Sonntagsblatt 4/2019 | Page 24

seiner Familie wieder nach Berlin kam. Er verstarb Anfang De- zember 2018, wurde aber in Furtwangen beerdigt. Der letzte Tschechisch-Muttersprachler im Böhmischen Dorf ver- starb in den 1980er Jahren. Heute leben noch 60 Nachfahren böhmischer Flüchtlinge im Böhmischen Dorf, die die denkmal- geschützten Gebäude vor allem gegen übergriffige Immobilien- investoren verteidigen müssen. Die tschechischen Traditionen sind derweil weitestgehend verlorengegangen, wenn sie nicht wie Lebensläufe oder Bestattungen Teil der Bräuche der Brü- dergemeinde geworden sind. Die Integration ist abgeschlossen, die Geschichte der Geflüchteten nun Sache fürs Museum und Archiv. Quelle:http://landesecho.cz/index.php/gesellschaft/843-ber- lins-boehmisches-dorf Ansichten - Einsichten s der Volksgruppe an, „…die mit geschwellter Brust von Erfolg und Fortschritt reden und schreiben…“, wo doch die Lage katastro- phal sei. Wo wir doch am Verschwinden seien und im Grunde nur mehr Erinnerungen und Bühnendarbietungen Merkmale unseres ethnischen Daseins wären. In der Beantwortung der Schuldfra- ge für diese Misere möchte ich eine etwas abweichende Sicht als die von Georg Krix einbringen, der meint, hauptsächlich wir selbst seien schuld. Unsere eigene Schwäche und die Schwä- che der von uns gewählten Führung der Volksgruppe seien das Grundübel. Weil sich in der von uns gewählten Führung keine Kämpfer befänden, welche für die uns zustehenden Rechte und Möglichkeiten energisch genug auftreten würden. Deshalb gehe es so rapide abwärts mit uns, notiert Krix. Mit der pauschalen Schulzuweisung an das Ungarndeutschtum, selbst schuldig zu sein für seinen Niedergang, überzieht er nach meiner Meinung seine Vorhaltung und relativiert zugleich die Schuld der eigent- lichen Verursacher des Niedergangs des Ungarndeutschtums. Dabei muss man nicht weit gehen beim Suchen, um den wahren Grund für das verblassende Bild, das wir heute abgeben, zu fin- den. Erinnerungs- und Bühnendasein Ungarndeutsche Diskussionskultur im Sonntagsblatt Von Johann Till Vor fast dreißig Jahren überraschte Georg Krix mit der Wieder- gründung des Bleyer‘schen Sonntagsblattes die ungarndeutsche Öffentlichkeit. In Ungarn selbst – bei der Mehrheitsnation – fand das Ereignis natürlich keinen Widerhall. Zu eingefahren waren schon die Marginalisierung und der Bedeutungsverlust der deut- schen Minderheit geworden. Nur im deutschsprachigen Aus- land, bei den vertriebenen Ungarndeutschen, horchte man auf, als es fortan neben der über Jahrzehnte des Sozialismus bereits eingefahrerenen, staatsfinanzierten Neuen Zeitung ein unabhän- giges, zweites ungarndeutsches Presseorgan gab. Jakob Bleyers Erbe Mit dem Sonntagsblatt bot sich zum ersten Mal auch für kriti- sche ungarndeutsche Stimmen die Möglichkeit, nach außen in Erscheinung zu treten. Nachdem die einparteienbeherrschte so- zialistische Medienlandschaft, zu der auch die Neue Zeitung ge- hörte, nach der politischen Wende 1989/90 verschwand, wurden auch die linientreuen Redakteure in den meisten Redaktionen – zu den Ausnahmen gehörte die Neue Zeitung – ausgewechselt. Insofern war die Wiederauflage des Sonntagsblattes, als Erbe im kritischen Geist seines Gründers Jakob Bleyer, ein Glücks- fall. Auch das Zupacken und Ausharren von Georg Krix kann als Glücksfall gewertet werden. Damit schuf er der lange Jahre zum Schweigen gebrachten ungarndeutschen Meinungsvielfalt die Möglichkeit, an die Öffentlichkeit zu treten. Beredtes Beispiel ist die letzte Nummer des Blattes (SB Nr. 3 / 2019). In diesem ist eine neue ungarndeutsche Diskussionskultur wohltuend zu vernehmen. Der Blickwinkel der Redaktion hat sich, nach de- ren Verjüngung vor drei Jahren, erfreulich geweitet. Thematisch werden nicht nur die Belange der Ungarndeutschen behandelt, immer wieder wird auch in Reportagen über das Leben und die Sorgen anderer Minderheiten in und um Ungarn herum berichtet. Exemplarisch für die neue Diskussionsfreudigkeit ist z.B die auf dem Titelblatt in Großformat gedruckte Überschrift „DIE RECH- TE SIND FÜR UNS DA!“. Der als Aufforderung an alle Ungarn- deutsche gedachte Zuruf ist ein Echo auf den kurz vorher von Georg Krix verfassten Beitrag. In seiner negativen Lagebeschrei- bung legt Krix die ungarndeutsche Wirklichkeit schonungslos of- fen und spricht explizit die Führungspersonen und die Medien 24 Welche Entschlossenheit, welchen Mut und Selbstbewusstsein hätten die in ihrer schwäbischen Kultur und ihrer dörflichen Ver- wurzelung in den Nachkriegsjahren 1945/50 zutiefst getroffenen Ungarndeutschen aufbringen müssen, um nach der ethnisch zerstörerischen Einwirkungen in jener Zeit, die bis heute nach- wirkt, um sich wieder aufzurichten, um sich wieder auf gleicher Augenhöhe und gleicher Wertschätzung im Lande zu fühlen? Sie wurden wie Schädlinge behandelt, gedemütigt, enteignet, vertrieben und letztlich einer ethnisch-nationalistischen Säu- berungswillkür als Sündenböcke preisgegeben. Von welchem heimatverbliebenen Ungarndeutschen, der diese Tortouren erlitten, gesehen oder auch nur davon gehört hatte, von wel- chem dieser traumatisierten und viele Jahrzehnte stigmatisier- ten und abschätzig behandelten Schwaben hätte man die Un- erschrockenheit zur öffentlichen Einforderung jener Rechte, die uns eine echte Chance zur Sicherung unseres Fortbestandes hätten gegeben können, erwarten oder einfordern können? Von keinem! Niemand wagte das, niemand hatte die Kraft und den Mut dazu, dies laut einzufordern. Die Drastik der erlebten oder gehörten Ereignisse brannte sich bei jedem unserer Landsleu- te tief und bleibend ein. Unsere entstandene Angststarre wirkte sich besonders fatal auf den Gebrauch unserer Sprache aus. Wir verstummten und duckten uns weg, wir verheimlichten, wo es ging, unser Deutschtum und gewöhnten uns sehr schnell ab, in unserer Muttersprache miteinander zu sprechen. Wir wollten nur weiterleben, weiter existieren in der eigenen Heimat. Diesem existentiellen Primat ordneten wir alle anderen – ethnischen – Aspekte unseres zukünftigen Daseins unter. Die abschätzige Behandlung und Drangsalierung, die wir in den Nachkriegsjah- ren seitens der Mehrheitsbevölkerung – besonders von den ma- gyarischen Neusiedlern/telepesek - ertragen mussten, haben sich tief eingebrannt. Wer öffentlich deutsch sprach, wurde zur Rede gestellt oder bestraft, wie es uns Schulkindern noch in den 1950er Jahren in meiner Dorfschule alltäglich widerfuhr. Auch im Pausenhof und auf dem Nachhauseweg war es uns verboten, unsere Muttersprache zu gebrauchen. Um dieser breit konzipier- ten Magyarisierungswalze zu entkommen, blieb den meisten nur die Flucht ins Magyarische. Wer dieser allumfassenden ethni- schen Verdrängung widerstehen konnte, musste von einer intel- lektuellen Besessenheit oder einer schweren geistigen Verbohrt- heit befangen gewesen sein. Beides war uns Schwaben (Gott sei Dank) nicht eigen, schrieb trefflich in einem fundierten Essay zu diesem Thema der ungarndeutsche Politologe Josef Bayer. Zur Zielgruppe, auf die man den (fiktiven) Stein in der Frage der Schuld-Intention von Georg Krix dennoch werfen darf, gehö- ren all jene hauptamtliche Ungarndeutsche, die über Jahre ihre existenzielle Absicherung mit der Lobpreisung der Erfolge und SoNNTAGSBLATT