+3 Magazin Februar 2020 | Page 16
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WIE SIEHT SCHULE
MORGEN AUS?
WIR FRAGEN:
... und was ist
Ihre Meinung?
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Hologramme sucht man an deutschen Schulen
zwar noch vergebens, ein Pilotprojekt zum
digitalen Schüleraustausch via Virtual Reality
gab es aber bereits – mit China. Quelle: Stiftung Mercator
© iStock./wonry
Stefan Ruppaner,
Rektor Alemannenschule
Wutöschingen,
Baden-Württemberg
(Preisträger des Deutschen
Schulpreises 2019)
Aus alt mach neu
Wer unsere Schule besucht, kann
die Schule von morgen bereits heute
erleben. Vieles, was die traditionel-
le Schule ausmacht, ist bei uns nicht
mehr zu finden. Es gibt keine Klassen,
Klassenräume, Unterrichtsstunden,
Tafeln, Bücher, Hefte, Strafarbeiten,
Hausaufgaben, Schulklingel, Deputa-
te in Stunden, Vertretungspläne und
Klassenbücher. Schon mündlich ist
es schwer, unser Lernsystem einem
Fremden nahezubringen. Der Versuch
endet meistens mit der Aufforderung:
„Komm einfach mal vorbei und schau
dir alles an.“ Wer nur das traditio-
nelle Schulsystem kennt, kann sich
solche grundsätzlichen Änderungen
kaum vorstellen. Genau das ist das
Problem in unserer Gesellschaft. Im
schulischen Bereich braucht es einen
umfassenden Umbruch. Eine neue
Einteilung von Lernzeit, Arbeitszeit,
Lernräumen und Lerngruppen ist
dafür die Voraussetzung. Jahrzehn-
tealte und nicht hinterfragte Vorga-
ben durch Politik und Verwaltung
behindern den Weg zur sinnvollen
und effektiven Schule von morgen.
Aus gutem Grund gibt es bei uns dafür
andere Dinge, die das Althergebrachte
ersetzen. Es gibt eine Digitale Lern-
plattform (DiLer), iPad-one-to-one,
Graduierung, gemischte Lerngruppen,
Hausschuhpflicht, freie Lernzeiten,
Input-Räume, Marktplätze, Lernate-
liers, Coaching, gemischt-professio-
nelle Lehrerteams und viele glückliche
Schülerinnen und Schüler. Wer sich
das alles nicht vorstellen kann, dem sei
gesagt: Komm einfach mal vorbei und
schau dir alles an.
Udo Beckmann,
Bundesvorsitzender
Verband Bildung
und Erziehung (VBE)
Schule fürs Leben
Der technische Fortschritt ist rasant.
Die Frage, wie Schule morgen ausse-
hen wird, ist daher eng verknüpft mit
der Frage, was dies mit der Gesell-
schaft macht und welche veränderten
Anforderungen an die Schülerinnen
und Schüler gestellt werden. Darauf
reagiert Schule heute schon, zum Bei-
spiel mit gemeinsamem Arbeiten, der
Einbindung digitaler Endgeräte und
der verstärkten individuellen Förde-
rung entsprechend des individuellen
Lernstandes. Doch wir wissen nicht,
wie das Morgen aussieht. Wir wis-
sen nicht, auf was wir die Kinder und
Jugendlichen vorbereiten. Deshalb
muss die Persönlichkeitsentwicklung
im Zentrum stehen. So zeigte sich
auch bei einer vom Verband Bildung
und Erziehung in Auftrag gegebenen
Bevölkerungsumfrage ein klares Bild:
71 Prozent der Befragten sind der
Meinung, dass die Vermittlung von
Werten in der Schule in den nächsten
zehn Jahren deutlich wichtiger wird.
Die Digitalkompetenzen auf grund-
legender und fortgeschrittener Basis
werden demgegenüber als nicht so
prioritär eingestuft. Wie kann das ge-
lingen? Wir glauben: Die Schule von
morgen braucht vor allem Möglich-
keiten der individuellen Förderung.
Die Lösung dafür haben wir schon
heute, nur an der Umsetzung man-
gelt es noch. Es braucht ein Zwei-Pä-
dagogen-System und die Unterstüt-
zung der pädagogischen Arbeit durch
Mitglieder eines multiprofessionellen
Teams. Nur so kann die ganzheitliche
Bildung der Schülerinnen und Schü-
ler gesichert werden.