immerfort knapp vor der Tür. Die Zeiten waren in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht von fürchterlichem Ernst und drängten allseits zu raschem Handeln. Da beschlossen die zu ihren Erb- gütern zurückgekehrten ungarischen Adeligen und kirchlichen Gutsherrschaften, Hand in Hand mit der Wiener Regierung, sich dringend nach Ansiedlern umzusehen, die der in der neuen Heimat harrenden, fast übermenschlichen Aufgaben gewachsen wären. Hunderte von geschickten, oft mit allen Salben geriebenen Agenten durchzogen alle Lande Deutschlands, und es begann eine unermüdliche Werbung um tüchtiges, arbeitskräftiges und schicksalergebenes deutsches Siedlervolk. Es dauerte nicht lange und die paradiesischen Verheißungen der Werbeagenten zeitigten auch schon ihre Früchte. In langen Scharen zu Fuß, zu Schiff, oft mit Ross du Wagen kamen wohlhabende und arme Bauern und Handwerker, Tausende und abermals Tausende deutsche Familien in das durch die Türkenkriege verwüstete Ungarland. Diese deutschen Ansiedler, die Altvordern des heutigen Deutschtums in Ungarn, – mit Ausnahme der westungarischen Deutschen – wurden von den ungarischen Grundherren überall mit großem Wohl- wollen und mit noch größeren Erwartungen aufgenommen. Man hatte sich nicht getäuscht, nicht verrechnet. Die Schwaben – wie sie seit Menschengedenken landesüblich genannt werden und sich auch als solche bekennen, gleichviel, wohin sie auch heute gehören – stellten durchwegs ihren Mann. Wo sie hinzogen, auf ebene Gelände oder zwischen Berge und Hügel, setzte von der Stunde an ein heroischer Kampf mit der widerspenstigen und doch so fruchtbaren Scholle ein. „ Und wo einst Moraste und Moor- schlamm ihren tückischen Leib weit und breit reckten, wo ungerodeter Wald sich wie eine ungeheure Wildnis auf der Scholle breit machte, wo Wildtier, Raubwild, Korn und Weizen zerstampfend wechselte und kriechendes Ungeziefer hausten, wo gelbes Fie ber und die schwarze Krankheit und andere Volksseuchen nach frischem und gebrochenem Menschenleben restlos griffen, da betraten die schwäbischen Altvordern die Sümpfe und Wälder, gruben Teiche, befreiten die Scholle von Wasser und gefährlichem Wild, schwenkten die brausende Axt, rodeten den gespenstigen Urbaum, stemmten die eisernen Spaten in den Leib des widerwilligen Bodens, schwitzten und keuchten, dass selbst Gott seine Freude an ihnen hatte. Und sie ackerten, rodeten und reuteten Ta ge und Nächte hindurch. Sie waren die Helden, die Namen- losen der Geschichte entgangenen Bauernhelden, die das Unmög- liche wagten und taten! Ganze Dörfer, volle Reihen von Ge- schlechtern opferten sich diesem unbewusst als heilig empfundenen Ziel. Es vergingen nicht viele Jahre und Tausende von frühzeitigen Gräbern wölbten sich über dem frischen jungfräulichen Gottesacker. Doch auch der unsinnigste Tod konnte diesen Men- schenschlag nur betrüben, nicht aber knicken und nicht die urwüchsige Lust an Arbeit und Vorwärtsdrängen rauben.” So schil dert ein junger, deutschungarischer Dichter, Philipp Hilger, das Ahnenschicksal Batschkaer und Banater deutscher Bauern- siedler. Freilich nicht alle waren diesem Schicksal fast über- mensch lichen Ringens gewachsen. Die kleinmütig wurden, verzweifelten oder verzagten, – es waren nur wenige – zogen in die alte Heimat wieder zurück. Die aber den Kampf aufnahmen, die widerspenstige Scholle endlich besiegten, haben im Schweiße ihres Angesichts hier sich die neue Heimat redlich erkämpft. Wer den harten Kampf dieser Menschen im Geiste mitzuerleben vermag, versteht auch die immer wieder bewunderte Liebe und Treue aller nachkommenden Geschlechter zu dieser Scholle, zum ungarischen Heimat- und Vaterland. Seine Scholle, sein Haus und Eigentum hatte er sich auf seine Art durch Arbeit und unendlich viele Todesopfer verdient und nun lässt er nicht davon und vererbt dieses tiefe und makellose Herzensgefühl, diesen Trieb der zäher Anhänglichkeit auf Kinder und Kindeskinder!
Zwei Jahrhunderte rastloser, zäher Arbeit, die allen schädlichen Leidenschaften abholde, naturkluge Sinnesart, der gesunde, recht neuzeitlich anmutende Erwerbsdrang, die fromme Tüchtigkeit auf allen Gebieten menschlicher Tätigkeit, die mit Besonnenheit verbundene Sparsamkeit brachten denn auch baldigst ihre Früchte. Überall, wo die Nachkommen einstiger deutscher Ansiedler, die zum größten Teil als Häusler und Hörige kirchlicher und weltlicher Grundherrschaften ihre Arbeit begonnen hatten, heute leben, gedeiht und blüht fruchtbares Ackerland.
Man hat nicht weit zu gehen oder lange zu fahren von der schönen Millionenhauptstadt Budapest und man ist schon inmitten des malerisch herrlichen Ofner Berglandes, wo zwischen Tälern eingebuchtet ungefähr dreißig schwäbische Dörfer liegen. Einige, wie Budaörs und das am linken Ufer der Donau liegende Soroksár, kaum einige Kilometer von der ungarischen Hauptstadt entfernt, habe heute eine Bevölkerungszahl, die die Zehntausend übersteigt. Reinlichkeit und unermüdlicher Fleiß sind diejenigen Eigen schaften, welche die Aufmerksamkeit eines jeden Fremden auf den ersten Blick auf sich lenken. Unter der Hand dieser Ofner Schwaben erschlossen sich selbst die oft sehr schwer zugänglichen Berghalden und Hügelkuppen. Wer von Wien bis Budapest mit dem Schiff herunterkommt, fährt auch an der Großgemeinde Dunabogdány vorbei; unmittelbar neben dem Donauufer erhebt sich hier ein steiler, breitrückiger Berg. Die Dunabogdányer Schwa ben, die sich zumeist mit Wein- und Obstbau beschäftigen, nahmen den Kampf mit diesem sich bisher aller menschlicher Hand Widersträubenden Berg auf, bis ihre hartnäckige Arbeits- wucht ihn bezähmte. Diese gewaltige Kraftentfaltung steht hinter der von rheinländischen Bauern um nichts zurück.
Der Fleiß gereichte natürlich diesem Volke zum wohlverdienten Nutzen. Vor dem Kriege( Erster Weltkrieg) herrschte hier überall gemäßigter Wohlstand. Gab es auch keinen auffallenden Reich- tum, so war aber auch Armut unbekannt. Selbst die der Gruben- arbeit der immer weiter umsichgreifenden Kohlenbergwerke zu- ge triebenen Arbeiter waren noch halbwegs Bauern. War ihre Arbeit mit Krampe und Spitzhammer in den Schichten zu Ende, so trieb sie das echte Bauernblut immer wieder zum Erwerb eines wenn auch noch kleinen Ackerlandes.
Dieser Hang zur Bodenständigkeit und zum bäuerlichen Leben erklärt auch ihr zähes Festhalten am ursprünglichen Volkstum. Die Schwaben der Ofner Berge, wie des landschaftlich, sprachlich und wirtschaftlich gleichgearteten Schildgebirges haben ihr unverfälschtes deutsches Volkstum restlos bewahrt. Bedenkt man dabei, dass ein großer Teil der Ofner Schwaben fast tagtäglich in der Haupt stadt verkehrt, sozusagen Hauptträger des Budapester Milch-, Gemüse- und Obsthandels ist, also tagfürtag in einem As- si milationsmilieu verkehrt und trotzdem mit erstaunlicher Zä- higkeit an seiner ursprünglichen Art festhält, so lernt man dieses seiner Abstammung und Mundart nach österreichisch-bayrische Siedlervolk erst richtig einschätzen. In der Hauptstadt kann man diesen Schwaben auf den Straßen, besonders in der Umgebung der großen Markthalle alltäglich begegnen. Frauen wie Männer fallen durch ihre Kleidung schon von weitem auf. Sie sind ohne Ausnahme mit fast peinlicher Reinlichkeit gekleidet. Die Männer tragen oft noch enganliegende Hosen und Stiefel und binden sich zumeist auch eine blaue, gesteifte Schürze um. Auch die Frauen, die in der Handelstüchtigkeit nicht hinter ihren Männern zurückbleiben, ziehen in ihrer einfachen, alle grellen Farben meidenden Werktagstracht in die Stadt, oft unglaublich schwer mit Milch- kannen und Körben beladen. Sollte man sie in ihrer auffallenden Sauberkeit, an ihrer Tracht, an den Kopftüchern und den daheim verfertigten Pantoffeln und farbigen Strümpfen nicht erkennen, so hört man es ihrer Sprache an, die mit einer herkunftstreuen
( Fortsetzung auf Seite 24)
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