MOTTO:
Der Gedanke an die Vergänglichkeit
aller irdischen Dinge ist ein Quell unendlichen Leids –
und ein Quell unendlichen Trostes.
Marie von Ebner-Eschenbach
Durch Vielfalt zur Einheit
Eine kleine Wahlnachlese
am Ende eines Superwahljahres
Ein Kommentar von Richard Guth
25.108 Stimmen und damit ein traumhaftes 100%-Ergebnis bei
(jedenfalls pro forma) demokratischen Wahlen. So viele Wahl -
ungarndeutsche stimmten für die deutsche Liste. Ein Ergebnis,
was selbst manch ein Politprofi aus den achtziger Jahren des ver-
gangenen Jahrhunderts beneiden würde. Die „Einheitsliste” hat
das Ergebnis gebracht, was man von ihr unverhohlen erwartet hat.
Die Wahlbeteiligung lag bei knapp über 70%, eigentlich ein gutes
Ergebnis, denn dieser Wert lag bei den Kommunalwahlen, die
gleichzeitig stattfanden, bei lediglich 45%. Auch die Zahl der un -
gültigen Stimmen (3342) hielt sich in Grenzen, dennoch könnte
dies als ein Zeichen gewertet werden. Ein stummes Zeichen des
Protests etwa? Wir werden es wahrscheinlich nie erfahren.
Eine andere Zahl trübt jedoch das Bild: 40.906. So viele Bürger
ließen sich in der deutschen Wählerliste registrieren, somit nun
deutlich mehr als bei den Parlamentswahlen. Wenn man bedenkt,
dass man hier nicht auf sein politisches Mitwirkungsrecht verzich-
ten musste, ist die Zahl dennoch ernüchternd. Sie zeigt eine gerin-
ge Mobilisierung unter den Ungarndeutschen. Oder waren die
guten Volkszählungsergebnisse doch nur eine Eintagsfliege? Wir
werden es womöglich nie erfahren.
War die Registrierungsabstinenz womöglich ein Ausdruck des
Protests oder einer Art Verdrossenheit über die Einheitsliste? Wir
werden es höchstwahrscheinlich nie erfahren.
Eine Einheitsliste ist beim besten Willen nie in der Lage, die
Vielfalt in einer Gesellschaft oder Gruppe von Menschen abzubil-
den. So sind nunmal Einheitslisten. Einheit scheint auf den ersten
Blick verlockend zu sein, sie tötet jedoch das höchste Gut der
Pluralität, eine der wichtigsten demokratischen Werte, und produ-
ziert Einheitsmenschen mit einer Einheitsmeinung, die sich auf
einen Einzigen, eine Führungsfigur oder eine einheitliche Linie
hörend stets krampfhaft bemühen, ihre Eigenarten zu verdecken
und sich dem Einheitswillen unterzuordnen. Will man das wo -
mög lich bewusst herbeiführen? Ob wir es jemals erfahren wer-
den!?
Interessant war es dennoch, im Vorfeld der Wahlen, zu beob-
achten, wie die LdU-Oberen versucht haben, den Kreis derer, die
auf Landesebene gewählt werden können (passives Wahlrecht),
einzuschränken. Ein Akt guten Willens oder ein bewusst herbei-
geführter Pluralitätskiller? Es ist unwahrscheinlich, dass wir das
jemals erfahren werden.
Einheitslisten können zum Erstarren von Systemen führen, sie
lassen diese stagnieren, amtsähnliche Strukturen erschlaffen. Die
vier Jahre der letzten Legislaturperiode der LdU dürfen beileibe
nicht als Stillstand betrachtet werden. Aber zu behaupten, dass sie
von großen Weichenstellungen geprägt waren, damit wäre man
der Sache auch nicht gerecht. Selbst LdU-Vorsitzender Heinek
sprach in der letzten SB-Nummer davon, zu oft in der Defensive
gewesen zu sein.
Pluralität schafft hingegen Bewegung, schafft eine Grundlage
für den Innergrupp-Dialog, sorgt für neue Ansätze und Impulse.
Ein Dialog, den wir Ungarndeutsche so schmerzlich vermisst ha -
ben. Inwiefern die Einheitsliste diesem Bedürfnis Rechnung trägt,
bleibt abzuwarten. Die Erfahrungen der letzten vier Jahre verhei-
ßen aber nichts Gutes.
Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel der Ungarn slo -
waken: Sie verfügen über starke zivile Organisationen. In der letz-
ten Legislaturperiode saß Ján Fuzik der Landesselbstverwaltung
vor und verfügte über eine hauchdünne Mehrheit. Die Wahlen
2014 brachten ein ganz anderes Ergebnis zweier konkurrierender
Bündnisse. Diesmal siegte die Opposition, sogar mit einer Zwei -
drittelmehrheit. Sicherlich spielte dabei der Wechsel von Fuzik ins
Parlament eine Rolle. Ob das Früchte trägt? Vielleicht werden wir
es auch nicht erfahren.
Aber wir werden es in den nächsten vier Jahren in jedem Falle
genau beobachten.
• Aktuelles •
Ein Briefwechsel nach der Wahl
Liebe Leser! Bitte, lassen Sie sich die angeführten Gedanken der
Briefeschreiber gut durch den Kopf gehen! Es wird damit viel ge -
sagt, was unsere Aufmerksamkeit verdient und in Zukunft beher -
zigt we rden sollte.
Dr. Jenô Kaltenbach gratuliert zur Wahl: (an alle Vertreter der neuge -
wählten Landesselbstverwaltung gerichtet):
Liebe Freunde,
allen voran möchte ich Euch zu Eurer Wahl gratulieren und wün-
sche Euch viel Erfolg bei der Bewältigung der anstehenden Auf -
gaben. Beim Verfassen meines Briefes bin ich von dem Gedanken
geleitet worden, zu deren Gelingen beizutragen.
Ich wäre gerne unter Euch, weil ich denke, dass ich dank mei-
nen mehrjährigen Erfahrungen im Inland und in Europa zum
Erfolg dieser Arbeit hätte beitragen können. Ich war der Mei -
nung, dass wenn ich gut genug als Gründungsvorsitzender war,
mehrfach gut genug für das ungarische Parlament, den Europarat,
Deutschland und Ungarn, dann habe ich eine Chance, das Ver -
trauen der Gemeinschaft zu gewinnen, jedoch dachten gewisse
(allen voran zwei) Herren, dass die Sicherung der persönlichen
Po sitionen um jeden Preis mehr Wert ist als die Interessen der
Gemeinschaft. Tuch drüber. Wenn ich offiziell nicht helfen kann,
dann versuche ich es als Privatmann. Zusammen mit einigen
Weggefährten von Euch habe ich ein „Programm” entworfen, das
zum Teil im Sonntagsblatt abgedruckt wurde, dazu bitte ich – so
von außen – um Eure Unterstützung. Natürlich betrachte ich es
nicht als einen abgeschlossenen Prozess, aber als einen Anstoß,
um darüber zu diskutieren, gerade, weil wir das Diskutieren in den
letzten Jahren so schmerzlich vermisst haben.
Das Ungarndeutschtum müsste anhand ihrer Besonderheiten
(Größe, Vergangenheit, Fähigkeiten) ein integraler Bestandteil
der ungarischen Gesellschaft sein, aber das ist es nicht, sondern
eine mehr oder weniger isolierte, marginale Erscheinung. Eine
Insel, die nicht mit der Welt drumherum kommuniziert, die weit
unter ihren Möglichkeiten bleibt, und daran hat auch die vergan-
gene Zeit nichts geändert.
Viel problematischer ist die fehlende Kommunikation inner-
halb der Gemeinschaft, was die schwere Niederlage bei der ver-
gangenen Wahlprozedur mehr als deutlich zeigt. Allem Anschein
nach haben wir nicht nur nicht die richtigen Konsequenzen gezo-
gen, sondern ist der Dialog zwischen den Führungspersön lich kei -
ten und den Geführten noch sporadischer als je zuvor. Praktisch
(Fortsetzung auf Seite 4)
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