Zukunftsblick Kompakt | Page 12

Ein geliebter Men stirbt immer HANS J. ZIMMERMANN hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen in Trauer Halt zu geben und ihnen in ihrer Situation tröstliche Perspektiven aufzuzeigen. Der ungebetene Gast Er ist ein Mietnomade. Er zieht ungefragt und unerwünscht ein. Er wird keine Miete zahlen, aber wertvollen Schlaf rauben. Seine Anwesenheit kostet unglaubliche Energie und nicht selten hinterlässt er verwüstete Seelen. Vielleicht ist er noch nicht in dein Haus oder in deine Wohnung eingezogen, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Es geht um den Tod. Jenen unliebsamen Besucher, der ein Leben wegnimmt und Menschen in Trauer und Einsamkeit und mit vielen Fragen zurücklässt. Allein in Deutschland sterben jedes Jahr rund 800.000 Menschen – und mit jedem Tod ziehen Trauer und Schmerz in Hunderttausende von Häusern und Familien ein. Je älter wir werden umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser unerwünschte Gast auch bei Menschen, die wir lieben, Einzug hält. Mit den Jahren müssen wir immer öfter Abschied nehmen von Freunden, Lebensgefährten, Schulkameraden, Weggefährten. Menschen, die uns ein halbe Ewigkeit begleitet haben, sind auf einmal nicht mehr. Wir stehen fassungslos an ihren Gräbern und trauern mit denen, die noch unmittelbarer betroffen sind. Wer eigene Trauer kennt, kann sich in die Trauer derer hineinfühlen, die einen geliebten Menschen in die Erde legen müssen. Wer bisher davon verschont geblieben ist, ahnt und sieht den Schmerz in den Augen Anderer. Wir alle wissen: Ein geliebter Menschen stirbt immer zu früh. Darum verschlägt es auch vielen von uns im Angesicht von Tod und Trauer die Sprache. Wir würden gerne trösten und unsere tiefe Anteilname zum Ausdruck 12 ZUK U N F T S B L I C K m i n i 01-2014 bringen, aber jedes Wort scheint hohl und oberflächlich. Weil immer weniger Menschen zu Hause im Kreis ihrer Familien sterben, kommen wir mit dem eigentlichen Sterben immer weniger in Berührung. Der Tod geschieht, aber wir haben ihn sozusagen »ausgelagert«. Was für unsere Eltern und Großeltern vielleicht noch selbstverständlich war, ist uns fremd geworden. Doch ganz sicher zieht die Trauer ein. Und wenn wir sie verdrängen, kann sie uns krank machen. Trauer ist nicht gleich Trauer In einigen Kulturen ist Sterben und Trauern noch ein ganz bewusster Teil des Lebens. Vor einigen Jahren war ich zu Besuch im Nahen Osten. Mein Gastgeber fragte mich eines Morgens unvermittelt, ob ich ihn begleiten wolle. Jemand aus seinem Dorf sei verstorben und er wolle die Angehörigen besuchen. Das war schon verwunderlich, mit welcher Selbstverständlichkeit er mich einlud, ihn zu begleiten. Die nächste Überraschung ließ nicht lange auf sich warten: Im Trauerhaus angekommen wurden wir herzlich begrüßt und gleich ins Wohnzimmer geführt, das voller Menschen war, die im Kreis auf dem Boden saßen und Tee tranken. Auch uns wurde sofort etwas zu trinken angeboten. Einige Frauen weinten laut, andere Gäste unterhielten sich lebhaft und hier und da wurde gelacht. Damals lernte ich, dass man im Nahen Osten anders trauerte. Ja, man weinte und war traurig, aber man erzählte sich auch Geschichten über die Verstorbenen, und die Erinnerung schien die Trauernden sogar mit Freude und Dankbarkeit zu erfüllen.