einmal sind die Prioritäten an- ders gesetzt und man möchte nur noch den Fernseher ein- und sich selbst ausschalten. Maike Wischmann, Leserin Zeit ist relativ Der Zeit ist immer da, sie fehlt nicht. Doch wo immer es gelingt, aus dem Zeitrahmen zu fallen, da beginnt ein neuer Lebenszeitraum. Es gibt Tage, an denen bleibe ich einen ganzen Tag im Schlafanzug, schaue nicht auf die Uhr, lasse mich gehen und treiben. Es gibt kein geregeltes Essen, die Kü- che bleibt kalt, morgens Chips und Limonade, abends mal sehen. Es gibt Tage, da haben wir keinen Plan. Wir entscheiden beim Spaziergang, ob es che vergangen, wieder viel zu schnell. Der Sommer ist fast vorbei, bald ist es November. Mit zu viel Regen, Nässe, Kälte. Und nicht viel später ist das Jahr schon rum. Wieder ein Jahr. Großartig! Die Zeit scheint zu rasen – und ich mit ihr. Nur voran komme ich dabei nicht. Irgendwie besteht mein Leben nur noch aus Älterwerden und nicht mehr aus Leben. Es besteht nur noch aus Büro, völlig kaputt nach Hause kommen, ab und zu den Kontostand checken. Eat, work, sleep, repeat. Ich rase und stag- niere gleichzeitig. „Was zum Teufel ma- che ich hier eigentlich?“, schießt es mir in letzter Zeit immer häufiger durch den Kopf. Was ist bloß aus meinen Träumen geworden? Warum habe ich meine Idee immer noch nicht verwirk- licht? Diese Geschäftsidee, von der alle meinen, sie sei so großartig. Finde ich ja auch. Aber würde ich dafür kündigen? Ich weiß es nicht. Das Risiko wäre mir zu groß. Und deswegen fange ich nicht an. Nie. Eat, work, sleep, repeat – der Teufelskreis verpasster Chancen und verflogener Träume. Dass es trotzdem geht, wusste ich lange nicht. Ideen verwirklichen. Ein Startup gründen. Und das nebenbei. Das klingt wie ein Wunschtraum, oder? Unrealistisch. Dachte ich auch. Bis ich es einfach ge- macht habe. So wie Tausende. Jeden Tag. Was ist mir dir? nun links herum geht oder doch noch X Kilometer gerade aus. Es gibt nur noch Spontanität. Es gibt kein vorher oder nachher, sondern wir sind mit- tendrin und überraschen uns selbst. Es gibt Tage, oft im Urlaub, da fällt alles von einem ab, die Zeit scheint plötzlich zu fließen, zu verfließen. Stunden im Café nur gucken, in der Natur sein und leer werden, nichts tun und sich nicht langweilen. In die- ser oft kurzen Zeit von einigen Tagen bin ich schneller gewachsen und wei- ser geworden. Und kommt man nach Hause, scheint die Zeit wie angehal- ten gewesen zu sein. DIES IST EINE GESPONSERTE ANTWORT, ALSO EINE ANZEIGE ZEIT IST UNSERE NEUE WÄHRUNG Unsere Welt hat sich stark verändert in den letzten Jahrzehnten, ein Wer- tewandel ist deutlich spürbar gewor- den. Was uns vor zehn Jahren noch etwas bedeutet hat, ist heute unwich- tig geworden. Wir optimieren uns täg- Katja Leßmeister, lich selbst, sind mehr denn je auf der Chief Marketing Überholspur. Was wir früher in einer Officer, Jochen Schweizer mydays Woche erledigt haben, soll heute am besten in 24 Stunden passieren. Der Holding GmbH Ausspruch „Höher, schneller, weiter“ ist Ausdruck einer ganzen Generati- on geworden. Unsere Welt dreht sich gefühlt immer schneller. Wir sind nonstop erreichbar, häufig im Stress, nur ganz selten mal offline. Und haben für al- les zu wenig Zeit. Schon Kinder bemühen das Thema „Zeit“ – sind im Stress mit Schule, Hobbys und Freun- den. Meine Kindheit war deutlich entschleunigter. Und auch unsere Beziehungen leiden, und damit ist fast jede Art von Beziehungen gemeint. Wenn wir uns selbst beobachten, wie oft wir Menschen, die uns na- hestehen, täglich abweisen. „Dafür habe ich jetzt kei- ne Zeit“, einer meiner häufigsten Sätze neuerdings. Kennen Sie das auch? Früher hat man sich immer ge- wünscht, dass die Eltern für einen da sind. Jetzt rufen sie an, nun fast 80-jährig, und wollen einfach nur mal die Stimme der Tochter hören, aber die ist gerade in einem Meeting – und hat keine Zeit. Mir ist bewusst, dass ich das schon bald bereuen werde. Alltägliche Terminjagd Und auch diese Situation kennt man: Zwischen dem letzten Termin im Büro und dem Fitnesskurs hetzt man schnell nach Hause, um die Laptoptasche ge- gen die Yogamatte zu tauschen. Im Hausflur begeg- net man noch seinem Partner. Ein flüchtiger Kuss, schnell werden die wichtigsten Themen ausgetauscht: „Ist das Auto beim Tüv? Wie lief der Termin heute mit dem Chef? Wann bist du kommende Woche zu Hause?“, und schon ist man aus der Tür. Im Hinter- kopf werden schon die nächsten Termine priorisiert – ein Meeting muss vorbereitet werden, die nächste Dienstreise rückt näher und die Steuererklärung steht an. Mittlerweile ist der Mangel an gemeinsamer Zeit eines der Hauptstreitthemen in Beziehungen. Will Smith sagt in seinem Film „Collateral Beauty“ fol- gendes: „Wir sind hier, um zu verbinden: Liebe, Zeit, Tod. Diese drei Dinge verbinden alle menschlichen Wesen auf der Erde. Wir sehnen uns nach Liebe, wir wünschen, wir hätten mehr Zeit und wir fürchten den Tod.“ Und plötzlich merkt man, Zeit ist endlich und wir müssen damit haushalten. Uns fragen, wem wid- men wir sie. Zeit ist zu unserer wertvollsten Währung geworden und bedeutsamer als Euros auf dem Konto. Wir haben uns bei mydays gefragt, was ist unser Bei- trag dazu und wie helfen wir zu verbinden. Das tun wir mit unseren Erlebnissen. Denn genau genommen schenkt man mit einem gemeinsamen Erlebnis das Wertvollste, das man hat: Zeit.