Sonntagsblatt 4/2020 | Page 22

quartierungen ständig wechselten und unsere Möbel , Küchengeräte , Bekleidung , Fotos u . v . m . auf dem Misthaufen „ entsorgt “ wurden . Als wir nach Monaten wieder in unsere Wohnung konnten , fanden wir katastrophale Zustände vor : Spiegel waren aus Aberglauben zugehängt , verdrecktes Strohlager auf dem Fußboden , aufgeschlitzte Federbetten , Unrat aller Art – aber wir waren wenigstens wieder in unserer Wohnung .
Sicherlich ist es verständlich , dass all diese Ereignisse und kindlichen Erfahrungen mich weit in mein Erwachsenleben hinein in meiner Einstellung zum Russentum prägten . Auch solche spätere aufreizende Schullosungen wie „ Der Sowjetmensch , dein bester Freund und Helfer “ oder „ Von der Sowjetunion lernen , heißt siegen lernen “, konnte meine Abwehrhaltung nur steigern . Das ging so weit , dass das Fach Russisch , das mich ab der 5 . Klasse bis in das Universitätsstudium hinein zwangsweise begleitete , immer mein am schlechtesten benotetes war . Erst spät im Berufsleben , als ich so nette Offiziere und ihre Familien vom nahen russischen Flugplatz in Behandlung hatte , wandelte sich das Bild , und ich bedauerte , so faul gewesen und mit so viel Antipathie mit dieser Sprache umgegangen zu sein .
Aber zurück zu Isszimmer , in das Jahr 1945 !
Endlich zogen die Front und der Kriegstross über uns hinweg ! Isszimmer und die Bauernhöfe sahen aus wie die Dörfer nach dem Durchzug der Soldateska im Dreißigjährigen Krieg : Höfe ausgeplündert , Pferde kaum vorhanden , restliche Kühe mussten als Zugtiere herhalten , Schweine , Hühner und Geflügel stark dezimiert , Saatgut kaum vorhanden … Es war die Stunde Null und der Bauernhof musste neu aufgebaut werden . Zum Glück waren die ungarischen Dörfer der Umgebung nicht so stark in Mitleidenschaft gezogen ; Sie wurden sichtlich von den russischen Politkommissaren verschont – waren eben keine „ Germans- “ und „ Faschisten “ -Dörfer . So konnten wir dort für die Nachzucht Vieh und Geflügel eintauschen , einhandeln für Wertgegenstände oder für natürlich ordentlich hohe Preise erwerben . Auch die Großviehmärkte feierten Wiederauferstehung ; so kam langsam das Wirtschaftsleben in Schwung .
In der Umgebung von Isszimmer , in den Wäldern und auf den Feldern sah es noch wüst aus . Überall standen noch zerstörte , ausgebrannte Panzer , Militärfahrzeuge aller Art und kaputte Kanonen herum ; Munition und Kriegswaffen konnte man überall - selbst im Dorf - aufsammeln . Schlimm war der Anblick der herumliegenden Soldatenleichen . Die deutschen Soldaten wurden oft an Ort und Stelle verscharrt , anders kann man es leider nicht nennen , während die Russen von Kriegsgefangenen eingesammelt und in offenen Pferdewagen auf unserem Friedhof separat beigesetzt wurden . War so eine Pferdewagenkolonne über die Dorfstraße unterwegs , verschlossen wir schnell Türen und Fenster und flüchteten ins Haus , denn den bestialischen Leichengestank der teilweise exhumierten Leichen konnte man kaum ertragen .
Für uns Kinder waren diese zerstörten Kriegsgeräte der reinste Abenteuerspielplatz : Wir kletterten in Panzern und Lkws herum , fanden Munition und sogar brauchbare Waffen , mit denen die Größeren , die schon Jugendlichen , in den Wäldern sogar herumschossen . Auch wir Kinder hatten unser Abenteuer . Wir drehten die Spitze von den Kanonengranaten ab , entnahmen daraus das Pulver ( das aussah wie gelbe Makkaroni ), das wir abends anzündeten und schnell in die Luft warfen – ein grell-blitzendes Feuerwerk war immer zu unserer Freude das Ergebnis . Ebenso drehten wir von einer Gewehrpatrone die Spitze heraus , setzten sie auf die Zündkappe einer anderen , in der Erde stehenden Patrone und ließen von oben einen großen Stein drauffallen – ein echter Gewehrschuss , zumindest vom Geräusch her , war das Ergebnis . Die Erwachsenen schimpften tüchtig und die Polizisten jagten uns .
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Denn Isszimmer hatte inzwischen eine Polizeistation , die nicht nur für Ordnung sorgen musste , sondern vielmehr der verlängerte Arm der neuen politischen Verhältnisse war . So wurde u . a . mein Opa Stefan verhaftet , weil er vor und zum Teil am Anfang des Krieges zehn Jahre Bürgermeister gewesen war , und in der Kreisstadt Stuhlweißenburg eingesperrt . Nach monatelangen Verhören konnte man ihm kein schuldhaftes Verhalten nachweisen und ließ ihn wieder frei .
Ebenso groß war die Freude , als nach fast zwei Jahren russischer Kriegsgefangenschaft mein Vater plötzlich und unerwartet , da wir bisher nicht die geringste Nachricht von ihm hatten , wieder heimkehrte . Aber war das mein Vater - der alte Mann , der da zerlumpt , unrasiert , langhaarig , auf zwei Stöcke gestützt , mit dicken , auf dem Boden schleifenden Füßen mir entgegenkam ? Ich war so schockiert , dass ich mich tagelang nicht an sein Bett traute , in dem er wochenlang liegen musste und von meiner Mutter wieder liebevoll und vorsichtig aufgepäppelt wurde . Seine Erzählungen jetzt und auch später über die Lagerzeit in Sibirien ( bei Omsk , Tomsk ) waren erschütternd : Einmal täglich Suppe ( meist Brennnesselsuppe ), dazu ein Stück Schwarzbrot , harte körperliche Arbeit über 12 Stunden - kein Wunder , dass täglich ein Pferdewagen voller Leichen zum Lagertor hinausgefahren wurde . Leicht nachzuempfinden mit Hilfe von Solženicyns ( Solscheniziys ) « Archipel Gulag » - da hatten ja die Russen ihre historischen Erfahrungen . Um aus dieser Hölle wieder lebend rauszukommen , brauchte man Glück . Mit der wöchentlichen Selektion der Gefangenen nach noch arbeitsfähigen oder schon « halbtoten », möglichst bald nach Hause zu transportierenden Gefangenen , war ein deutscher Arzt beauftragt , den mein Vater zwischen den ungarischen Mitgefangenen auf Deutsch so bereden konnte , dass er ihn — trotz des Protests des auch immer beteiligten russischen Arztes — auf die Seite der nach Hause zu Transportierenden einreihte .
Hier hatte er Glück ! Pech hatte er aber darin , dass er bis nach Sibirien verschleppt wurde . Als die ungarische Armee ihre Kampfhandlungen einstellte , entließ sie ihre Soldaten . So war mein Vater unterwegs nach Hause , als er sieben (!) Kilometer vor Isszimmer von Russen - trotz Hinweis auf seine ungarischen Entlassungspapiere - gefangen genommen und mit vielen Ungarn ähnlichen Schicksals bis nach Sibirien verschleppt wurde . Nicht Gerechtigkeit , sondern Zufälle regieren im Krieg !
Aber wie auch immer : Der schreckliche Krieg war vorbei , die Familie wieder glücklich vereint und unsere Bauernwirtschaft konnte mit dem Fleiß und der Energie der Isszimmerer wiederaufgebaut werden . Mit Optimismus richtete sich unser Blick wieder nach vorn , nichts ahnend , welche tragischen Folgen dieser Zweite Weltkrieg noch für uns bereithalten würde .
___________________________________________________ Eine Bitte des Autors : Wer kann mir Hinweise geben zu den folgenden Personen ?
Joannes Georgius Angele / i aus Nagydém ( um 1735 ), Romand / Románd ( 1738 ), u . seiner Ehefrau Catharina oder Peterd / Péterd , Gerisdorf / Gyirót ( Bakony- ) und ihren Sohn Mathias ( geb . 26 . 4 . 1738 Gerisdorf / Gyirót und eventuell Sohn Franziscus Xaverius Angele ( geb . um 1730 in ?, wohnhaft in Isszimmer / Isztimér , gest . evtl . 1 . 5 . 1798 Obergalla / Felsőgalla , verh . mit Eva ... ( geb . um 1735 + 19 . 5 . 1798 Isszimmer ). Es interessiert mich , woher diese Personen in die Orte , angesiedelt von Fam . Eszterházy / Linie Csesznek , aus Deutschland oder Österreich gekommen sind . E-Mail an johannes-angeli @ gmx . de .
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