den Bedeutungsebenen auseinandergesetzt hat –, was aber für
mich kein „Orientierungspunkt” ist.
Die Mehrheit der mir bekannten Ungarndeutschen – obwohl ich
es statistisch nicht belegen kann, es beruht auf Alltagserfahrun-
gen – hat eine doppelte Identität, eine ungarische und auch eine
deutsche; in der Regel nicht jeweils zur Hälfte, sondern je nach
Situation ist mal eher die ungarische mal die deutsche Identität
stärker. Diese eigenartige Identität findet ihren Ausdruck darin,
dass unser kleines Volk ein eigenes Wappen, eine eigene Fahne
und eine eigene Hymne hat. Die schwarz-rot-goldene Fahne auf
dem Flugblatt des Kandidaten symbolisiert den deutschen Staat,
der für mich kein Vaterland ist; ich kann und will mich mit ihm
nicht identifizieren. Mein Vaterland ist Ungarn, das meine Vor-
fahren, die im 18. Jahrhundert von ungarischen Grundbesitzern
eingeladen wurden, zusammen mit den anderen Völkern nach
Jahrhunderten der Verwüstung wiederaufgebaut haben. Es steht
mir fern, das Recht jedes Einzelnen in Frage zu stellen, wie er
seine eigene Bindung zur „Mutternation” definiert und ausdrückt,
aber damit es klar ist: Als ungarländischem „Schwaben” ruft die
Fahne der BRD auch den Text und die Melodie von „Einigkeit
und Recht und Freiheit / Für das deutsche Vaterland!...” in Erin-
nerung, was mich aber ziemlich kalt lässt. Wohingegen das „Seid
gegrüßt ihr deutschen Brüder...” und „Gott segne den Ungar” so-
zusagen mein ganzes Leben bedeuten.
Fazit: Ich fühlte mich geehrt, dass sich der junge Mann mit Hilfe
eines an mich adressierten Briefes vorgestellt hat, und ich freue
mich, dass er als 25-Jähriger so viel Tatendrang hat. Wenn sich
zum Elan auch brauchbare Deutschkenntnisse, viel Lebenser-
fahrung und nicht zuletzt die gründliche Kenntnis der Geschichte
der Ungarndeutschen vornehmlich im 20. Jahrhundert dazuge-
sellt, dann kann es sein, dass aus ihm ein würdiger Abgeordneter
der Fünfkirchner Schwaben wird.
Zu diesem Weg wünsche ich ihm Ausdauer und gute Gesund-
heit.
Die Flugblätter wurden in beiden Sprachen, inhaltsgleich und in
der gleichen Schriftgröße gedruckt. Denn die Größe zählt durch-
aus, wie uns ein slowakeimadjarischer Gastautor in der letzten
Sonntagsblatt-Ausgabe eindrucksvoll vorführte (Árpád Horony:
Zählt die Größe nicht?, SB 03-2019).
Programmatisch legte der Jobbik-Mann und Wirtschaftsstudent,
der auch für die LdU-Vollversammlung kandidierte, den Schwer-
punkt darauf, auf die Strukturschwäche des Komitats und die ge-
ringen Löhne hinzuweisen, deren Folge eine massive Abwande-
rung der Bevölkerung in Richtung Hauptstadt, Nordwestungarn
und Ausland war und ist, was Deutsche, Kroaten, Madjaren und
Roma gleichermaßen betraf und betrifft. Darüber hinaus sieht
sich Schwarcz-Kiefer nach eigenem Bekunden als Sprachrohr
der Deutschen – er wird in der neuen Komitatsversammlung in
der Tat der Einzige sein, der eine Vergangenheit (und Gegen-
wart) in der Volkstumsarbeit nachweisen kann.
Die zweisprachig gehaltenen Wahlprospekte sind dabei auf alle
Fälle das richtige Zeichen – denn die Rechte sind für uns da, wie
eine im Herbst gestartete Kampagne der Jakob-Bleyer-Gemein-
schaft auch vermitteln möchte.
Die Abgeordneten der Landesselbst-
verwaltung der Ungarndeutschen
übernahmen ihre Mandate
Neue LdU-Vollversammlung wurde gegründet
29. Oktober 2019, LdU-Presse
Wenn Rechte, die für uns da sind,
auch genutzt werden
Von Richard Guth
„Für die Branauer Dörfer!” - steht auf dem Flugblatt, das im Wahl-
herbst viele ungarndeutsche Haushalte in Südungarn erreichte.
„Uns hat bislang noch keiner auf Deutsch angesprochen”, freute
sich ein unabhängiger Branauer Bürgermeister und hatte dabei
völlig Recht. Denn was unser Vorstandsmitglied und Redakteur
Patrik Schwarcz-Kiefer als Spitzenkandidat der rechtskonser-
vativen Partei „Jobbik” in der Branau in die Tat umsetzte, be-
sitzt Seltenheitswert. „Gestalten wir gemeinsam die Zukunft
des Komitats Branau”, steht auf der Rückseite des Flyers über
dem Bild des Spitzenkandidaten und des Landesfraktionsvor-
sitzenden; auch das Wahlgrundsatzprogramm ist zweisprachig
beschrieben. Für die Gemeinden hat sich das Wahlkampfteam
um Schwarcz-Kiefer etwas Besonderes überlegt: „Für „Ohfa-
la” steht auf einem der Flugblätter, die in den Briefkästen des
350-Seelen-Dorfes nahe Nadasch landeten – das Team wollte
sich bemühen die Bewohner der deutsch bewohnten Dörfer per-
sönlich anzusprechen. Aber nicht nur an die Deutschen dachte
der Spitzenkandidat, sondern auch an die Kroaten: „Udvarca u
Samoupravu Baranjske Županije!”, auf Deutsch: „Einen Udvarer
Landsmann in den Komitatstag der Branau (wählen)!” - mit die-
sem Slogan bewarb sich der 25-Jährige, der in der zum Teil von
Kroaten bewohnten Gemeinde nahe Fünfkirchen wohnhaft ist.
10
Die neuen und alten Mitglieder der LdU
Auf dem Ludovika-Campus der Nationalen Universität für den
Öffentlichen Dienst fand die feierliche Übergabe der Mandate
an Abgeordnete der Landesselbstverwaltungen der in Ungarn
lebenden Nationalitäten statt. Am 28. Oktober 2019 nahmen 44
Abgeordnete der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen
ihr Beauftragungsschreiben für die kommenden fünf Jahre ent-
gegen, weitere drei Abgeordnete erhalten es zu einem späteren
Zeitpunkt.
An der feierlichen Mandatsübergabe waren Miklós Soltész,
Staatssekretär für die Beziehungen zu den Kirchen, Volksgrup-
pen und zur Zivilgesellschaft, sowie die stellvertretende Om-
budsfrau Dr. Erzsébet Szalay-Sándor anwesend.
Der ungarndeutsche Parlamentsabgeordnete Emmerich Ritter
wies in seiner Festrede auf die Wichtigkeit der Arbeit der Ab-
geordneten der Landesselbstverwaltungen hin und hob hervor,
dass man nur durch die Einheit innerhalb einer Nationalität Fort-
SoNNTAGSBLATT