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Wissensraum Innenstadt

Museum und Stadt Das Konzept des „ Dritten Ortes“ aus außereuropäischer Perspektive

Dr. Ina Roß Dozentin für Kulturmanagement an der Hochschule für Wirtschaft und Technik Saar und Organisatorische Praxis in der Kunst
EXTERNAL Literaturhinweise
Meditationsklassen inmitten der Sammlung, Clubbing auf dem Museumsvorplatz, Yoga im Foyer – all diese erstaunlichen und vielleicht manchmal überraschenden Aktivitäten werden oft unter dem Label „ Museum als Dritter Ort“ gefasst. Das Konzept „ Dritter Ort“ als Positionierungsansatz, Marketinginstrument oder als identitätsstiftende Idee für Kultureinrichtungen ist in Medien und Fachkonferenzen, aber auch in Pilotprojekten und Förderkonzepten verstärkt präsent. Kaum eine Museumsleitung kann sich heute leisten, nicht darüber nachzudenken, wie sie ihr Haus über Ausstellungen hinaus positionieren kann. Hintergrund des Interesses sind ein alterndes und schwindendes Stammpublikum sowie das Wachstum gesellschaftlicher Gruppen, denen das Angebot und die sozialen Rituale der Museumswelt fremd sind und für ihren Alltag irrelevant erscheinen. Hinzu kommen Probleme wie fehlende attraktive Treffpunkte für Communities in der Innenstadt und, nicht nur in Ostdeutschland, politische Krisenphänomene wie der Aufstieg des Rechtsextremismus. Vor diesen gesellschaftlichen Realitäten werden Kultureinrichtungen und Museen nicht mehr nur nach der Qualität ihrer kulturellen Kernfunktion bewertet, sondern auch nach ihrem Beitrag zum demokratischen Zusammenleben.
Auch wenn sich das alles nach typisch westlichen Sorgen und Diagnosen anhört, kann der Blick auf nichtwestliche Institutionen in diesem Zusammenhang überraschende Einsichten und Inspirationen liefern. Gerade weil dort Museen oftmals nicht von vornherein selbstverständlich, sondern historisch ein kolonialer institutioneller Import sind, müssen Fragen der eignen Relevanz und Viabilität offensiver gestellt werden – besonders in Gesellschaften, die von hoher sozialer, religiöser und kultureller Diversität geprägt sind. Das 2013 gegründete Madhya Pradesh( MP) Tribal Museum Bhopal in Indien wird im Folgenden als Beispiel einer solchen Institution behandelt und auf die Frage hin untersucht:
Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit das Museum als „ Dritter Ort“ wahrgenommen und genutzt wird?
Aber zunächst eine kurze Einführung zur Idee des „ Dritten Ortes“.
1. Das Konzept „ Dritter Ort“ nach Ray Oldenburg
Mit „ Dritter Ort“ steht ein Konzept, das bereits vor mehr als dreißig Jahren vom amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg entwickelt wurde, neu im Fokus. Oldenburg hatte 1989 in seinem Buch „ The Great Good Place“ das erste Mal von einem „ Dritten Ort“ in seiner Typologie der elementaren Sozialräume für Stadtbewohner * innen gesprochen. Neben dem „ Dritten Ort“ wird dort das Zuhause als „ Erster Ort“ und der Arbeitsplatz als „ Zweiter Ort“ als identitätsprägend sowohl für das Individuum als auch für seine lokale Gemeinschaft definiert. „ Dritte Orte“ sind meist nicht neu, sondern über einen längeren Zeitraum organisch gewachsen, es sind vertraute und community-erprobte Einrichtungen, die gern und regelmäßig aufgesucht werden, blind gegenüber sozialen Status, inklusiv und ohne Zugangsbarrieren, für ihre Besucher * innen ein „ Zuhause außerhalb von zuhause“( Oldenburg 1989, 38). Diese Eigenschaften ermöglichen, was Museen und Kultureinrichtungen im Allgemeinen anstreben, nämlich eine bunte gesellschaftliche Mischung ihrer Besucher * innen, ihre Begegnung an einem Ort, an dem sich alle wohlfühlen. Zusammenfassend sind nach Oldenburgs Definition „ Dritte Orte“: neutral, sozial nivellierend, kommunikativ, inklusiv, barrierefrei und zugänglich, ein „ Zuhause außerhalb von zuhause,“ atmosphärisch positiv.
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