Sonntagsblatt 4/2018 | Page 15

Mikrokosmos Ost- und Mitteleuropa s Deutsche Volksgruppen Die deutsche Sprache im Karpatenbecken (Geschichte, aktuelle Situation und Entwicklungen) Von Nelu Bradean-Ebinger Teil 3 3. AKTUELLE LAGE DER DEUTSCHEN MINDERHEITEN IM KARPATENBECKEN Deutsche ethnische Minderheiten – wieso ist dieses Thema im 21. Jahrhundert noch wichtig? Diese Frage wird in der Öf- fentlichkeit auch in Deutschland häufig gestellt, da viele Bür- ger weder im schulischen Unterricht noch in den Medien über diese Problematik ausreichend und ausgewogen informiert werden. Wenn man aber bedenkt, dass nach Flucht und Ver- treibung der Deutschen aus Mittel- und Osteuropa über 10 Millionen Menschen und ihre Nachkommen in Deutschland le- ben, ist es wichtig, die in ihren Heimatländern gebliebenen An- gehörigen von deutschen Minderheiten zu unterstützen und zu fördern und über ihr aktuelles Schicksal mehr zu wissen. Unter den deutschen Minderheiten gibt es drei unterschiedliche Gruppen: Die deutschen Minderheiten in Westeuropa, begüns- tigt von der allgemeinen Entwicklung in einer stabilen Lage, die deutschen Minderheiten in Ostmitteleuropa, die seit der politi- schen Wende 1989 versuchen, ihr Schicksal zu verbessern, und die deutschen Minderheiten in den Nachfolgestaaten der ehe- maligen Sowjetunion, die sich in unterschiedlichen Phasen des Demokratieprozesses befinden. Sehr unterschiedlich ist auch die zahlenmäßige Stärke und regionale Siedlungsstruktur der jeweiligen deutschen Minderheiten. Während in Polen, Ungarn, Russland und in Kasachstan noch jeweils weit über 100.000 Deutsche leben, sind es in einigen Nachfolgestaaten der ehema- ligen Sowjetunion wie Armenien oder Aserbaidschan nur noch ei- nige Hundert. Insgesamt dürften jedoch allein im Osten Europas noch über eine Million Deutsche leben. Auch in Mittel-Ost-Eu- ropa gibt es deutsche Minderheiten, die zahlenmäßig und von der Organisationsstruktur her relativ stark sind. Hier seien die Deutschen in Polen und Ungarn bzw. in einer gewissen Sonder- stellung die in Rumänien erwähnt. In allen anderen Staaten be- läuft sich die Anzahl nach Vertreibung und Verschleppung nach dem Zweiten Weltkrieg auf einige Tausend. Diese historischen Prozesse spiegeln sich auch beim Erhalt der deutschen Spra- che und Kultur wider. Es ist einleitend wichtig zu erwähnen, dass die traditionelle Rolle der deutschen Sprache vor allem auf dem Gebiet der ehemaligen Habsburg-Monarchie (also zuletzt Öster- reich-Ungarn) bis 1918 einer offiziellen Staatsprache nahestand, da die Intelligenz und die Eliten in diesen Ländern und Regio- nen (die heutige Tschechische Republik, Slowakei, Slowenien, Schlesien, Karpato-Ukraine, Siebenbürgen, Banat bzw. Ungarn) Deutsch, unabhängig von ihrem ethnischen Hintergrund, meis- tens auf einem hohen Niveau beherrschten, wie dies im frü- heren Vielvölkerstaat, der sog. Donaumonarchie, üblich war. Derzeit leben - wie schon erwähnt - noch rund 500.000 Deut- sche in Ostmittel- und Südosteuropa, die größten Gruppen in Polen (zwischen 148.000 und 350.000), Ungarn (132.000) und Rumänien (36.900). Etwa 40.000 verteilen sich auf Est- land, Lettland, Litauen, Tschechien, die Slowakei, Slowe- nien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina sowie Serbien. Bei der Darstellung der aktuellen Lage der deutschen Sprache und Kultur und der betroffenen deutschen Minderheiten sollten SoNNTAGSBLATT wir zuerst die Tatsache festhalten, dass die deutschen Minder- heiten, wie erwähnt durch die historischen Ereignisse dezi- miert, natürlich mit anderen Problemen zu kämpfen haben als die drei größeren Gruppen in Rumänien, Polen und Ungarn. Aber auch bei den deutschen Gemeinschaften in der Tschechi- schen Republik und der Slowakei gibt es schon Unterschiede, ganz zu schweigen von der Problematik in Slowenien, wo eine offizielle Anerkennung der deutschen Minderheit bis heute noch nicht erfolgt ist und der Gotscheer Altsiedler Verein mühsam die Sprache und Kultur hochzuhalten versucht. In der Tschechischen Republik leben nur noch wenige Angehörige der deutschen Min- derheit. Bei der letzten Volkszählung von 2011 waren es nach eigenen Angaben noch rund 18.700 Menschen. Trotzdem gibt es in Tschechien noch einige wenige Nachkommen der deutsch- sprachigen Minderheit, die einen Dialekt der deutschen Minder- heitensprache verstehen oder sogar sprechen können. Mit ih- nen hat sich auch das Goethe-Institut in Prag beschäftigt. Das Projekt heißt „Schaufenster Enkelgeneration“. Deutsch ist in der Tschechischen Republik eine anerkannte und geschützte Minderheitensprache, auch dank der Europäischen Sprachen- charta, allerdings sind Minderheitenaktivitäten auch schwierig, weil neben der Vertreibung der Deutschen aus der damaligen Tschechoslowakei auch eine Vertreibung innerhalb des Landes stattgefunden hat, infolgedessen die restliche deutsche Minder- heit über das ganze Land verteilt wurde, was wiederum die Assi- milation beschleunigte. Deutsch als Fremdsprache ist allerdings „in“. Mit rund 450.000 Deutschlernenden liegt die Tschechische Republik neben der Slowakei und Slowenien im europäischen Vergleich weit vorne. In der Slowakei ist die Situation ähnlich: Bei der letzten Volkszählung 2011 gaben 4.690 Personen Deutsch als ihre Nationalität an. Der Karpatendeutsche Verein (KDV) ver- sucht, in den fünf Regionen Pressburg und Umgebung, Hauer- land, Oberzips, Unterzips und Bodwatal und mit der Hilfe von sieben, von der Bundesregierung geförderten kulturellen Begeg- nungsstätten die deutsche Sprache und Kultur zu erhalten und zu revitalisieren. Seit 1992 gibt der Verein die Zeitschrift „Das Karpatenblatt“ heraus. Die bairisch-österreichisch geprägten Dialekte in der Slowakei und auch die sudetendeutschen Dia- lekte in der Tschechischen Republik werden aber nur sehr selten noch aktiv gesprochen. In beiden Ländern konzentriert sich die Revitalisierung des Deutschen eher auf die Standardsprache. Ein vielleicht noch schwierigeres Erbe erfuhren die deutschen Minderheiten im ehemaligen Jugoslawien. Neben der erwähn- ten Problematik in Slowenien ist auch die Lage in Serbien und Kroatien hier zu nennen. Die Deutsche Gemeinschaft – Lands- mannschaft der Donauschwaben in Kroatien will ebenfalls alles für die Revitalisierung der deutschen Sprache tun. Seit Oktober 2012 führt sie das Programm der „Deutschen Samstagskurse“ für Kinder vom Vorschulalter bis 10 Jahre durch. Deutsch als Minderheitssprache wird nämlich nur in Esseg/Osijek (Ost-Kro- atien) in der dortigen Grundschule „Heilige Anna“ gelehrt und dies lediglich in Form zweier zusätzlicher Unterrichtsstun- den pro Woche. In Kroatien wird Deutsch meistens als zweite Fremdsprache und als Wahlfach erlernt. Laut den letzten An- gaben des Statistikamtes der Republik Kroatien am Ende des Schuljahrs 2010/2011 und Anfang 2011/2012 lernten 69,9 % (330.414) aller Schüler im achtjährigen Grundschulwesen (insg. 472.598) Englisch und 23,4 % (110.434) Deutsch. Deutsch be- findet sich somit in Kroatien auf dem zweiten Platz der meistge- lernten Fremdsprachen. Der Deutsche Volksverband in Serbien bündelt ähnliche Bestrebungen und auch der gesetzliche Rah- men stimmt dabei. Geschichtsbücher werden überarbeitet, die Deutschen haben seit 2007 eine Vertretung und Deutsch wird wieder vermehrt unterrichtet. Mittlerweile kann auch offen und kritisch über die Vertreibung der Volksdeutschen 1945 in Ser- bien debattiert werden und auch die historische Aufarbeitung fand weitgehend statt. Die Assimilierung ist aber aufgrund der schmerzhaften Geschichte auch in dieser Region bereits fortge- (Fortsetzung auf Seite 16) 15