Suchtreport 2019 – CRAFT Neue Wege in der Suchttherapie 2019-08-26_suchtreport_2019 | Page 10
«CRAFT gibt Angehörigen konkrete
Handlungsmöglichkeiten an die Hand»
Dr. Gallus Bischof gehört zu den renommiertesten Vertretern des
CRAFT-Ansatzes im deutschsprachigen Raum. Seit vielen Jahren wid-
met er sich im Bereich der Suchttherapie der Angehörigenarbeit. Im
Interview erklärt er, warum in der Angehörigenarbeit ein Umdenken
stattfinden muss, um Angehörige nicht doppelt zu stigmatisieren.
Abgesehen von Nikotin ist Alkohol in
unserer Gesellschaft das verbreitetste
Genuss- und Suchtmittel, welches für
die Konsumentinnen und Konsumenten
aller gesellschaftlichen Schichten und
Altersgruppen zu einem Problem wer-
den kann. Längst wird die Alkoholsucht
als Krankheit betrachtet, dennoch ist
die Behandlung extrem schwierig.
Woran liegt das?
Dr. Gallus Bischof: Gegenüber anderen
chronischen Erkrankungen sind die Er-
gebnisse der Suchtbehandlung im Alko-
holbereich eigentlich sehr mutmachend –
ein zentrales Problem scheint mir eher zu sein, das wir die Betroffenen nur
sehr schwer erreichen. Eine wichtige Ursache hierfür ist sicherlich, dass
Suchterkrankungen noch immer gesellschaftlich sehr stigmatisiert sind und
Betroffene sich deshalb – wenn überhaupt – oft erst dann in Behandlung
begeben, wenn bereits gravierende gesundheitliche oder psychosoziale
Probleme aufgetreten sind und die Suchterkrankung sich chronifziert hat.
Leider ist auch das «moralische Modell» der Abhängigkeit gesellschaftlich
weit verbreitet: da wir insgesamt eine sehr alkoholtolerante Gesellschaft mit
hohen Raten auch an riskantem Alkoholkonsum sind, wird Betroffenen gerne
eine «Willensschwäche» attestiert.
Gibt es neuere wissenschaftliche Erkenntnissen darüber, welche Faktoren
überhaupt für die Entstehung einer Alkoholsucht eine Rolle spielen?
Hier sehe ich persönlich keine bahnbrechenden neueren Entwicklungen,
sondern vertrete unverändert das Trias-Modell von Kielholz und Ladewig
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