Sonntagsblatt 4/2024 | Page 12

gewordene Last der bäuerlichen Vorfahren losgeworden . Sie erduldeten es auch brav , ihre Weisheit , ihre Instinkte selber aufzugeben . Die gescheit gewordenen Nachkommen haben mitsamt der Volkstracht dem Dialekt und dem Umgang mit den einfachen Verhältnissen ein Bye-Bye zugewunken . Man wollte sich in einer urban gewordenen Welt nicht schämen müssen , von Dörflern abzustammen oder ihnen gar anzugehören . Der Mode der modernen Zeit hat man die Tür weit aufgeworfen - ohne Gewinn und Verlust auf die Waage gelegt zu haben .
Ob man es dadurch geschafft hat , sich zu veredeln , daran zweifle ich nicht wenig : Während der vergangenen zwanzig Jahre ist die Basis unserer Volksgruppe ins ewige Jenseits gewandert und was bis heute noch übrig ist , ist eine hohle Blase von wohl guten Absichten , die sich etwa „ Projekt “ nennen . Sie reichen aber alleine dazu noch nicht aus , den qualitativen Rückgang unserer Minderheit zu verhindern oder auch nur zu bremsen .
Identität ist kein Schulfach . Selbst in unseren besten Schulen kommt es außer leider sehr raren Einzelfällen kaum dazu , dass man auch in den Pausen untereinander sich auf Deutsch unterhielte . Volkskunde kann man unterrichten , aber das Schweineschlachten von einst ist auch zu jener Zeit , wo es winterlicher Alltag war , nicht das , was die Volksgruppe zusammenhielt . Welchen Kleister gab es dann ? Den , dass man in seiner gegebenen Zeit wusste , dass man eine Einheit bildet ! Solange dieses Bewusstsein noch als natürlichstes Erbe gepflegt und weitergegeben wurde , konnten wir als Volksgruppe in Erscheinung treten . Wenn es heute heißen kann : „ Meine Großeltern sind noch Schwaben gewesen “ – so klingt dieser Satz nach einem Symptom oder einer Krankheit , von derzu genesen , nach Generationen gelungen ist .
Ich fahre durch die Dörfer unseres Einst , wo mir meine Erinnerung aus einer noch nicht allzu langen Vergangenheit nachruft - und suche nach meinem verlorenen Volk . Nach jenen Basen und Vettern , die mit mir ein „ Kriß-Eich-Koutt !“ getauscht haben : Wir wussten aus
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diesem puren Gruß alleine schon über unsere Zusammengehörigkeit Bescheid .
Weg sind sie . Heute gibt es ehrlichste Anstrengungen , die Zeit auszubremsen , wobei dies gar nicht möglich ist . Eine Tradition zu behalten , besteht nicht aus kunstreichen Choreographien , die Kulturgruppen einstudieren oder in Schulen als Fach unterrichtet werden , sondern aus dem Anspruch , der sich nicht in der Bühnenreife zeigt : Es handelt sich vielmehr um einen inneren , intimen Anspruch , der sich von solchen Produktionen gar fernhält . Identität ist nicht jene Gaudi , die man zwar zur Entspannung braucht , aber nicht als zentrales Element eines Daseinszeugnisses .
Wir haben uns auf die Ebene von einzelnen Familien zurückgekämpft . Dieser Daseinszustand entbehrt bereits jegliche Basis . Wir sind aufgebrochen . In unserem Innersten wurde das magnetische Feld füreinander schwach . Die Gemeinschaft ist sich vielleicht darin alleine noch einig , das Geheimnis zu hüten , quasi verschwunden zu sein .
Die Bildung , die Schule , die Kulturgruppen sind an und für sich nur Versuche – oft mit einem gar lobenswerten Einsatz – einen Anschein zu erwecken . Dabei muss es jene Identität sein , die uns erhält , die alleine in den Familien ihren Ausgang findet , wodurch sie ungekünstelt und natürlich ist .
Dies ist dann jene Kohäsion , die unseren Magneten füreinander aufs Neue entfachen kann , damit es uns als Substanz in unserer Gemeinschaft wieder gibt . Die Gemeinschaft existiert in jenem Dasein , das nicht auf einem Beschreibungs- , sondern auf dem Seins-Zustand der Volksgruppe beruht . Sie trachtetnicht nach einem romantischen Nachsinnen einer sonst verkannten Vergangenheit , sondern wendetsich unserem Jetzt , unserer gegenwärtigen Realität zu . So lohnt sich auch jede Mühe , jeder Einsatz .
SoNNTAGSBLATT