Sonntagsblatt 6/2014 | 页面 20

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war zu akzeptieren. Dahingegen greift aber die Analyse der Rolle und Tätigkeit des Volksbundes zu kurz, wenn Marchut doch zu sehr diesen als willfähigen Vollstrecker nationalsozialistischer In- te ressen( Fünfte Kolonne-Theorie) darstellt. Auch wenn seine un- rühmliche Rolle bei den Waffen-SS-( Zwangs-) Rekrutierungen in- diskutabel ist. Es wäre ungerecht, ihre Darstellung als einseitig zu bezeichnen, denn sie bemüht sich durchaus hier eine zeitliche Differenzierung vor und nach 1939 vorzunehmen und die Be deu- tung des Volksbundes als Kulturorganisationen im Auge vieler apo litischer Ungarndeutscher hervorzuheben. Weiterhin steht die Frage im Raume, inwiefern der Volksbund in der Lage war, eine eige ne Politik zu betreiben. Nach Marchuts Ausführungen hat der Leser durchaus den Eindruck, als hätte hier der Volksbund eine ak tive Gestaltungsrolle übernommen. Die Akzentuierung und Differenzierung hätten hier meines Erachtens präziser sein müssen.
Bermerkenswert ist im Zusammenhang der Darstellung der Umstände der Entrechtung und Vertreibung, dass Marchut diese in Verbindung mit handfesten wirtschaftlichen Interessen Un- garns bringt( Lösung der Bodenfrage), wobei auch diese Erkennt- nis keine neue ist. In der Frage der Vertreibung vertritt sie die Position der neuen ungarischen Geschichtsforschung, wonach Un- garn hierbei eine Initiatorenrolle zukam. Ihre Ausführung zu Meinungsverschiedenheiten unter den Alliierten bezüglich der Frage der Vertreibung erscheinen als wenig präzide dargestellt, was beim Leser durchaus den Eindruck erweckt, als zweifele Marchut die Verantwortung Ungarns bei der Vertreibung der Ungarndeutschen dennoch an.
„ Bruchpunkte” – der Buchtitel ist dennoch gut gewählt, denn vieles ist in diesem Vierteljahrhundert in die Brüche gegangen, auch innerhalb der lokalen Gesellschaften. Leidtragende waren in erster Linie die deutschen Dorfgemeinschaften, deren Schicksal zu einem Spielball ungarischer und deutscher Politik wurde. __________________________________________ * Marchut, Réka: Töréspontok. – Budapest 2014

❖ Der Ackermann aus Rudolfsdorf

Eine Tragödie in drei Akten( Gewidmet den Donauschwaben) von Peter Wassertheurer
Den historischen Rahmen bildet die Tragödie der Donauschwa- ben in den jugoslawischen Konzentrations- und Arbeitslagern am Ende des Zweiten Weltkriegs und in den ersten Nachkriegsjahren. Rudolfsdorf, eine kleine Ortschaft im Norden der Batschka nahe der Grenze zu Ungarn, wird zum Teil in ein Internierungslager umgewandelt, in dem die donauschwäbische Bevölkerung einen brutalen Überlebenskampf führt, den viele von ihnen verlieren. Die Zustände im Lager sind von Krankheit, Hunger, Gewalt und der Allgegenwärtigkeit des Todes gekennzeichnet. Ein junger, katholischer Priester wird ins Lager eingeschleust, um einer jungen Mutter die Sterbesakramente zu geben. Er kommt jedoch zu spät. Die Frau ist bereits tot. Ihre drei kleinen Kinder hocken weinend neben ihrer Mutter. Zwei Frauen nehmen sich der Kinder an. In diesem Moment erscheint ein serbischer Offizier in Partisa- nenuniform. Zwischen dem Priester und dem Offizier beginnt ein Dialog, in dem der Priester das Unrecht im Lager Rudolfsdorf anprangert und den Offizier für den Tod der Frau verantwortlich macht. Der Offizier verteidigt das Lager als Symbol für das neue gesellschaftliche System, dem die bäuerliche, traditionelle Ord- nung der Donauschwaben geopfert wird. Später erscheint ein Rich ter, um im Namen der irdischen Gesetze Recht zu sprechen. Er verurteilt die Donauschwaben dafür, dass sich ein Teil von ihnen dem NS-Okkupationsregime dienstbar gemacht hatte, mahnt aber die Partisanen zu mehr Gerechtigkeit und Mensch- lichkeit. Sein Urteil bleibt ausgewogen, ohne dass die Schuld an den Grausamkeiten des Krieges und im Lager einer Seite geschoben wird. Der Richter spricht den Schuldigen Schuld, den Un- schul digen jedoch Unschuld zu. Das Schicksal der Donau schwa- ben wird jedoch vom Richter nicht in Frage gestellt, da er sich für dafür nicht verantwortlich fühlt. Das Stück endet mit dem Freitod des Priesters, der sich angesichts des Elends und seiner Zweifel an Gott nicht mehr dem Selbstmordverbot der katholischen Kirche verpflichtet fühlt. Der Offizier beginnt infolge des Grauens zu trinken und erleidet im Lager einen Nervenzusammenbruch. Er verfällt dem Wahnsinn und wird in eine Irrenanstalt eingeliefert. Der Teil der donauschwäbischen Bewohner von Rudolfsdorf, der überlebt hat, kann mit fremder Hilfe das Lager verlassen und flieht über Ungarn zunächst nach Österreich. Von dort aus gelangen viele weiter nach Deutschland.

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Was bedeutet für uns, Schwabe zu sein? – der Abiturient Mar- tin Stock( 19) aus Saar über die Facetten seiner Identität
Seit ich mich daran erinnern kann, lebte meine Familie die „ Rolle der Schwaben”. Wie und warum? Zuerst beantworte ich die zweite Frage. Wegen den Traditionen. Weil die Donauschwaben keine solche Möglichkeiten hatten wie die anderen Nationen oder Min- derheiten in Ungarn. Ich denke – aber das ist nur meine Meinung –, dass die Schwaben nicht wirklich ein eigenes Land haben. Sie sind aus Deutschland nach Ungarn gezogen. Was kam danach? Dass die Schwaben ihre Traditionen und ihre Geschichte nur im Kopf oder untereinander erhalten konnten. Wir haben sehr wenig schriftliche Zeugnisse.
Und jetzt kommt, das zweite Fragewort: wie? In unserem Dorf, in Saar, sind die Menschen – meist die Alten – sehr religiös. So hal ten und feiern wie immer die Tage, die eine religiöse Bedeu- tung haben.
Seit 17 Jahren funktioniert eine Tanzgruppe in Saar. Dort tanze ich und meine Geschwister auch. Für uns war das erstens nur ein eine Art „ sportliche oder Freizeitbetätigung”. Aber jetzt weiß ich schon, dass je älter jemand wird, desto besser kann er die Ge- schichte seiner Nationalität verstehen. Das erging mir auch so. Jetzt bin nicht mehr so aktiv in der Gruppe, wie ich einst war. Aber mein Bruder ist das schon. Er besucht einen Kurs, wo man Volkstanzlehrer werden kann. Alle sind stolz auf ihn.
Ich spiele in einer Kapelle. Ich bin Tenorhornspieler. Hinsicht- lich Musik führe ich unsere Familientradition weiter. Weil mein Großvater und Urgroßvater väterlicherseits auch Musiker waren. Wir haben viele Auftritte, aber nicht nur deswegen machen wir alles, sondern wir wollen die alten Noten, Melodien, die vielleicht sogar aus dem Gedächtnis der Alten verschwunden sind, bewahren. Das ist ein Ziel von uns.
Wir besuchten die Grundschule in Saar, die eine Nationalitäten- grundschule ist. Die kleinen Kinder feiern den Martinstag, dort machen sie Laternen, laufen im Kreis um die Kirche und singen wäh rend dieses Umzugs. Immer an Weihnachten laufen auf den Straßen verkleidete Kinder. Sie sind die Christkindlspieler. Ihr Auftritt ist normalerweise auf Ungarisch, aber das ist kein Ge- heimnis, dass sie auch eine andere Version kennen, auf Deutsch oder besser gesagt auf Schwäbisch.
Und jetzt kommt das größte Problem. Die Sprache. Die Spra- che kennen nur noch die Alten. Ich weiß nicht, warum, aber in vie-
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