+3 Magazin April 2018 | Page 16
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WIR FRAGEN:
WAS LÄSST UNS
TRÄUMEN?
... und was ist
Ihre Meinung?
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Der Rekord für den weitesten Flug einer Ballonpost
liegt angeblich bei 16.336 Kilometern, von Bayern
ins australische Coogee – offiziell bestätigt ist der
Flug des tapferen Luftballons indes nicht. Quelle: tz.de
© iStock./fcscafeine
Judith Adlhoch,
Filmproduzentin und
Fernsehmoderatorin
Kleine Traum-Quickies
Neulich, im Baumarkt, hatte ich wie-
der so einen Traum-Flash. In der
Farbenabteilung. Ein Hauch von Ter-
pentin, ein paar Acryl-Flaschen „Ko-
baltblau“ und schon bin ich in Mexiko
City, in der Casa Azul, dem Haus von
Frida Kahlo. Und weil es so schön ist,
träume ich mich gleich weiter nach
Marrakesch, in den Jardin Majorelle,
auch dort dieses sagenhafte Fernweh-
Blau. Farben machen das mit mir, ge-
nauso wie Gerüche, Licht, Drinks, ein
Geschmack im Mund, Musik. All das
lässt mich blitzartig abhauen, im Kopf.
Das Duftbäumchen „Jasmin“ im Taxi
beamt mich auf einen Markt in Tahiti,
ein bestimmtes, klares Sonnenlicht am
Morgen nach New Mexiko, die Mu-
sik von Sigur Rós in die Arktis. Die
Körperwärme der Afrikanerin in der
U-Bahn schickt mich für eine winzige
Weile nach Tansania, das Patschuli-
Öl im Vorbeigehen nach Goa und ein
Blick in meinen Abfalleimer auf die
Müllberge von Maputo. Sogar wenn
ich im Stau stehe und mich der KFC-
Mann mit seinen Hühnerfetzen an-
lacht, muss ich an Trotzki denken und
Russland und eine schnelle Affäre und
Wodka. Wie der Geruch von Sonnen-
creme Freibadgedanken und Sommer
und Urlaubsgefühle auslöst, so funk-
tioniert das bei mir auch mit vielen
anderen Kleinigkeiten. Ich liebe diese
Reise-Traum-Quickies. Als ich mal
zwei Tage in einem Einbaum auf Bor-
neo dahingetrieben bin, habe ich stun-
denlang in den Himmel geschaut. Ein
himmelblauer Himmel mit kleinen
weichen Wolken, wie in Bayern, wie zu
Hause. Ganz traumhaft.
Wolfgang Neisser,
Leser
Flüchtiges Glück
Träumen im bewussten Zustand kann
nichts anderes sein als Wünsche zu
formulieren, die aus einem inneren
Begehren einen aktuellen Zustand
verändern sollen oder aus einem Man-
gel notwendig geworden sind. Unsere
Gesellschaft kann die meisten Men-
schen relativ gut versorgen, sodass
sie mit ihrem Leben zurechtkommen
können. Die meisten Träume, die mit
Konsum zu tun haben, sind meines
Erachtens obsolet, solange ich mein
Leben frei und ohne Not führen kann.
Träume werden in der Marktwirt-
schaft durch Werbung und Marketing
künstlich erzeugt, aber die freie Ent-
faltung des Menschen beinhaltet, dass
er sich selbst in die Lage bringen kann,
alles zu bekommen, was möglich ist.
Diese Träume des Konsums haben im-
mer etwas mit Geld zu tun, weil sich
die meisten Menschen Nobelkarossen,
Villen oder komfortable Hotels nicht
leisten können. Für mein Selbstver-
ständnis existieren keine Träume, al-
lerdings gibt es Wünsche, und diese
Wünsche sind immer immateriell.
Gesundheit, Frieden, Freiheit, Ge-
rechtigkeit und Gleichheit. Oder auch
Solidarität, Kosmopolitismus und
Kreolisierung. Die Aufklärung hat
uns gezeigt, dass die Menschheit die-
se Grundsätze dringend braucht und
dass, wenn sie endlich erreicht werden
würden, viele Träume und Wünsche
überflüssig würden. Die Glücksindus-
trie ist maßgeblich daran beteiligt,
dass sich Menschen Träume erfüllen
wollen, um glücklich zu sein. Aber das
Glück ist flüchtig und in den häufigs-
ten Fällen nicht käuflich.