GESCHICHTE
KAROLINGISCHE KOLONISATION IN WESTPANNONIEN : STUNDE NULL IN DER GESCHICHTE DER UNGARN- DEUTSCHEN ?
Von Stefan Pleyer
SoNNTAGSBLATT
Teil 1
Es stellt sich immer wieder die Frage , ab welcher Epoche oder historischem Ereignis soll man die Geschichte der Deutschen in Ungarn datieren . Erinnerungspolitische Anstrebungen gibt es im Kreise des zeitgenössischen Ungarndeutschtums genug : Anfang dieses Jahres , im Februar , startete die LdU das neue Projekt „ Wanderschlüssel 2023 ” - im Rahmen dieser noblen Initative setzt sich der symbolische Schlüssel der Vergangenheit auf den Weg gen schwäbische Ortschaften , um auf das in diesen Jahren in zahlreichen Ortschaften gefeierte 300-jährige Jubiläum der Ansiedlung aufmerksam zu machen . Von der wissenschaftlichen Seite aus setzen die Historiker den imaginären 0-Kilometerstein ins frühe 11 . Jh , in die Herrschaftszeit des Hl . Stephans , denn eine massive , auch mit Siedlungstätigkeit verbundene ungarländische Präsenz deutscher Ritter , Geistlicher und Hospes-Siedler ab jener Epoche nachweisbar ist . Auf der anderen Seite der Leitha , in Österreich und Deutschland , hält sich die Theorie im deutsch-österreichischen historischen Diskurs , wonach die umfangreiche Kolonisation der Karolingerzeit in Westpannonien auch nach dem Ausbau der magyarischen Herrschaft standhalten und sich inselhaft behaupten konnte - die auf diese Weise auf dem Gebiet des heutigen österreichischen Bundeslandes Burgenland und Westungarns überlebenden Völkerscharen der Baiern und Franken seien die einheimische Basis der späteren Herausbildung des mit neuen Kolonisten ergänzten deutschen Siedlungsraumes in Westungarn gewesen , also die Urväter der Heanzen und der Heidebauern , Wenn eine Kontinuität wirklich bestünde , dann dürfen wir auf eine 1200-jährige deutsche Präsenz in Pannonien und Ungarn zurückblicken . Dennoch : Was stimmt nun davon ?
Historisches Vorfeld : Pannonien vor der Karolingerzeit
Nach dem Zerfall der römischen Provinz Pannonien entstanden verwirrte Verhältnisse auf diesem Gebiet , und der pannonische Raum wurde eine richtige Landstraße verschiedener Stämme und Völkerscharen . Schließlich konnten sich die Langobarden als Herren über diesem Niemandsland etablieren und gründeten ihr Langobardenreich , was vom heutigen Burgenland bis an die Donau zahlreiche archäologische Funde hinterließ . Dieses germanische „ Staatsgebilde ” befand sich immer wieder im Konflikt mit den jenseits der Donau ansässigen Gepiden und vor allem den Awaren , und somit bot das Karpatenbecken diesem seit Jahrhunderten in Mitteleuropa wandernden elbgermanischen Stamm keinen Schutz mehr : Im Jahre 568 lösten sie ihre pannonische Herrschaft auf und zogen im Verband mit anderen germanischen Nachbarstämmen ( Ostgoten , Herulen , Skiren , usw .) nach Italien . Was von dem langobardischen und dem früheren ostgotischen Wesen in den folgenden Jahrhunderten blieb , ist umstritten , jedoch ist es anzunehmen , dass die überwiegende Mehrheit der pannonischen Germanen den Donauraum endgültig verließ und nur ganz wenige , inselhafte Volkssplitter hinterblieben , die im Awarentum und Slawentum aufgingen - manche Quellen ( die berühmte Gotentheorie der Westungarndeutschen ) berichten über eine angebliche Kontinuität zwischen den langobardischen und den slawischen Ortsnamen in Westpannonien , nämlich dass die frühmittelalteriche deutsche Ortsnamensgebung auf altgermanische Wurzeln durch slawische Vermittlung zurückgegangen sei , dennoch ist eine derartige Verbindung zwischen den ersten germanischen Stämmen und den mittelalterlichen deutschen Siedlern in Westpannonien / Westungarn auszuschließen - wenn die westungarndeutschen / burgenländischen Ortsnamen tatsächlich eine germanische Vorgeschichte hätten , dann dürfe man dahinter lediglich eine toponomastische Tradition ( von Langobarden durch Slawen an die deutschen Kolonisten ) vermuten und weniger eine wirkliche Kontinuität der germanischen Bevölkerung .
Nach dem Auszug der Langobarden füllten die östlich-nomadischen Awaren in Pannonien das Machtvakuum und bauten ein umfangreiches Herrschaftsgebiet im Karpatenbecken , aber gleichzeitig auch in Noricum ( im heutigen östlichen Teil Österreichs ) aus . Ganz bis in die letzten Jahre des 8 . Jahrhunderts behauptete sich das Awarenreich in unserer Region , obwohl sie von mehreren benachbarten Feinden ( z . B . Oströmer ) hart umkämpft waren , und daneben gelang es ihnen , die einwandernden Slawen unter ihre Herrschaft zu bringen .
Wachablösung in Pannonien : der karolingische Herrschaftsausbau
Es meldete sich inzwischen ein neuer Machtkoloss im Westen , das karolingische Frankenreich , das seine größte Ausdehnung unter dem Zepter von Karl dem Großen ( 768-814 ) erreichte , zu Wort . Geopoli-
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