Sonntagsblatt 5/2014 | Page 2

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Aktuelles
wei ter verfolgt werden, durch den Ausbau des bestehenden Schulnetzes. Hier könnten die örtlichen NSV weiterhin eine wichtige Rolle spielen, die bereits mehrere Schulen und Kindergärten übernommen haben. Denn gerade die eigenen Schulen könnten als Multipli ka toren auf die deutschsprachige Schullandschaft wirken.
Die LdU muss nach Worten des Vorsitzenden die Übernahme des Deutschen Nationalitätengymnasiums in Budapest anstreben, die Gründung zweisprachiger Grundschulen und die Integration bestehender Institutionen in die LdU-Schulzentren in Baje, Fünf- kirchen und Werischwar. Beispielgebend hierfür könnten die Kooperationsverträge des Valeria Koch-Schulzentrums mit annähernd 20 Grundschulen der Umgebung sein. Diese bestehenden Kontakte sollen weiter ausgebaut werden, gar in Richtung institutioneller Integration. Dazu würden bereits Gespräche laufen.
Einen Durchbruch erhofft sich Heinek, neben der Intensi- vierung der Öffentlichkeitsarbeit( u. a. in den sozialen Medien), durch die Gründung einer deutsch – ungarischen Regierungskom- mission mit der Beteiligung der LdU. Dies sollte das Abrufen weiterer Finanzmittel aus dem ungarischen Haushalt ermöglichen, so die Hoffnungen des LdU-Vorsitzenden.
Es bleibt abzuwarten, was die Wahlen für ein Ergebnis hervorbringen. Arbeit genug bleibt auch für die nächste Legisla tur- periode, und nicht nur im Bildungsbereich, sondern auch hinsichtlich der kulturellen und politischen Verfassung der deutschen Gemeinschaft.
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Ein Kommentar von Richard Guth
Das Handeln von Organisationen und Führungspersönlichkeiten wird gar oft von äußeren Faktoren beeinflusst und eingeschränkt. Dennoch ist es ein Gebot der Stunde Initiativen zu ergreifen und Chancen aktiv zu nutzen. Die Arbeit der Landesselbstverwaltung in den vergangenen vier Jahren kann unter vielen Gesichts- punkten beurteilt werden, ich beschränke mich hier auf zwei: Die Frage der kulturellen Autonomie und der In-Group-( Innergrupp-) Kohäsion.
Ich habe die Entscheidung der LdU April 2014, die Übernahme von vier Grundschulen durch örtliche NSV zu unterstützen, als einen Dammbruch bewertet. Vorsichtig habe ich hinter „ Damm- bruch” jedoch ein Fragezeichen gesetzt. Denn es kommt auf die Initiative der LdU an, dass aus diesen vier Schulen am Ende ein Schulnetz von 25-30 oder mehr Schwerpunktschulen entsteht, was zum einen unsere Präsenz markieren soll, an Orten, wo es noch ungarndeutsches Leben gibt, und welches Netz zum anderen aber eine Basis für die weiterführenden Schulen, die sich so oft über den Mangel an geeigneten Kandidaten beklagen, bilden könnte. Ob in der Trägerschaft örtlicher NSV oder als Gliedschulen( oder Abteilungen) der drei LdU-Schulzentren, der Landesselbstver- waltung müsste eine bedeutendere Rolle zuteilwerden als die Aufgabe eines zentralen Dienstleisters. Die Richtlinienkom pe- tenz ist ein guter Ansatz, aber genauso sollen schulträgerische und schulträgerähnliche Aufgaben, eine aktivere Interessensver tre- tung auf der Landesebene, wahrgenommen werden. Auch wenn aufgrund des erleichterten Zugangs ungarischer Staatsbürger zum deutschen und österreichischen Arbeitsmarkt die deutsche Sprache mittelfristig eine Aufwertung erfahren wird, dennoch wird die Konkurrenzsituation mit Englisch weiterhin bestehen bleiben. Durch den Wegfall zusätzlicher normativer Unter stüt-
Wir schreiben für SIE. Werben Sie für UNS! Unterstützen Sie DAS SONNTAGSBLATT zung sank der Stellenwert des Nationalitätenprogramms an vielen Schulen. Dies könnte zu einem längst überfälligen Selbstrei ni- gungsprozess führen, aber birgt gleichzeitig enorme Gefahren: Als mahnendes Beispiel soll hier der Weggang des letzten Nationa- litätenjahrgangs am Táncsics-Gymnasium Moor in diesem Jahr stehen, denn dieses Schicksal kann sehr schnell andere Ein- richtungen ereilen. Das eigene Schulnetz mit zwei- und einsprachigen Schulen bzw. Abteilungen – und wirklich nur ein Schulnetz und nicht alleinstehende Schulen – könnte hier nicht nur Qualität sichern, sondern auch den Anspruch erheben, kulturelle Auto- nomie dar- und sicherzustellen. Als KLIK – Dependancen( KLIK- Staatliches Schulträgerschaftszentrum Kuno Klebelsberg) blieben diese Schulen bloße Weisungsempfänger, auf deren Schicksal die Gemeinschaft keinen Einfluss nehmen kann.
Die Innergrupp-Kohäsion ist die andere große Frage der Zu- kunft. Die Wahlen im April dieses Jahres haben deutlich gezeigt, mit welchen Problemen die Gemeinschaft zu kämpfen hat. Die geringe Zahl der Registrierungen, was letztendlich das Entsenden eines eigenen Parlamentariers verhinderte, ist nur zum Teil auf den diskriminierenden Wahlmodus, der von der LdU, auch wenn widerwillig, akzeptiert wurde, zurückzuführen. Unsere Volksgruppe scheint die Politikverdrossenheit erreicht zu haben. Die oft amtsähnlichen Strukturen des Selbstverwaltungssystems scheinen einen Dialog mit der Basis, dem „ Volk”, nicht besonders zu fördern. Die Schwäche der zivilen Basis als Grundlage, aber auch Gegenpol zu den Amtsstrukturen droht mit einer vollständigen Entkoppelung der Strukturen von dem Wahlbürger und dessen Willen und Interessen. Hier wäre ein Entgegenwirken der LdU vonnöten. Aber die Entscheidung der LdU, nur solche Kandi daten für die LdU-Vollversammlung zuzulassen, die sich bei den Parlamentswahlen registrieren ließen( was praktisch den Entzug des passiven Wahlrechts bei 80 % der Mitglieder der deutschen Volksgruppe bedeutet), zeigt in die falsche Richtung. Den LdU-Oberen und Funktionsträgern muss aber erst bewusst werden, dass Dialog und Partizipation auch das eigene Überleben des Systems sichert. Ohne feste Basis kein funktionierender Überbau und umgekehrt, könnte man Marx zitieren, würde man das Selbstverwal- tungssystem als Überbau betrachten. Die große Frage der nächsten Periode wird sein, wie man trotz einer „ Kultur” von Zentra- lisierungsbestrebungen die zivile Basis stärken könnte. Eine Frage, bei der es – anders als bei großen politischen Systemen – ums Überleben der deutschen Volksgruppe in Ungarn geht.

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Zukunftsperspektiven der Ungarndeutschen

Vor einer entscheidenden Wahl von Koloman Brenner
1. Einleitung
Die Ereignisse in den letzten Jahren und besonders die Lehren der Parlamentswahlen zeigen, dass die Zukunft der Ungarn- deutschen nur dann positiv bewertet werden kann, wenn seitens der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen neue Impulse, neue strategische Zielsetzungen und neue Organisations struk- turen dies ermöglichen. Um gut fundierte Lösungsansätze zu formulieren, bedarf es einer nüchternen und sachlichen, auf Grund der wissenschaftlichen Erkenntnisse erstellten Diskussion. Der vorliegende strategische Entwurf dient dieser Zielsetzung.
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