Sonntagsblatt 4/2016 | Page 5

ßig nach Deutschland und Österreich fahren, lebendige Freundschafts-, verwandtschaftliche, kulturelle und Geschäftsbe - ziehungen zum deutschen Sprachgebiet pflegen. Wir haben aus- gezeichnete Deutschlehrer, Tanzlehrer, Musikkapellen, unser Jahres veranstaltungskalender ist voll von Nationalitätenprogram - men, die eine riesige Fangemeinde haben, in jeder Altersgruppe. Die Deutsche NSVW und die Stadtverwaltung unterstützen die Bewahrung der deutschen Identität, die Pflege und Erhaltung der deutschen Nationalitätenkultur bei jeder Gelegenheit. Wenn wir in manchen Details hin und wieder anderer Meinung sind, sind wir alle dabei, Werischwar so zu bewahren wie es auch gegenwärtig ist: als Heimat der zahlenmäßig zweitgrößten deutschen Nationalitä - ten gemeinschaft Ungarns. – Herr Bürgermeister, vielen Dank für das Gespräch. Authentisch und kompromissbereit Ein Kommentar von Richard Guth Das Beispiel Werischwar kann ganz schnell Schule machen: Die Einführung des Englischunterrichts kann im gegenwärtigen System curricaler, organisatorischer und mentaler Unflexibilität tat sächlich einen Ausstieg aus dem deutschen Nationalitätenun - terricht bedeuten. Das Beharren an dem Einen beim völligen Ausblenden des Anderen kann daher nicht der Weg sein. Mein geistiges Auge sehnt ein Modell herbei, in dem Deutsch und Englisch beiderseits ihren Platz finden. Wenn da aber nicht das Ungarische wäre, das als Amtssprache alles beherrscht und das Maß aller Dinge zu sein scheint. Drei Sprachen würden die Kleinkinder überfordern, und würden sie dann überhaupt die ungarische Sprache erlernen?, so die Reaktion vieler besorgter Eltern (wie Pädagogen und Bildungspolitiker). Im gleichen Atemzug dann die Lobeshymnen auf die Mustergültigkeit ungarischer Minderhei ten politik. Soweit eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die Verfassung unserer deutschen Natio - nalität. Vielsagend ist die Tatsache, dass sowohl die Diskussion in der Stadtverordnetenversammlungssitzung als auch die Berich - terstattung über diese Schicksalsfrage unserer Volksgruppe in der lokalen Monatsschrift der zweitgrößten ungarndeutschen Kom - mune ausschließlich in ungarischer Sprache stattfanden/statt fin - den. Deutsch ist für viele zu einer Fremdsprache verkommen, so ist auch die Entscheidung für Englisch statt Deutsch bei vielen Eltern ungarndeutscher Herkunft zu verstehen. Es fehlt in der his- torischen Perspektive schlicht an festen Mustern, wie die deutsche Minderheit authentisch funktionieren könnte. Der Blick über die Landesgrenzen hinaus (Slowakeimadjaren, Südtiroler Österrei- cher oder Finnlandschweden) könnte helfen, aber eine Eins-zu- Eins-Adaption wäre aufgrund der gewaltigen Unterschiede bezüg- lich Sprachgebrauch, kultureller Muster und politischer Tradi - tionen dennoch unmöglich. Worin besteht dann der Ausweg? Ich denke, in den Konstanten Kompromissbereitschaft und Authentizität. Denn feststeht: Die Zeit, in der die heile ungarndeutsche Welt (die seit spätestens der Zeit des aufkommenden madjarischen Natio nalismus nicht mehr so heil war) noch den Alltag prägte, ist seit 1945 endgültig vorbei. Feststeht (2): Es wird nie mehr ein „deutsches Volk in Ungarn” in seiner Ganzheit geben, denn zu verschieden sind die Biografien der Ungarndeutschen geworden. Für manche ist Ungarndeutsch - tum eine feste Konstante, für manche ferne Erinnerung, für man- che Volkstanz und Musik, für manche die deutsche Zehnuhrmesse ohne deutsche Predigt, für manche deutsche Ortsschilder, für manche ein Kulturkreis, für manche Kontakte und Verdienst - möglichkeit im deutschsprachigen Ausland. Feststeht (3): Die Gewissheit, dass das Absolvieren des deut- schen Nationalitätenunterrichts den jungen Menschen sprachlich, kulturell und bezüglich Identität an die Volksgruppe bindet, ist eine trügerische. Es ist nämlich nicht so. Das Überangebot an Iden titätsmustern oder eben die Ablehnung von Identität als sol- che, weil sie altmodisch, uncool, ungreifbar, unerlebbar usw. ist, tut das Übrige. Der Ausweg: Kompromisse eingehen. Es wird so sein, dass in der Zukunft nicht jedes Werischwarer Kind dem deutschen Natio - nalitätenunterricht beiwohnen wird (wie auch nicht jedes slowakei- madjarische Kind eine ungarische Schule besucht). Sie dazu zu zwingen durch Verbot? Unmöglich. Dann bringen die Eltern diese Kinder eben an anderen Schulen der Umgebung unter. Problemlos 17 km vom Stadtzentrum Budapests entfernt. Es bedarf auf der anderen Seite authentische Modelle, die gefragt sind. Denn neben den 150 Unterschriften pro Englisch stehen genauso viele für den zweisprachigen Unterricht (deutsch/un ga risch), wie ein Versuch des Schiller-Gymnasiums vor einigen Jahren zeigte. Dieser Befund zeigt eines: Der deutsche Natio nalitätenunterricht (nun allgemein) ist in der heutigen Form reformbedürftig. Sein Image ist fragwür- dig, er überfordert schwächere Schüler und unterfordert leistungs- fähige und -willige. Die Schüler verlassen die Nationalitätenschu len teils mit guten Deutsch-Sprachkenntnissen – aber viele eben ohne verwertbare. Trotz des hohen Einsatzes vieler Pädagogen erfüllt diese Form ihre identitätsstiftende Aufgabe nur sehr begrenzt. Der Ausweg könnte der zweisprachige Unterricht sein, nun als Kernangebot neben anderen (neben Klassen mit Deutsch- und Englisch-Fremdsprachenunterricht). Den gibt es bereits in Werisch - war und den gilt es zu stärken. In institutionalisierter Form (Über- nahme der Trägerschaft und Sicherung des Fortbestands für die Gemeinschaft) und insbesondere inhaltlich–organisatorisch (50– 50% statt der jetzigen „Mogelpackung” von 10–10 Fachunterricht plus 7 Ungarischstunden, Einsatz von Muttersprachlern, Deutsch als Umgangssprache in der Schule, Austauschhalbjahre im deutsch- sprachigen Ausland, Paradigmenwechsel in Didaktik und Metho - dik, klare Definition von (Ungarn-) Deutschsein und Selbstbestim - mung als (ungarn)deutsche Schule). Das zusätzliche Know-how könnte das Friedrich-Schiller-Gymnasium beisteuern, das auf lang- jährige Erfahrungen im zweisprachigen Unterricht zurückblicken kann. Über die Zusammenarbeit könnte und eigentlich müsste das Gymnasium aus seiner unfreiwilligen Isolation heraustreten, denn ein Nonsens ist es ohnehin, dass so wenige Werischwarer Kinder diese weiterführende Schule wählen. Wenn wir von einer lokalen Schulstruktur sprechen, dann ist das Schiller-Gymnasium wie Kindergärten und Grundschulen ein integraler Bestandteil von die- ser. Die Einführung von Englisch könnte sogar ihr Gutes tun, denn wir wissen: Wettbewerb belebt (den Markt). Trotzdem könnte ich mir als idealistischer Querdenker vorstellen, dass man zweisprachi- gen Unterricht mit Englischunterricht ab der ersten Klasse verbin- det. Irgendwie müsste es doch gehen. Vieles ließe sich auf lokaler Ebene erreichen, vieles bedarf Entscheidungen auf höherer Ebene. Perspektivisch müsste sogar die einsprachig deutsche Klasse drin sein, wofür es ja bereits Beispiele woanders in Ungarn gibt. Wie es nun in Zeiten sich ständig verändernder Rahmenbedin - gungen (ab dem 1. Januar werden die größeren Kommunen, so auch die Stadt Werischwar, nicht mehr Teilträger ihrer Schulen sein) weitergeht, ist sicher nicht gänzlich abzusehen. Dennoch steht eins fest: Nur als authentisches, wettbewerbsfähiges Modell wird der „Nationalitätenunterricht” überleben. In Werischwar und woanders. Für den einen als Garant für die Tradierung der deutschen Identität, für andere als Sprungbrett für eine Zukunft im deutschsprachigen Ausland. Am besten sollte man aber auf den belasteten Zusatz „Nationalität” verzichten. 5