Von der Vielvölkerstadt Riga in die Siedlung im Walde in Eldorado
Die „ Amish-People”: eine deutschsprachige Minderheit, die alles Moderne ablehnt.
geht es regenummantelt, wohlverpackt in eine blaue Nylon-Uni- form, an Bord. Der Kapitän führt, von seiner wasserdichten Kom- mandobrücke aus, das Boot bis auf 30 Meter heran. Orkanartig stürzen die tosenden Fluten herab und klatschen weiß schäumend auf den Wasserspiegel. Immer wieder tauchen unvermittelt die bunten Regenbogenfarben auf. Das sintflutartige Geprassel durchnäßt uns trotz Regenmäntel. Ohrenbetäubendes Gedröhne, und die jaulenden Touristen kämpfen um einen geeigneten Schnappschußplatz. In diesem Getöse winselt die Stimme des Kapitäns durchs Mikrophon: „ Meine Damen und Herren, das sind die wahren Niagara-Fälle...” Vom Fallen offensichtlich ermüdet, beruhigen sich unten allmählich die Fluten und suchen ihren Weg durch ein Schluchttal, dem Ontario-See entgegeneilend.
Bei den „ Amish-people” in Pennsylvania
Sie lehnen alles Moderne ab, verzichten auf Autos, elektrischen Strom, Bildung usw. Lediglich Propangasflaschen finden sich im Haushalt. Pferd und Wagen sind Transportmittel Nr. 1. Nur das Notwendigste wird den Kindern von eigenen Lehrerinnen – meist alten, unverheirateten Damen – beigebracht. Die Devise der „ Amish-people”: Beten und Arbeiten. Feldarbeit und Viehzucht sind ihre Hauptbeschäftigungen. Kinderreichtum sichert die Al- tersversorgung. Amish-people oder Dutch werden sie von den Ame rikanern genannt. Vom Schweizer Jakob Amman 1693 als Anna – Baptisten-Sekte gegründet, fanden sie in Pennsylvania eine willkommene Bleibe.
Wir halten in der Nähe von Lancaster auf einer Farm. Ein etwa zehnjähriges Mädchen stellt sich vor: „ Ich hääsch Anni Fischer und häw vier Brieder und 3 Sisters. Mir häwe zehn Phäär und treisich Khi. Mei Eldre paue Frucht und Korn( gemeint ist’ Mais’) an.” Auf meine Frage: „ Hät teer aach Hun un Katze”? kam die prompte, selbstverständliche Antwort: „ Ä joo, meer hän zwä Hun und troi Katze”. Ich fragte weiter: „ Gehscht du aach in die Schul”?, worauf das Mädchen meinte: „ Jo, aawer nimi lang...”
Eine friedliche, arbeitsame Gemeinschaft, die mit ihrer Umge- bung gut zurechtkommt. Strenge Sitten und gepflegte Bräuche überbrücken den Bogen zwischen Herkunft und Gegenwart. Ihnen ist, wie auch den Latino-Amerikanern und den Indianern, die Zweisprachigkeit erhalten geblieben. Wohl steigen jährlich um die sechs Prozent, vor allem junge Menschen, aus dieser Reli- gionsgemeinschaft aus, was zahlenmäßig jedoch durch den Kin- derreichtum ausgeglichen werden kann.
Washington – die Hauptstadt der Hauptstädte
Durch den waldreichen Gebirgszug der Appalachen geht es der amerikanischen Hauptstadt zu. Washington ist eine europäisch anmutende Stadt- ein Gegenstück zu New York: Breite, von verschiedenen Denkmälern radial ausfallende Boulevards, viel Grün, sauber und überschaulich. Niedrigbauten im Vergleich zu New Yorks Wolkenkratzern, denn kein Gebäude darf höher sein als das Kapitol...
Der tägliche Zustrom von 3,5 Millionen Menschen kann von der 750 000 Einwohnerstadt gerade noch verkraftet werden. Ne- ben den Weltenbummlern kommen ganze Armeen von Amerika- nern in „ ihre” Hauptstadt, denn es ist die heilige Pflicht für jeden US-Bürger, einmal in der Hauptstadt gewesen zu sein. Trotz allem, keine Hektik.
Hannelore, eine in Washington lebende Deutsche, unsere ge- wandte Reiseleiterin, schleust uns durch einen Hintereingang ins Kapitol. Wir entkommen dem Gewirr endloser Touristenschlan- gen und stehen plötzlich vor dem Sitzungssaal des Senats, erhalten Eintritt zur Galerie. Eine Senatsdebatte um Waffen im Unterricht wird u. a. auch von Senator Edward Kennedy im Saal aufmerksam verfolgt.
Der Heldenfriedhof Arlington liegt jenseits des Potomac- Flusses, also bereits in Virginia. Auch ein Friedhofsbesuch ist ein Muß für jeden patriotischen Amerikaner. Die Kennedys besitzen dort einen riesigen Grabhügel, Pilgerziel von Touristen verschiedener Nationen. Vor allem John F. Kennedys Grab ist stets um- ringt und reich beblumt. Das ältere Georgetown – besser als Universitätsstadt bekannt, gab es lange vor der Hauptstadt Washington D. C.( District Co- lum bia) – das Weiße Haus und das Regierungsviertel wurden erst 1800 auf „ zehn Quadratmeilen in der Wildnis” errichtet.
Philadelphia – die historische Stadt
Für die meisten deutschen Einwanderer in die neue Welt war Philadelphia die Anlaufstelle. Historisch gesehen bedeutungsvoll, wurde doch 1776 hier die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet, gilt Philadelphia als die Geburtsstadt der Nation. Die Stadt am Delaware-Fluß wird mit ihren 80 Kilometer Kaianlagen zum größten Süßwasserhafen der Welt. Wir besuchten das „ Geburts- haus” der amerikanischen Flagge. An vielen Häusern im patriotischen Amerika weht das Sternenbanner – im ganzen Land.
Während der gesamten Reise durchblätterte ich an all unseren Stationen die Telefonbücher. Vertraut klingende „ Banater” Na- men, der amerikanischen Schreibweise wohl angepasst, graphemisch oft aber in ursprünglicher deutscher Schreibweise erhalten, sind im Philadelphia-Telefonbuch besonders häufig verzeichnet.
Auffallend ist im allgemeinen trotz des geschäftlichen Treibens die Ruhe der Amerikaner. In Gesprächen merkt der Amerikaner, dass er es mit Ausländern zu tun hat, obwohl auch Neo-Ameri- kaner die Sprache oft nur in beschränktem Maße beherrschen. Geduldig wartet man auf unsere Erklärungen und Verdeutli- chungs versuche. Mit fast stoischer Ruhe macht jeder seinen Job.
Ein einziges Mal rückte etwas Hektik ins Bild: Wir saßen bereits in der Maschine nach Los Angeles, als es plötzlich hieß, ein kleines Problem verzögere den Abflug. Der Triebwerkschaden wurde in vier Stunden behoben. Kein Lamentieren oder Geschimpfe. Gelassen nahmen es die Passagiere hin, bis auf eine schimpfende Mutter mit vier Kindern: Sie war Französin. Aus dem Nachmit- tagsflug wurde ein Nachtflug.
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Das Schicksal einer deutschen Familie – Aus dem Baltikum nach Süd-Amerika
Von der Vielvölkerstadt Riga in die Siedlung im Walde in Eldorado
Die bewegende Lebensgeschichte meiner Familie von Lettland nach Argentinien Von Gisela Wachnitz
Der Anlass dieser Geschichte war eine e-Mail, die ich an Frau Petra Meßbacher schrieb, um mich für den Artikel im Globus 4 / 2014 zu bedanken: „ Die Vielvölkerstadt Riga vor hundert Jahren”, von Frau Dr. Roswitha Schieb. Meine liebe Großmutter väterlicherseits war Deutsche aus Riga, daher stammt mein Interesse an diese Stadt, die ich nicht kenne, d. h., von der ich sehr wenig weiß. Ich las den Artikel über das Buch „ Baltische Tragödie” von
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