Sonntagsblatt 6/2014 | Page 12

den Madjaren deutlich in der Mehrheit. In den im Friedens- vertrag von Trianon Rumänien zugesprochenen Gebieten stellten die Rumänen( in der Volkszählung von 1910 sprach man von „ Vlachen”) 55 % der Gesamtbevölkerung, während die Deutschen 9 %, die Madjaren lediglich 34 %. Das rumänische 55 % stand dem madjarischen 34 % gegenüber. Márai schrieb 1944: „ Das Schicksal Siebenbürgens ist schmerzhaft. Auch die Finnen hängen an Petsamo und Karelien, den Bulgaren ist Mazedonien wichtig und auch die Rumänen schmerzt die Moldau und Bessarabien. Den- noch rechnen sie mit der Realität(…) und sie denken nicht in Ge- bietsstreifen, sondern bemühen sich um die Rettung der Grund- lagen der nationalen Existenz.”( Márai, 2004, 219)
Ich antworte mit statistischen Angaben zur Bevölkerungsent- wick lung auf die Frage eines Kommentators, die in etwa so lautete: „ Wenn eine Minderheit sich vermehrt, muss man ihr dann einen Teil des Landes geben?” Wenn sich die Frage auf die Ver- gangenheit, auf die Entscheidung von Trianon bezieht, dann muss ich ihn darauf aufmerksam machen, dass in Ungarn die ganze Zeit – im 19. Jahrhundert jedenfalls – die Madjaren in der Minderheit waren. In dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts war Ungarn bei einer Zweidrittelmehrheit der Nationalitäten ein „ Land der Mad- ja ren”. Nicht die Nationalitäten, die die Mehrheit stellten, sondern die Madjaren in der Minderheit – wenn er schon diesen nicht ganz glücklich gewählten Begriff verwendete – „ vermehrten sich”.
In Zahlen ausgedrückt: Der Anteil der Nationalitäten sank von 70 %( 1780) auf 52 %( 1910), während der der Madjaren von 30 % auf 48 % stieg. Zum Teil ist dies der natürlichen, zum Teil der gewaltsamen Madjarisierung zu verdanken. Es war nur noch die Rache der Entscheidungsträger in Trianon gegenüber dem Kriegs- verlierer Ungarn( vae victis), dass drei Millionen Madjaren, die in ethnisch homogenen Gebieten lebten, unter tschechoslowakische, rumänische oder jugoslawische Herrschaft gerieten. Wenn sich seine Frage auf die Zukunft bezog, dann lautet meine Antwort nein, man soll diese Gebiete nicht abtreten. In Transdanubien gibt es heute noch Dörfer, wo Deutsche, Kroaten, Serben einen be- acht lichen Anteil der Bevölkerung stellen, trotzdem denkt keiner daran, dass man sie ihrem Herkunftsland anschließen sollte. Wenn sie in einer Ortschaft die Mehrheit erlangen, wählen sie die Selbstverwaltung. Punkt.
Auf dem Gebiet Ungarns oder anders genannt des Ungarischen Königreichs lebten insgesamt acht bedeutende Völker: Madjaren, Kroaten, Deutsche, Rumänen, Rutenen, Serben, Slowaken und Slo wenen. Im Osten, Südosten, in Siebenbürgen, war die Anzahl der Madjaren in manchen Komitaten, auch wenn sie in der Min- derheit waren, bedeutend. Die Volkszählung von 1910 ergab sechs Komitate( Unterweißenburg, Fogarasch, Eisenmarkt, Krassó, Szörény, Szolnok-Doboka, Torda-Aranyos), in den auch so die Rumänen die überwältigende Mehrheit( 70 – 90 %) stellten. Im Süden, in den acht kroatischen Komitaten gab es neben den 90 % Kroaten bzw. Serben 4 % Madjaren. Wenn wir dazurechnen, dass die nördlichen Komitaten( Arwa, Barsch, Liptau, Neutra, Trentschin, Turz, Scharosch, Zips, Sohl) über eine deutliche slowakische Bevölkerungsmehrheit verfügten, dann ist die große Sorge des historischen Ungarns verständlich: Dass die Nationa litäten an den nördlichen, östlich – südöstlichen und südlichen „ Enden” ohne Zweifel die Mehrheit stellten.( Darüber geben die Karten auf S. 336-337 ausführlich Auskunft.) Was auch nicht gelöst hätte, wenn im Land die Madjaren und die Nationalitäten die Waage gehalten oder wenn die Madjaren die Mehrheit gestellt hätten. Denn die Madjaren wohnten vornehmlich in Zentralun garn, im Norden die Slowaken, im Osten die Ruthenen und die Rumänen, im Süden die Serben und die Kroaten waren in der Mehrheit. Auch im Rahmen einer ehrlichen ethnischen Neu ordnung hätten wir auf große Gebiete verzichten müssen. Aber noch einmal: Die
Siegermächte haben in Trianon nicht nach einer „ ehrlichen Neuordnung” gesucht. Auf der Tagesordnung stand die Erfüllung der Versprechen gegenüber den Rumänen und Tsche chen und die Bestrafung der Madjaren.
Die genannten acht Völkerschaften bewohnten bunt gemischt das Karpatenbecken. Nach den landesweiten demografischen Daten werfen wir einen Blick auf die Bevölkerung in den Komi- taten. Seinerzeit habe ich es in der Schule noch so gelernt, dass Ungarn 1910 aus 63, Kroatien-Slawonien aus 8, also das Unga- rische Königreich aus 71 Komitaten bestand. Als eigene Ver wal- tungseinheit(„ corpus separatum”) galt Fiume, das kein eigenständiger Komitat in Kroatien – Slawonien war und auf dem Ge biet von Modruš-Rijeka lag. Wir hörten entzückt im Radio: „ Schön bist du, wundervoll bist du, Ungarn”. Lasst uns einen Blick auf die Bevölkerung in den 71 Komitaten dieses „ wundervollen” Ungarns werfen.
In 59 von 71 Komitaten gab es irgendeine madjarische, rumänische, slowakische, kroatische, deutsche oder serbische absolute Mehrheit. Die rutenische und slowenische Bevölkerung stellte in keinem Komitat die absolute Mehrheit. Eine madjarische absolute Mehrheit wiesen 31 Komitate auf. Nach dem Trianon-Vertrag verblieb das Gebiet von 13 Komitaten vollständig bei Ungarn( ich zählte hierzu diejenigen Komitate, in denen der Anteil der abgetretenen Fläche an der Gesamtfläche des jeweiligen Komitats nicht die 5 %-Marke als Korrekturgröße überschritt): Bekesch, Borsod, Csongrád, Weißenburg, Raab, Haiduck, Hewesch, Jazy- gen-Großkumanien, Pesth – Pilisch – Scholt – Kleinkumanien, Scho- mo dei, Szabolcs, Tolnau, Wesprim). In diesen Komitaten – bis auf die Tolnau und Bekesch – betrug der Anteil der Madjaren zwischen 85 und 100 %. Mehr oder weniger verblieben 14 Komitate bei Ungarn: Abauj – Torna, Branau, Bihar, Csanád, Gran, Gemer und Kleinhont, Komorn, Naurad, Ödenburg, Sathmar, Eisenburg, Sala, Semplin.
Die vier Komitate des Seklerlandes mit madjarischer Bevölke- rungsmehrheit( Tschick, Háromszék, Mieresch-Torda, Udvarhely) wurden vollständig Rumänien zugesprochen. Da Siebenbürgen – zum Teil aufgrund der ethnischen Verhältnisse, zum Teil als Lohn für den rumänischen Seitenwechsel – zu Rumänien kam, hatten die vier Seklerkomitate am Rande des Ungarischen Königreichs keine Chance, bei Ungarn zu verbleiben. Diese vier Komitate ha- ben sich im Laufe der Jahrzehnte vollständig von dem Rest Un- garns isoliert. Der Weg dahin war markiert von zwei Komitaten mit rumänischer Mehrheit( Klausenburg, 68 %, und Torda-Ara- nyos, 72 %) und selbst der dritte, Bihar, mit einer hauchdünnen mad jarischen Bevölkerungsmehrheit von 53 %, vermochte es nicht, die Isolierung der vier Seklerkomitate zu durchbrechen. Was die Friedenskonferenz erst gar nicht durchbrechen wollte. Siebenbürgen bot die Entente als Gegenleistung für den Seiten- wechsel Rumänien an.
Eine rumänische Bevölkerungsmehrheit hatten folgende elf Komitate: Unterweißenburg, Arad, Bistritz – Naszod, Fogarasch, Eisen markt, Klausenburg, Krassó – Szörény, Hermannstadt, Szi- lágy, Szolnok – Doboka, Torda – Aranyos. Diese Komitate kamen mit ihrer Gesamtfläche zu Rumänien. Es gab eine slowakische Be- völkerungsmehrheit in neun Komitaten: Arwa, Barsch, Liptau, Neut ra, Scharosch, Zips, Trentschin, Turz und Sohl. Diese Komi- tate kamen zu der Tschechoslowakei. Die Kroaten stellten die Mehrheit in den folgenden sechs Komitaten: Belovár – Kreutz, Mod ruš-Rijeka, Požega, Warasdin, Virovititz und Agram. Diese fielen an Jugoslawien. Im Komitat Lika – Krbava besaßen die Ser- ben eine hauchdünne Mehrheit. Diese wurde nach 1920 auch ju- goslawisch. Im Komitat Wieselburg stellten die Deutschen die Mehrheit. Das Gebiet des Komitats wurde zwischen Ungarn, der Tschechoslowakei und Österreich aufgeteilt.
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