Sonntagsblatt 4/2020 | Page 23

Damit wir von der Jugend gehört werden
Interview mit Renata Ulbert , Erste Gemeinderätin und Vorsitzende der Deutschen Selbstverwaltung Surgetin / Szederkény
SB : Frau Ulbert , Sie sind Vorsitzende der Deutschen Nationalitätenselbstverwaltung ( DNSVW ) Surgetin – erzählen Sie bitte ein wenig über sich selbst und darüber , was Sie dazu bewogen hat , dieses Amt anzunehmen .
R . U .: Ich lebe von meiner Geburt an in Surgetin – mit Ausnahme einiger Studienjahre , die ich in Budapest verbracht habe . Ungarndeutsche zu sein war für mich Selbstverständlichkeit . Nach meiner Rückkehr nach Surgetin habe ich am Leben der Minderheit aktiv teilgenommen . 2006 hat mich unser damaliger Bürgermeister gebeten , den Posten der Vorsitzenden zu übernehmen . Das war eine große Ehre , so habe ich gerne Ja gesagt .
SB : Sie sprechen ausgezeichnet die Sprache der Ahnen , was leider keine Selbstverständlichkeit ist – woher kommt es ?
R . U .: Das ist eigentlich interessant , denn bei uns in der Familie wurde - trotz deutscher Abstammung - leider nicht deutsch gesprochen . Zum Glück hatte ich eine Art „ Tagesmutter ”, Tante Ida Mayer , die selbst keine Kinder hatte und tagsüber auf mich geschaut hat . Meine Mutter musste zurück in die Arbeit und ich wurde bei der Familie Mayer betreut . Dort sprach man ausschließlich die deutsche Muttersprache . Die Sprache , die Bräuche , das Essen – alles war dort zu 100 % donauschwäbisch … Daher war es dann keine Frage , dass ich am Nationalitäten-Klassenzug des Klara-Leőwey-Gymnasiums weiterlerne . Von dort ging es dann an die Wirtschaftshochschule in Budapest , Fach Außenhandel und Internationale Kommunikation in Deutsch und Englisch .
Nach meinem Abschluss arbeitete ich 20 Jahre lang ausschließlich für österreichische und deutsche Firmen als Regionalleiterin in Ungarn . Heute – ausgestiegen aus der Tretmühle des multinationalen Geschäftslebens – lebe ich meinen Traum und führe meine Pension im Heimatort Surgetin , wo ich hauptsächlich deutsche und österreichische Gäste habe . So ist der alltägliche Gebrauch der deutschen Sprache gewährleistet , aber ich nutze auch jede Möglichkeit , mit den wenigen Menschen , die noch richtig „ Schwäbisch ” können , die alte Muttersprache zu benutzen .
Als Erste Gemeinderätin der Gemeinde bin ich für die ausländischen Kontakte der Gemeinde zuständig , so pflege ich unsere Kontakte zu den deutschen und österreichischen Partnergemeinden . Da bleibt man leicht in Übung .
SB : Wo liegt der Schwerpunkt Ihrer Tätigkeit als Vorsitzende ?
R . U .: So hart und traurig es auch klingt , ist die ungarndeutsche Mundart meines Erachtens leider nicht mehr zu retten , obwohl das lange mein Traum oder eher Ziel war , diese Mundart für die Gegenwart und Zukunft zu bewahren . Die Generation , die noch die Sprache der Ahnen alltäglich gebraucht hat , ist leider am Aussterben . So bleibt uns nichts anderes , als wenigstens die hochdeutsche Sprache für unsere Volksgruppe als verbindendes Element zu forcieren . Deswegen unterstützen wir den Sprachunterricht im Kindergarten und in der Grundschule mit allen möglichen Mitteln . Wir organisieren Schüleraustausche mit unserer Partnerschule in Österreich und auch ein Projekt , bei dem österreichische Lehrerinnen zeitweise bei uns in der Schule unterrichten .
SoNNTAGSBLATT
Wir legen auch großen Wert auf die Jugend - auf die Stärkung ihres Nationalitätenbewusstseins . Wir sprechen sie an mit Festen , an denen sie gerne teilnehmen , organisieren Programme für sie , wo sie sich wohlfühlen . Der Kontakt mit Jugendlichen aus dem deutschsprachigen Ausland ist da von unglaublich großer Wichtigkeit .
Ein neues Projekt ist für uns ab diesem Jahr – zusammen mit der Gemeinde – die Renovierung des Landhauses und darin die Errichtung eines neuen , dem Zeitgeist entsprechenden Museums , wo wir unsere Traditionen und die Lebensweise unserer Ahnen den Nachfahren zeigen können . Da planen wir auch , unbedingt die Jugend mit einzubeziehen , damit sie es hautnah erlebt , wie ihre Ahnen gelebt haben , damit sie es vielleicht mehr zu schätzen lernt .
SB : Welche Erfahrungen haben Sie als DNSVW-Vorsitzende in all den Jahren gesammelt ?
R . U .: Wir haben zum Glück ein sehr unterstützendes Umfeld . Die Zusammenarbeit mit der Gemeinde ist musterhaft , so liegt unserer Arbeit echt nichts im Wege .
Seit den letzten Wahlen vor einem Jahr hat sich die Zusammensetzung des Gemeinderates ziemlich verändert , die neue Führung ist aber genauso entgegenkommend wie die vorherige war , wenn nicht noch etwas mehr . Hinzukommt , dass ich selbst Erste Gemeinderätin geworden bin , also wurde die Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und DNSVW noch effektiver .
SB : Sie sind in Surgetin aufgewachsen – inwiefern hat sich die Gemeinde in den letzten Jahrzehnten verändert ?
R . U .: Wie ich bereits oben erwähnt habe und was mir am meisten Leid tut , ist , dass der alltägliche deutsche Sprachgebrauch und damit die Mundart am Verschwinden ist . Der Globalisierung und der wirtschaftlichen Situation zufolge haben viele Jugendliche das Dorf verlassen und sind nach Deutschland oder Österreich ausgewandert . Meistens war das nur provisorisch gemeint , aber ob sie jemals wiederkommen …? Diese Art von Auswanderung betrifft unser Dorf – und im Allgemeinen die ungarndeutschen Dörfer - noch viel mehr als andere , da hier die meisten doch zu einem gewissen Grad die Sprache beherrschen und so im deutschsprachigen Ausland besser zurechtkommen .
Unser Dorf ist aber trotz allem noch in einer ganz guten Situation : Wir haben – dank einer großen deutschen Firma , die bei uns ansässig ist und um die 400 Leute beschäftigt - gute Arbeitsmöglichkeiten , keine Arbeitslosen und nicht zuletzt gute Gewerbesteuereinnahmen . Ein jeder , der Deutsch kann und fleißig ist , kann bei dieser Firma gut vorankommen . So erleben die Leute hier hautnah , wie wichtig die deutsche Sprache für sie ist .
Infrastrukturmäßig können wir auch nicht klagen , Surgetin hat alles , was ein Dorf braucht : Kindergarten , Grundschule , Ärzte , Apotheke , die Nähe einer Großstadt mit hervorragender Busverbindung , die Autobahn - aber auch das für Dörfer so typische Zusammenhalten und freundschaftliche Verhältnis unter den Bewohnern ist noch aufzufinden .
SB : Wenn wir die Gesamtheit der Ungarndeutschen betrachten – wo drückt der Schuh , d . h . was sind die größten Herausforderungen für die Gemeinschaft ?
R . U .: Als größte Herausforderung sehe ich die Frage , wie man unsere Jugend ansprechen kann . Heutzutage werden nicht nur wir Minderheiten , sondern fast alle Teile der Gesellschaft damit konfrontiert . Lehrer , Eltern , Jugendbetreuer ! Es gab schon immer Spannungen zwischen den Generationen , jedoch heutzutage , der extremen Verbreitung der digitalen Technologie zufolge hat
( Fortsetzung auf Seite 24 )
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