Sonntagsblatt 4/2023 | Page 14

Auch wenn die Suche nach den Ursachen erst begonnen hat , können wir dennoch davon ausgehen , dass die Gründe vielschichtig sind und die Herausforderungen , diesen zu begegnen , enorm sein werden . Der demografische Sinkflug der Bevölkerung Ungarns , der 1981 im Geburtsjahr meines lieben , verstorbenen Bruders Christoph seinen Anfang nahm , sorgte bis 2022 für einen Verlust von 10 % der Bevölkerung . Dieser Schwund traf die deutsche Minderheit angesichts ausgeprägter Überalterungstendenzen in ihren Reihen umso stärker . Wanderungsbewegungen bis zum EU-Beitritt Ungarns 2004 spielten sich vornehmlich im Land selbst ab , aber höchst ungleichmäßig : Die Schwäbische Türkei gab im Saldo stets Bevölkerung ab - wie der exzellente Beitrag „ Num vere consummatum est ” von Patrik Schwarcz-Kiefer zeigt - , wohingegen der Speckgürtel rund um die Hauptstadt Leute anzog . Weder das eine noch das andere war und ist günstig für die Gemeinschaft , denn Zuzug bedeutet ( e ) auch eine Durchmischung der Bevölkerung und den Rückzug oder den Verlust von Sprache und kulturellen Besonderheiten . Ab 2004 spielt die EU-Binnenmigration einen Faktor , der den demografischen Sinkflug des Landes beschleunigt hat : Die Kennzeichenvielfalt an manch einer Kirmes in Südungarn zeugt von der deutlich gestiegenen Mobilität auch im Kreise der deutschen oder deutschstämmigen Bevölkerung .
Denn in vielen Fällen spricht man bei unserer „ Lait ” - mittlerweile in den meisten Fällen in Mischehen aufwachsend und sozialisiert - von mehreren Bindungen , was das Bekenntnis zur deutschen Volkszugehörigkeit nicht gerade erleichtert . Die vage Erinnerung an die Oma , die „ schwowisch g ’ red ’ t hot ”, kann die muttersprachliche Erziehung und Identitätsbildung in der Familie nicht ersetzen . Genauso wenig der vorherrschende Deutsch- ( Fremd- ) Sprachunterricht mit fünf Stunden und ungarndeutschen Inhalten ! Die wenigen zwei- oder einsprachigen Schulen stehen da wie Fels ( en ) in der Brandung . Dass sich daran wenig geändert hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten - trotz des zarten Pflänzchens der Bildungsautonomie in Form von eigenen Schulen - kreiden einige der LdU an . Dabei sollte man auch andere Faktoren bedenken , auf die die deutsche Selbstverwaltung nur bedingt Einfluss nehmen kann wie die großen Herausforderungen im Bildungswesen heute , in vielen Fällen der Wegfall des Elternhauses als Identitäts- und Sprachvermittlungsinstanz oder die Phänomene einer globalisierten Welt mit der Abkehr von althergebrachten Werten und dem Siegeszug einer englisch geprägten Globalkultur mit einem uniformisierten Kleidungsstil , dem gleichen Musikgeschmack oder von sich annähernden Essensgewohnheiten .
Die deutsche Identität in Ungarn benötigt dringend eine Reform . Eine Reform , die sie attraktiv auch für junge Leute macht ! Alleine schon der Demographie wegen : Keiner lebt ja ewig , auch wenn die Glitzer-Werbung einem ein Lebensgefühl der ewigen Jugend vorgaukelt . Wir brauchen eine Reform , die die Identität aber nicht zum austauschbaren Konsumgut degradiert . Dazu braucht es Konzepte , dazu braucht es neue Ideen , dazu braucht es Menschen , die die reformierte deutsche Identität authentisch verkörpern und die Gehör finden . Mit Gö ( l ) dj is ’ s net ktaan .

TÜCHTIG SEIN . ODER NICHT ?

Von Robert Becker
Einer der Begriffe , durch den sich Ungarndeutsche gerne charakterisiert und beschrieben wissen , ist das Wort : „ tüchtig “. Diese Tüchtigkeit ist leistungsorientiert , denn Minderheiten haben von ihrer Natur aus den Drang , auch über ihre Kräfte hinaus sich zu beweisen und es allen zu zeigen , dass sie auch im Vergleich noch standhalten . Nun , ich denke - so man Vergangenheit und Gegenwart in Betracht zieht - brauchen wir auch keinen Vergleich zu scheuen , denn wir haben stets geleistet , was wir nur konnten . Daraus entsprießt bei uns die Quelle unseres berechtigten Stolzes , den wir – da wir auch noch bescheiden sind – in der Regel gerne - hinter ein etwas verlegenes Lächeln versteckt - offenbaren .
Ja , in allem tüchtig zu sein , ist eine Maxime , die als Anspruch nicht so leicht aufgegeben werden kann , denn da geht es scheinbar um eine Gesinnung bis zum letzten Mann oder zur letzten Frau . Bereits vor Jahrzehnten hat auch Valeria Koch - unser „ Fixstern am ungarndeutschen Literaturhimmel “, wie sie der Germanist , János Szabó zu Recht bezeichnete - von unserer Tüchtigkeit geschrieben , indem sie in einem ihrer Gedichte bereits im Jahr 1987 festhielt , dass es das Maß der Ungarndeutschen sei , auf diese Art auszusterben („ Ungarndeutsch / ist das Maß / des tüchtigen Aussterbens “).
Nach etwas Zögern dabei – denn Worte dringen oft nur langsam bis zu ihrem Aktionswert durch , bis sie endlich verinnerlicht werden – scheint sich das Programm nun doch in die Wirklichkeit umzusetzen . Soll man es halt akzeptieren , was sich aus der letzten Volkszählung von 2022 über unser Schrumpfen herauslesen lässt . In etwa zehn Jahren eine so hohe Zahl von Seelen zu verlieren , die sich selbst dazu bekennen , zu sein , wer sie sind , ist eine wahre , eine bereits schon „ tüchtige “ Leistung . Die Leistung ist : die Idee von Abstammung , Muttersprache und die Kohäsion der Gemeinschaft in diesem Eiltempo aufzugeben . Soll das eine Tendenz sein , ist sie jedenfalls viel schneller als das , was unser natürliches Altern in seiner Dynamik prognostizieren oder statistisch vorauszusagen zulassen würde . Dieses Ergebnis hat sich - jedenfalls in meinen Augen - bezüglich dieser Volkszählung nicht in diesem Ausmaß angekündigt .
Sehr erstaunt bin ich trotzdem nicht , nur überrascht . Enttäuscht zu sein , wäre auch kein Ausdruck , den man für diese Erscheinung für sich reservieren sollte . Es ist halt so , dass Früchte heranreifen , selbst wenn sie toxisch sind . Ja , selbst das Tüchtig-Sein kann allem Anschein nach Gift in sich tragen , das eines Tages zu wirken beginnt . Ansonsten besteht noch eine gewisse Chance dafür ,
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