ein Jahr und inzwischen hat der „Übergangs-Direktor” seine zwei
Jahre abgedient. Wie auch immer die Sache ausgeht, die
Gerechtigkeit wurde schändlich ausgespielt und die Ungarndeut -
schen haben das Nachsehen.
Merkwürdig diese musterhafte ungarische Nationalitäten -
politik.
O
Vor 60 Jahren
Am 1. Oktober 1955 wurde
der „Kulturverband der Deutschen
Werktätigen in Ungarn” gegründet.
Der Parteibeschluss vom 21. Mai 1956 stellte dem Verband als
wichtigstes Ziel die Pflege der deutschen Nationalitätenkultur, die
gesteigerte politische und gesellschaftliche Aktivierung der deut-
schen Werktätigen im Dienste der Verwirklichung der wahren
Nationalitätenpolitik der Partei und im Interesse der Wiedergut -
machung der begangenen schweren Fehler. Angesichts der neuen
Aufgaben änderte der Verband seinen Namen in „Demokra -
tischer Verband der deutschen Werktätigen in Ungarn” um. Seit
1969 trug er den Namen „Demokratischer Verband der Deut schen
in Ungarn”, und seit 1978 heißt er „Demokratischer Verband der
Ungarndeutschen”. Zur Zeit der Wende nannte sich der Verband
„Verband der Deutschen in Ungarn”, eigentlich abgekürzt nur
noch „Deutscher Verband”.
Interessant ist, dass zu jener (Verbands)Zeit stets, d.h. aus-
schließlich NUR über Muttersprachunterricht in den Schulen und
muttersprachliche Bildung der Nationalitätenbevölkerung gespro-
chen und geschrieben wurde. Seit wir Deutsche Selbstverwal -
tungen haben, wird die Muttersprache (in der Praxis) nicht mehr
als Aufgabe und Ziel gehalten – jetzt gibt es deutschen Sprach -
unterricht als Nationalitätensprache, der – leider – einem
(schlech ten) Fremdsprachenunterricht gleichgestellt ist. Mutter -
sprachliche Bildung (z.B. in Kulturgruppen, Vereine) – wenn es
solche überhaupt gibt - verläuft in ungarischer Sprache. Man sagt,
das sei auch verständlich, ist doch für die jüngeren Generationen
das Ungarische die Muttersprache. Merkwürdig!
Vor 20 Jahren wurde der Verband aufgelöst. Schade! – und
auch merkwürdig!
O
Wie ist das zu verstehen?
„Von diesem Werk soll man keine wissenschaftliche Objekti -
vität erwarten, aber wegen seiner interessanten Betrachtungen
lohnt es sich, es zu lesen.”
Dieser Satz ist in einem „Buchtipp” der
LdU-Bibliothek, im Internet bei ZENT -
RUM.hu zu lesen. Gemeint ist das Buch
von Johann Weidlein: Deutsche Leistun -
gen im Karpatenraum und der madja -
rische Nationalismus.
Man (in diesem Fall die LdU) emp-
fiehlt ein Buch, das man jedoch als nicht
objektiv einstuft. Warum soll man es
dann lesen???
Auf diese Frage gibt es keine einleuchten-
de Antwort. (…wegen seiner interessanten Betrachtungen? Hm!)
Deshalb lohnt es sich wohl, den vollen EMPFEHLUNGSTEXT
durchzugehen, welcher lautet:
„Es gibt historische Darstellungen, die die Vergangenheit in
einer Weise betrachten, die fern von der allgemein anerkannten
ist. Die Aussagen von Johann Weidleins Werken werden von vie-
len bestritten, sind jedoch genau wegen der einzigartigen An -
sichten des Autors wert zu lesen.
Johann Weidlein ist 1905 in der Tolnauer Gemeinde Murgau/
Murga geboren. Er besuchte das Gymnasium in Jink/Gyönk, stu-
dierte in Budapest Germanistik und Hungaristik und promovierte
über die Mundart seines Heimatdorfes. Vor der Vertreibung war
er vor allem im ungarndeutschen Bildungswesen tätig, danach ver-
öffentlichte er zahlreiche Publikationen über die ungarndeutsche
Geschichte. Béla Bellér bezeichnete ihn als ein „streitbarer Histo -
riograph der Ungarndeutschen und deutscher Hungaro loge”. Aus
diesem Werk wird es auch klar, dass Weidlein keine orthodoxe
Meinung über Ungarns Geschichte hatte.
Laut Weidlein ist der deutsche Einfluss auf Ungarn eindeutig
positiv, gegenüber den nationalen Bestrebungen Ungarns ist er
kritisch. János Szapolyais (bei ihm: Záp olya) Herrschaft stellt er
zum Beispiel als chaotisch dar, während unter Ferdinand „eine
festgefügte Ordnung” hätte herrschen sollen. Noch markanter ist
seine Meinung, dass Ungarns „glücklichstes Jahrhundert” das 18.
gewesen sei. Der Revolution und dem Freiheitskampf von 1848/49
widmete er nur einige Worte.
Von diesem Werk soll man keine wissenschaftliche Objektivität
erwarten, aber wegen seiner interessanten Betrachtungen lohnt es
sich, es zu lesen. Wir empfehlen denjenigen, die bereits ein Vor -
wissen über die ungarische Geschichte haben.”
Ja, liebe Leute, wie soll man das verstehen? Ich kann mir vor-
stellen, dass der Verfasser/die Verfasserin des Textes eigentlich mit
Weidlein einverstanden ist (deshalb die Empfehlung), aber um
der „politischen Korrektheit”, dem Zeitgeist, der Einstellung des
Brotgebers entgegenzukommen, macht man eine erniedrigende
Bemerkung (nicht objektiv, also wertlos).
Das ist nun mal Politik, auch Diplomatie genannt. Verdum -
mung der Menschen.
Über die Person Johann Weidlein können Sie in diesem Blatt
auf Seiten 2 ausführlich lesen. Doch ergänzend soll noch gesagt
werden:
Selbstverständlich war das Problem der Ausweisung der
Deutschen aus Ungarn nicht das Einzige, was Weidlein zur Spra -
che brachte. Er behandelte neben der Geschichte der Ungarn -
deutschen in Dokumenten 1930-1950 die Madjarisierung der
Deutschen in Ungarn und in Deutschland (1955), die Vertreibung
der Deutschenvertreiber (1956), den Prozess gegen Franz Basch
(1956), die Schwäbische Türkei (1953 und 1980), den Aufstand in
Ungarn (1957), die Schicksalsjahre der Ungarndeutschen (1957),
die Leistungen der Deutschen im Karpatenraum (1960, 1963 und
1967), den madjarischen Rassennationalismus und den madjari-
schen Antisemitismus in zwei Dokumentensammlungen (1961
und 1962) und die Parallelität des jüdischen und deutschen
Schicksals in Ungarn. Über Revolution und Freiheitskampf der
Madjaren schrieb er in verschiedenen Werken. Er befasste sich
außerdem mit dem Vorwurf von deutscher Schuld in Ungarn
(1966) und mit den Aktivitäten des Volksbundes (1967); er wies
auch auf die ungarische Revisionspolitik und deren Verquickung
mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges hin und gab nach 1979
fünf Bände von gesammelten Aufsätzen zu den verschiedensten
Themen heraus, die alle in Verbindung mit dem Leben der
Deutschen in Ungarn stehen.
Die Aufnahme von Weidleins Analysen war bei vielen recht
kühl.
Es war nach dem Krieg politisch nicht opportun, Deutsche zu
entlasten und negativen Urteilen gegenüber auch positive Aspek -
te herauszustreichen. Zudem hatte sich in Ungarn schon kurz
nach Bleyers Tod eine Gruppe um einen Zipser Sachsen namens
Gustav Gratz etabliert, die der Madjarisierungspolitik der ungari-
(Fortsetzung auf Seite 6)
5