Sonntagsblatt 4/2019 | Page 25

Fortschritte einer mustergültigen Minderheitenpolitik unseres Landes festigten und sich in diesem heuchlerischen Milieu un- geniert sonnten und wohlfühlten. Ihre Reihe ist lang, ihre Erfolge bescheiden, ihre Glaubwürdigkeit nicht messbar. Schön, dass wir ein unabhängiges ungarndeutsches Organ ha- ben, in dem wir darüber offen sprechen können, in dem unter- schiedliche Meinungen frei zu Wort kommen können. Der Re- daktion ein dankbares Weiter so! Wenn der tévémaci jó éjszakát winscht HVG-Artikel beschäftigt sich mit dem Alltag bilingualer Familien Von Richard Guth „Mira: Stell Dir vor, Mama, Daddy hat gestern davon erzählt, dass wir auch flying to the Moon in a rocketship werden! Wir müssten nur noch ein rocket ship kaufen im rocket ship store, das fly to the Moon kann. Nun, wir müssen einen Onkel finden… Feri: … oder eine Tante… Mira: Oder eine Tante, die can drive the rocket ship to the Moon. Julcsi: Habt ihr Star Wars geguckt? Feri: Sie wollte nicht einschlafen.” Was vielen Denglisch-Kritikern wie ein Horrormärchen vorkommt, ist ein Gespräch, das in einer zweisprachigen Familie, wo unga- risch und englisch gesprochen wird, stattgefunden hat. Die unga- rische Wirtschaftszeitschrift „Heti Világgazdaság” (hvg) widmete sich vor einigen Monaten dem Thema mit dem Artikel „Ha egy kétnyelvű gyerek rocketshippel akar a Moonra szállni, attól még tud magyarul“ (von Anna Sándor, 13. September 2019). Anlass ist die steigende Zahl von binationalen Familien in Ungarn, in denen ein Elternteil oder beide nichtungarischsprachig sind. Im Artikel werden die Angehörigen der deutschen Minderheit in Ungarn nicht explizit genannt, dennoch teilen sie die gleichen Erfahrung, wie wir auch in einer früheren Ausgabe anhand des Beispiels zweier ungarndeutscher Familien berichtet haben (Mut und Ausdauer können Berge versetzen, SB 01-2019). Die Autorin Anna Sándor räumt in ihrem Beitrag mit Vorurteilen auf, nach denen Zweisprachigkeit die sprachliche Entwicklung verlangsame, und berichtet von neueren Forschungsergebnis- sen, wonach Bilingualität zahlreiche positive Effekte auf die kog- nitiven Fähigkeiten und die Persönlichkeit der betroffenen Kinder habe. Sándor wollte der Frage nachgehen, wie die Familien die Zweisprachigkeit erleben. Der obige Dialog fand in einer Familie, wo die Mutter in Ungarn und der Vater – zwar in einer ungarischen/madjarischen Familie geboren – in Kanada aufgewachsen ist. Ihre Tochter Míra erzie- hen die beiden zweisprachig, dabei spreche der eine Elternteil konsequent ungarisch, der andere konsequent englisch zum Kind. Untereinander bedient sich das Paar nach eigenen An- gaben vornehmlich der ungarischen Sprache. Sie wollen nach eigenen Angaben die Chance nicht verstreichen lassen, dem Kind auch die englische Sprache auf diese Weise beizubringen. Nach Erfahrungen der Fachleute unterscheidet sich die sprachli- che Entwicklung der zweisprachigen Kinder von der der Einspra- SoNNTAGSBLATT chigen und die Kinder sprächen die Sprache erst spät auf dem gleichen Niveau, so die Psychologin Zsuzsanna Papp gegen- über hvg.hu, die selber mit einem Venezolaner verheiratet ist und drei Kinder hat. In ihrer Familie habe auch eine dritte Sprache, Englisch als ehemalige lingua franca zwischen den Eheleuten, einen festen Platz. Nach den Erfahrungen von Zsuzsanna Papp erfordert es die Er- ziehung zweisprachiger Kinder bewusst und konsequent zu han- deln, auch nach einem langen Arbeitstag, denn es sei wichtig, dass die Kinder klar und immer häufiger beide Sprachen hören. Das müsse man deswegen betonen, weil bis zum fünften, sechs- ten Lebensjahr die Sprachvermittler des Kindes in erster Linie die Eltern seien, Bücher und Zeichentrickfilme würden erst spä- ter ihre Wirkung entfalten, so die Psychologin. Obwohl zweisprachig aufgewachsen dominiere im Falle der in Ungarn lebenden Familien das Ungarische – deshalb sei es wichtig, Anlässe zu schaffen wie Verwandtenbesuche, bei denen die Kinder auch mit der anderen Sprache in Berührung kommen. Auch die Tradierung des kulturellen Erbes sei wichtig, denn die venezolanische Oma erzähle andere Geschichten als die unga- rische/madjarische. Welche Sprache dann dominant wird, hänge vom Alter und Umfeld ab: Anfangs dominiere die Sprache der Mutter, später die Sprache des Milieus. Es komme auch vor, dass sich diese andere Sprache zu einer Geheimsprache unter Geschwistern entwickle, um sich von der anderssprachigen Um- gebung abzugrenzen. Darüber hinaus würden Kinder von dem jeweiligen Elternteil nur eine Ansprache in der gewohnten Spra- che akzeptieren, was auch der Zeichner dieser Zeilen bestätigen kann – wenn aus meinem Mund zufällig ein ungarisches Wort rutscht, dann schauen mich meine Kinder verwundert an, obwohl ihnen bewusst ist, dass ich der ungarischen Sprache mächtig bin und mit meiner Frau in dieser Sprache kommuniziere. Mit nicht wenig stolz berichtet mein dreijähriger Sohn, dass Papis Sprache Deutsch sei. Manche Außenstehende haben angesichts der Tatsache, dass die Kinder die Sprachen vermischen, nach Erfahrungen der Experten den Eindruck, diese Kinder würden keine der Spra- chen gut beherrschen. Tatsache hingegen ist nach Meinung der Fachleute, dass Sprachenerlenen auch bei den zweisprachigen Kindern ein Prozess ist. Sie haben oft mehr Wörter für einen Gegenstand. Dies sei auch bei einsprachigen Kindern der Fall, aber bei bilingualen sei dies stärker ausgeprägt. Dieser Misch- masch soll auf mangelndes Sprachbewusstsein in diesem Alter zurückzuführen sein. So würden sie intuitiv zu dem greifen, was besser zugänglich sei, so Zuzssanna Papp. Dies sei situations- gebunden, das heißt entscheidend sei, wo das Kind das Wort gehört hat. Da kommt mir das Beispiel meiner Großtante aus Werischwar in Erinnerung, die obwohl ihr der Begriff „Sparkasse” bekannt war, immer den ungarischen Begriff „takarék” benutzte. Bei allen Herausforderungen würden aber die Vorteile überwie- gen: So lernten zweisprachige Kinder neue Sprachen leichter. Dies sei auf die Bildung von Sprachnetzwerken im Gehirn zu- rückzuführen: Zweisprachige würden demnach im Laufe der Zeit mehr als ein Netzwerk aufgebaut haben. Die Aussprache bilingualer Kinder sei durch das größere Vokal- und Konsonan- tensystem auch viel besser. Das Wichtigste sei laut Zsuzsanna Papp die erworbene und eingeübte Flexibilität – diese sei auf Situationen zurückzuführen, in denen das Kind nicht sofort ver- standen wurde, aber in denen es eine Lösung entwickeln muss- te. Das erfordere aber auch eine Flexibilität seitens der gesam- ten Familie. Quelle: https://hvg.hu/elet/20190913_ketnyelvu_gyerek_ma- gyarorszag 25