Sonntagsblatt 4/2019 | Page 5

rellen Autonomierechte. Die Lage habe sich aber ab Ende der 1960er Jahre zunehmend schwieriger gestaltet, als Ceauşescu aus China die Idee der Kulturrevolution mitgebracht und einen nationalkommunistischen Kurs gefahren habe. Nichtrumänisch- sprachige Ortsnamen wurden verboten – bis heute ein sensibles Thema –, dem man mit viel Kreativität begegnet sei: So hieß Hermannstadt in der in „Die Woche” umbenannten Hermann- städter Zeitung nicht Sibiu, sondern die Stadt am Zibin. Dennoch habe die kommunistische Diktatur paradoxerweise die Traditio- nen konserviert, auch dank einer bewussten „Abkapselung” der Minderheitenangehörigen, die bereits nach der Aufhebung der Autonomierechte im 19. Jahrhundert ihre Wurzeln gehabt habe. Eine Frage, die ja auch heute noch aktuell sei, es gehe ja um die Frage der Autonomie der Sekler, was bei vielen Rumänen, bei der politischen Elite sowieso, auf wenig Gegenliebe stoße. „Das ist ein rotes Tuch in Rumänien. Ich denke, es braucht noch Zeit, eine Generation sicher. Uns Deutsche betrifft das aufgrund un- serer geringen Zahl und der Zersiedlung kaum”, so Ziegler. Der Historiker und Funktionsträger geht im Gespräch auch auf die Fragen und Herausforderungen der Zeit ein und spricht von der Bedeutung der „Gemeinschaftspflege”, die sich unter anderem durch die Herausgabe von 50 Titeln im Jahr, Kulturveranstaltun- gen und Gesprächsrunden wie die Hermannstädter Gespräche, aber auch durch die Jugendarbeit auszeichne. Unter Gemein- schaft versteht Ziegler auch diejenigen Neuzuzügler, die sich seit der Wende in Siebenbürgen niederließen: die Rentner mit sie- benbürgischen Wurzeln, die „Sommersachsen” genannt werden, weil sie meist die warme Jahreszeit in Rumänien verbringen, die Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Siebenbürgen ziehen, oder die „Ausscheider”, die sich unter anderem der Bio- landwirtschaft widmen. Winfried Ziegler stellt auch das Modell „Hermannstadt” näher vor: Hier regiert seit 2004 eine Ratsmehrheit des Forums. Der Posten des Bürgermeisters wird sogar seit 2000 von einem Angehörigen der deutschen Minderheit bekleidet, zuerst von Klaus Johannis und seit 2016 von Astrid Fodor, „dies zum Wohle der lokalen Ge- meinschaft” durch die Verschönerung der Stadtlandschaft und vor allem durch die Ansiedlung von Firmen in der Industriezone West. Auch wenn es der Stadt mit nahezu Vollbeschäftigung und aufgeräumten Plätzen (gerade im Vergleich zu den Landstrichen rund um Demrich und Eisenmarkt mit einer verfallenen Industrie- und Stadtlandschaft) nun gutgehe, werde es nicht ewig so wei- terlaufen mit der Ratsmehrheit, ist sich Ziegler sicher, weil diese viel Energie koste, die aufgrund der dünnen Personaldecke an anderer Stelle fehlen könnte. zeige sich auch im Bemühen um den Erhalt der nahezu 200 Kir- chenburgen, was mangels staatlicher Unterstützung eine Stif- tung leisten soll. Als Kommunalpolitikerin gehe es ihr aber um die Gesamtbevölkerung und das Wohl der ganzen Stadt: „Uns ist eine ausgewogene Entwicklung der Stadt und eine transparente Verwaltung das Wichtigste”. Deshalb hat man nach Angaben von Bokor sehr viel in die Infrastruktur investiert. Bei jedem Projekt hätten die Bürger die Möglichkeit, Vorschläge einzureichen und die Pläne der Stadtverwaltung zu bewerten bzw. die Projekte zu priorisieren. Über die Vorhaben würden mehrere Kommissionen entscheiden, denen unter anderen auch Angestellte von Kultur- organisationen angehören würden. Geprüft würde die Verwen- dung der Gelder von der staatlichen Autoritate de Management mit Sitz in Karlsburg. Der Stadt liege sehr viel an der Förderung von Kultur und Sport - mit einem jährlichen Etat von je 8 Millionen Lei (560 Millionen Forint, 1,5 Millionen Euro). Um die Projekte mit einer Eigenleistung von 2 % bei EU-Geldern finanzieren zu können, bedarf es ja einer starken Wirtschaft: Mit einer Arbeits- losenquote von unter 1 % in der Stadt und 2,5 % im Kreis stehe man gut da, so die Erste Stadträtin von Hermannstadt. In der In- dustrie gebe es 15.000 Arbeitsplätze, der Durchschnittsverdienst von 3038 Lei (215.000 Forint, 620 Euro) netto liegt über dem rumänischen Durchschnitt, was Hermannstadt auch für viele aus anderen Teilen des Landes attraktiv machen würde. Eine Ent- wicklung, die viel Arbeit erfordere: So wurden nach Angaben von Bokor in den letzten Jahren allein 250 Erdstraßen asphaltiert und auch die Bauplätze in der Industriezone - voll erschlossen - unter günstigen Konditionen zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus kümmere sich ein Verein unter Beteiligung von Stadt, Deutschem Wirtschaftsclub und Firmen um den Ausbau der dualen Ausbil- dungsmöglichkeiten in einer Stadt mit einer vorteilhaften geogra- fischen Lage und vielen deutschsprechenden Einwohnern. Aber auch weitere Projekte in Richtung Zukunftsstadt seien auf dem Wege der Verwirklichung wie der Bau von unterirdischen Park- häusern und der Anschaffung von elektrischen und CNG-Bus- sen, denn Verkehr sei neben der Versorgung von Kita-Plätzen eine der großen Herausforderungen in einer wachsenden Met- ropolregion - dies alles um die Stadt attraktiv zu machen für die Bewohner, denn oft führe der Weg nach der Schule immer noch ins Ausland, so Bokor. So wie im Falle eines Jungendlichen, der am Abend am Orts- rand von Heltau mit seinem Kumpel den Daumen nach oben hält: Er erzählt auf dem Weg zurück nach Hermannstadt, dass er nach dem Abitur am Brukenthal-Lyzeum und der Sprachdiplom- prüfung in Frankfurt oder München studieren möchte. Der rumä- nische Junge, der fließend Deutsch spricht, berichtet von einer großen Herausforderung, vor der die deutschen Schulen stehen: Es fehlen schlicht deutschsprachige Lehrkräfte, was auch ande- re Gesprächspartner bestätigen. So würde deutschsprachiger Fachunterricht zeitweise oder längerfristig auf Rumänisch erteilt. Stadtbild von Hermannstadt Dass aber Gemeinschaftspflege der deutschen und der lokalen Bevölkerung Hand in Hand gehe, bestätigt Corina Bokor, Ers- te Stadträtin von Hermannstadt. „Ein besonderes Anliegen von uns ist die Erhaltung der deutschen Identität und des mutter- sprachlichen Unterrichts” für die 1400 Sachsen und Landler in der Stadt und die 4200 im Landkreis Hermannstadt (vor 1990 20.000 bzw. 80.000), so die Politikerin des DFDR, die früher als Kulturreferentin des Forums gearbeitet hat. Dieses Engagement SoNNTAGSBLATT Beatrice Ungar stellt die Hermannstädter Zeitung vor Aber bleiben wir doch noch in Hermannstadt, denn wir wurden von einer prominenten Sächsin empfangen, deren Namen ich bereits vor Jahren kennen lernen durfte: Beatrice Ungar. Die (Fortsetzung auf Seite 6) 5