Sonntagsblatt 6/2016 | Page 3

MOTTO „Wenn wir nicht von vorne anfangen, dürfen wir nicht hoffen, weiterzukommen.” Johann Gottfried Seume, dt. Dichter / 1763–1810 Etwas stimmt nicht… Theorie und Realität Gar oft hört man sagen: etwas stimmt nicht – mit meinem Blut - druck; – mit diesem verrückten Wetter; – mit dieser Migranten - politik; – mit dem Arbeitslohn; – u.a.m. Ja auch: Ungarns Nationa - litätenpolitik stimmt nicht! Und warum stimmt sie nicht? – ergibt sich darauf die Frage. Die Antwort – wenn überhaupt eine Erklärung erfolgt – ist vielfarbig. Weil Janus-Gesicht! Nach außen ein anderes als nach innen. – Viel versprochen, wenig zu fassen! Die Nationalitäten des Landes verlie- ren an Bedeutung. – Schöne Worte, keine Taten! Wie in Ungarn immer schon dagewesen…u.a. Doch bei genauerem Hinschauen und gründlichem Überlegen könnte die Antwort auch lauten: Die Nationalitätenpolitik ist – für die Minderheiten im Lande – nicht so gut, wie sie dargestellt wird. Von Mustergültigkeit weit entfernt. Viel Schein, wenig Sein! Also: Ein großer Unterschied zwischen Theorie und Wirklichkeit! Aber, ist wirklich nur allein die unbefriedigende Politik, die unge- nügende Durchführung der Gesetze/Verordnungen des Staates Schuld am Niedergang der Volksgruppen? Die Zahlen hinsicht- lich Bekenner zur Nationalität und noch mehr zur Muttersprache werden geringer! – obwohl eben die Ungarndeutschen sich einer „Erstarkung” rühmen können. Hier bekennen sich immer mehr Menschen – freilich viele nur „halb”, also zweitrangig – zur deut- schen Nationalität, doch die Zahl der Muttersprachler schrumpft und droht endgültig einzugehen. Um diese Lage zu festigen bzw. zu verbessern, bemüht sich die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU) mit der Schaffung von Programmen, welche die Verwirklichung entsprechender Pläne/Maßnahmen beinhalten. Dafür gibt es wunderbar gestaltete Hefte mit hoch- spurigen Texten. Beim Lesen dieser „Träume” wird einem warm ums Herz! Das Problem ist (worüber man ja nicht spricht) bloß, dass die vorgegebenen hochstrebenden Pläne/Vorhaben nicht durchge- führt werden, eben gar nicht oder nicht mit dem erwünschten und erhofften Erfolg vollbracht werden können. Warum? Weil etwas nicht stimmt… Man rechnet allgemein nicht mit den gegenwärtigen Gegeben - heiten d.h. mit der Realität! Um dies nachfühlen zu können lohnt es sich die 2010 herausgebrachte Broschüre der LdU mit der Überschrift „Wurzeln und Flügel” hervorzunehmen und den in den vergangenen sechs Jahren erzielten Erfolg auf schulischem/ erzieherischem Gebiet (wozu ja das Programm erstellt wurde) zu prüfen. Dass in letzter Zeit einige Bildungseinrichtungen in die Trägerschaft der LdU bzw. der örtlichen Deutschen Selbstverwal - tungen genommen werden konnten wird der Volksgruppe weder zu Wurzeln noch zu Flügeln verhelfen können. Dazu fehlen ein- fach grundsätzliche, fundamentale Umstände. Die sieben Leit - sätze des Programms sind eben nicht durchführbar, weil z.B. schon die angegebene Parole: „…zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel. Sind die Kinder klein, gib ihnen Wurzeln. Sind sie größer geworden, gib ihnen Flügel” unhaltbar ist. Haben doch die Eltern selber schon keine lebendi- gen Wurzeln, geschweige denn Flügel! – was können sie den Kindern übergeben (außer der ungarischen Muttersprache)? Dasselbe steht für die in diesem Jahr entstandene „Strategie der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen bis 2020”. Allen Punkten dieses Programms kann man, muss man widersprechen. Die klingen nämlich alle so schön, dass das gar nicht mehr wahr ist – wahr sein kann. Darauf näher einzugehen, ist an dieser Stelle unmöglich. Doch als Beispiel sollen 2–3 Themen erwähnt werden: In Punkt I/2 heißt es: „Zu einer effizienten (politischen) lokalen, regionalen und landesweiten Interessenvertretung bedarf es authenti- scher, der Volksgruppe verbundener und zur professionellen Arbeit fähi- ger Abgeordneten…” Vorerst wäre es wohl notwendig dem Józsi bácsi klar zu machen, was bedeuten die Wörter „effizient”, „authentisch” und „professionell”; und dann, wer entspricht die- sen Anforderungen und wie werden die betreffenden Personen ge - wählt werden. Eine Wahl, wie bisher praktiziert, bringt keine Ände- rung. Dazu steht unter Ziel 2. „…Die Identität und das Zusammen - gehörigkeitsgefühl der Gemeinschaft und ihrer Mitglieder werden gestärkt…als Indikator: Die Symbole (Fahne, Abzeichen, Hymne) der deutschen Nationalität werden bewusst und natürlich eingesetzt.” Genügt das Abzeichen für eine Stärkung der Identität? Ich kann mich erinnern wie man 1944 die Volksbund-Abzeichen und 1956 den Roten-Stern in Augenblicken verschwinden ließ, als hätte es diese niemals gegeben. Auch erfahre ich heutzutage immer wie- der, wie unsere Landsleute bei Veranstaltungen mit voller Brust die Volkshymne singen, darin „…deutsche Sprache, deutsche Art… haben treu wir uns bewahrt.” Doch kein deutsches Wort kann man in der Menge hören! Ja, Ideale/Vorb ilder, die gutes Beispiel geben könnten, benötigen diese Ungarndeutschen nicht – leider. In Punkt II/2 ist zu lesen: Das Ungarndeutschtum definiert sich als sprachliche Minderheit. Die Beherrschung der deutschen Sprache auf einem hohen Niveau, die Pflege örtlicher Dialekte und Traditio - nen…sind unverzichtbare Elemente ungarndeutscher Identität…Nun, bitte schön, in wie viel deutschen Selbstverwaltungen, Kultur - gruppen/-vereinen wird heute Deutsch oder Schwäbisch gespro- chen? Man kann sie wohl an den Fingern abzählen. Und wann und wie wird die LdU an diesem Zustand ändern? Dafür sollte man eine Strategie vorlegen – aber auch in die Tat umsetzen. Nachher kann man von unseren Landsleuten erwarten, dass sie sich wieder an ihre Muttersprache gewöhnen. Im Teil IV. Jugend heißt es: Der Garant unseres Fortbestands ist die Erziehung einer jungen Generation mit starker Identität… Richtig! Aber wer soll diese Erziehung vollstrecken? Und wie? Da wäre es doch notwendig verständlich zu erklären: Was ist Volk, Nation und die Nationalität? Was bedeutet Deutscher/Ungarndeutscher zu sein? Was ist nationale Identität? Muttersprache (als Grundpfei - ler der Nationalität)? Ja, wir brauchen eine gute Strategie, die auch durchgeführt werden kann und wird. Und dazu brauchen wir – wie schon in Sonntagsblatt 4/2016 betont – einen guten Strategen bzw. viele entsprechende Strate - gen! Denn gegenwärtig stimmt etwas nicht, trotz der schönen, bunten, wohllautenden Broschüren. Taten sind gefragt! Georg Krix O ZUKUNFT DER UNGARNDEUTSCHEN Frau Dr. Susanna Gerner, Fünfkirchner Honorarkonsulin der Bundesrepublik Deutschland, Leiterin des Germanistischen Lehr - stuhls der Universität Fünfkirchen/Pécs, äußerte sich in ihrer Ansprache auf der Landesgala der Deutschen Selbstverwaltungen Ungarns im Januar 2016 zur Zukunft der Ungarndeutschen wie folgt: „Für die Zukunft der deutschen Volksgruppe in Ungarn ist entschei- (Fortsetzung auf Seite 4) 3