Sonntagsblatt 5-6/2013 | Page 3

Friede sei mit uns

Weihnachtliche Gedanken
Friede sei mit uns . Dieser christliche Segensgruß kam mir in den Sinn , als ich mir in der Vorweihnachtszeit am Computer Gedanken über einen Artikel für das Sonntagsblatt machte . Impulse dazu kamen von einem angenehmen kirchlichen Geschehen in Schaumar / Solymár bei Budapest . Der Gastpfarrer aus Deutschland , Gregor Strattmann zelebriert jeden Sonntag die deutsche Messe und geht zum geeigneten Zeitpunkt des Messeverlaufes um die Runde , reicht Messeteilnehmern die Hand und spricht die Worte : Der Friede sei mit Dir . Fürwahr : Eine höfliche Geste . Man fühlt sich beehrt und im Wunsch nach Frieden bestärkt . In der Kindheit habe ich in meinem Heimatort während der sonntäglichen Messen Ähnliches nie erlebt .
Ja , es ist nun mal so : Die meisten Menschen sehnen sich nach Harmonie , nach Ruhe , nach rechtlich geordneten Verhältnissen , kurz : nach Frieden . Und nicht nur jetzt , zur Weihnachtszeit , sondern immer , jahrein-jahraus . Freude und Glück kehren ein , wenn in einer Familie , in einer Volksgruppe , in einem Land und zwischen den Völkern Friede herrscht .
Wir Ältere , die wir die Zustände vor dem Zweiten Weltkrieg , den überhitzten madjarischen Nationalismus , den Krieg selber und seine Folgen sozusagen am eigenen Leibe erlebt haben , wissen den Frieden und die Harmonie zu schätzen . Wäre der Zweite Weltkrieg nicht ausgebrochen , hätte es für die deutsche Volksgruppe in Ungarn keine Zwangsmusterung , keine Verschleppung nach Russland , keine Enteignung und keine Vertreibung gegeben .
Das sei auch für die nachkommenden Generationen gesagt . Sie wollen nicht in der Vergangenheit stecken bleiben . Richtig . Andere Fragen und Probleme , ihr Heute und Morgen beschäftigen sie . Auch die Älteren sind gut beraten , wenn sie sich - statt am Vergangenen zu hängen - der Zukunft zuwenden . Geschichte läßt sich nicht umkehren . Aber sie soll , sie darf auch nicht verdrängt werden . Auch die Jugendlichen müssen sie kennen .
Es war schon immer so : Im Miteinander der Menschen kommt es immer wieder zu Unstimmigkeiten und Auseinandersetzungen , aber wenn durch Diskussionen reiner Tisch gemacht wird , kehren unter friedsamen Menschen , Volksgruppen und Nationen gewöhnlich wieder Verständnis und Ruhe ein .
Wie der Herr , so ’ s Gescherr
Zuerst ein Blick ins heutige Ungarn . Zwischen den drahtziehenden Spitzenpolitikern gibt es nach wie vor kein Verständnis , nur gegenseitiges Anklagen und Feindseligkeit . Eine echte Diskussion über kluge Lösungen , über die wichtigsten Anliegen der Bürger kam und kommt nicht richtig in Gang . Schon jetzt gehen die Parteien auf Stimmenfang für die Parlamentswahlen im Frühjahr 2014 . Dabei werden die Wahlberechtigten der heimischen Volksgruppen vor die Wahl gestellt : Entweder stimmen sie für die Minderheiten- oder für eine Parteienliste . Kritik an diesem Verfahren kommt nicht an : Parlament und Regierung stellen sich taub . Zunehmend viele Auslandsmadjaren mit ungarischer Staatbürgerschaft werden bei der Wahl in Ungarn mitentscheiden können , wem für die nächste Periode das Ruder in die Hände gegeben wird . Sie selber werden die Folgen ihrer Entscheidung nicht zu spüren bekommen ..
Ein echtes Hungaricum : Verfolgt man die Äußerungen der Politiker , gewinnt man den Eindruck , am liebsten würden sie den Gegner für immer in den Boden stampfen , denn er habe , als er an der Macht war , das Land ins Verderben gestürzt und würde es im Regierungsbesitz wieder tun . Immer wieder fällt dabei das Wort : Väterlandsverräter . So charakterisiert die Regierungspartei Fidesz die Sozialisten . Die wiederum wollen die jetzige Regierung unbedingt verdrängen . Obwohl bei Umfragen Fidesz die Siegesfahne trägt , verspricht sich auch die andere Seite Chancen und will unbedingt „ das jetzige antidemokratische System ” beseitigen . Die Regierung und ihre Gönner fürchten , dass „ jene ” zurückkommen und „ das Land erneut zugrunderichten .” Gemeint sind vor allem die Sozialisten . Das Wahlergebnis wird zeigen , wer in den nächsten vier Jahren das große Rad drehen darf , zu drehen hat .
Politische Weisheit ist hierzulande nicht wirklich gefragt . Die Zusammenarbeit lässt man lieber auf der Kippe stehen . Leider sorgt die Feindseligkeit in den Spitzen für gesellschaftliche Spannungen und blockiert die Kräfte der Menschen . Werden die Wogen je geglättet werden können ? Zweifel kommen auf .
Die Musik der Regierung mit Viktor Orbán an der Spitze - ein Mann markiger Worte - spielt immer wieder ausgesprochen national . Die Regierung wird nicht müde , ihre eigene Politik zu loben . Man liest und hört fast täglich , die Kolonisierung Ungarns sei zu Ende , das Kabinett betreibe eine disziplinierte Haushaltspolitik , das wirtschaftliche Wachstum sei angekurbelt worden . In Ungarn steigen die Verbraucherpreise langsamer als in anderen europäischen Ländern . Die Regierung verteilt - besonders vor den Parlamentswahlen - gern Geschenke . So senkte sie die Preise der Nebenkosten ( wie Gas , Strom , Fernheizung , Wässer , Abwasser , Müllabfuhr ) vorläufig um rund zwanzig Prozent . Der Preisabbau scheint an keine finanziellen Grenzen zu stoßen , denn es soll noch weiter an der Schraube gedreht werden . Die Kosten haben die Dienstleistungsfirmen zu tragen . Die befinden sich zum Teil in ausländischen Händen . Ökonomen sprechen von einer rückwärtsgewandten Wirtschaftspolitik , äußern Bedenken und schlagen vor : Weg von solchen Eingriffen der Regierung , weg von der Planwirtschaft . Hin zu mehr marktwirtschaftlichen Elementen , um den Anstieg der Kosten zu senken . Und die Betriebe müssen ja auch investieren , denn ohne technische Erneuerung und Entwicklung kann sich die Preissenkung im Alltag rächen , kann es bei den Dienstleistungen leicht zu Versorgungsstörungen oder gar zu einem Krach kommen .
Immer wieder findet Ungarns Regierungschef kritische Worte für das Brüsseler Zentrum der Europäischen Union . Das belastet das Verhältnis Ungarns zu Europa . Die Senkung der Nebenkosten , die im Laufe einer Regierungsaktion von über zwei Millionen Bürgern mit ihrer Unterschrift bekräftigt wurde , sei einmalig in Europa , sei ein Symbol der nationalen Unabhängigkeit . Auch in Zukunft werde Ungarn seinen eigenen Weg gehen . Niemand soll auf jene hören , die Ungarn „ von seinem spezifischen Weg ” abbringen wollen . Geboten sei , „ an unserer eigenen Logik festzuhalten ”. Das ist vielen Bürgern nach dem Mund und aus der Seele gesprochen . Weisheit und Weitsicht treffen oft auf taube Ohren . Eine Rückkehr zu völlig unabhängigen Nationalstaaten mit ausgeprägter nationalistischer , chauvinistischer Philosophie , Politik und Handelsweise würde mit Sicherheit keinen Segen für Europa und die Welt bringen . Die Geschichte lässt sich nicht umkehren .
Überall auf der Erde lassen Einigung und Zusammenarbeit besseres Klima , Konsens unter den Bürgern aufkommen . Richten sich doch die mittleren und unteren Ränge der Gesellschaft gewöhnlich „ nach denen da oben ”. Was oben gesagt wird , plappern viele gerne nach . Anders herum gesagt : Wie der Herr , so ’ s Gescherr - hörte ich oft in meiner Kindheit . Und so ist es ja auch
Kein Land der Seligen
Die wahren Verhältnisse in Ungarn sehen in vieler Hinsicht etwas anders aus . Ungarn ist bestimmt kein Land der Seligen . Und auch kein wirklicher Wohlfahrtsstaat . Man begegnet oft mehr Schein als Sein . Die weltgrößte Ratinganstalt Moody ’ s reihte Ungarn
( Fortsetzung auf Seite 4 )
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