Sonntagsblatt 4/2016 | Page 24

Von der Vielvölkerstadt Riga in die Siedlung im Walde in Eldorado
Die „ Amish-People ”: eine deutschsprachige Minderheit , die alles Moderne ablehnt .
geht es regenummantelt , wohlverpackt in eine blaue Nylon-Uni - form , an Bord . Der Kapitän führt , von seiner wasserdichten Kom - mandobrücke aus , das Boot bis auf 30 Meter heran . Orkanartig stürzen die tosenden Fluten herab und klatschen weiß schäumend auf den Wasserspiegel . Immer wieder tauchen unvermittelt die bunten Regenbogenfarben auf . Das sintflutartige Geprassel durchnäßt uns trotz Regenmäntel . Ohrenbetäubendes Gedröhne , und die jaulenden Touristen kämpfen um einen geeigneten Schnappschußplatz . In diesem Getöse winselt die Stimme des Kapitäns durchs Mikrophon : „ Meine Damen und Herren , das sind die wahren Niagara-Fälle ...” Vom Fallen offensichtlich ermüdet , beruhigen sich unten allmählich die Fluten und suchen ihren Weg durch ein Schluchttal , dem Ontario-See entgegeneilend .
Bei den „ Amish-people ” in Pennsylvania
Sie lehnen alles Moderne ab , verzichten auf Autos , elektrischen Strom , Bildung usw . Lediglich Propangasflaschen finden sich im Haushalt . Pferd und Wagen sind Transportmittel Nr . 1 . Nur das Notwendigste wird den Kindern von eigenen Lehrerinnen – meist alten , unverheirateten Damen – beigebracht . Die Devise der „ Amish-people ”: Beten und Arbeiten . Feldarbeit und Viehzucht sind ihre Hauptbeschäftigungen . Kinderreichtum sichert die Al - tersversorgung . Amish-people oder Dutch werden sie von den Ame rikanern genannt . Vom Schweizer Jakob Amman 1693 als Anna – Baptisten-Sekte gegründet , fanden sie in Pennsylvania eine willkommene Bleibe .
Wir halten in der Nähe von Lancaster auf einer Farm . Ein etwa zehnjähriges Mädchen stellt sich vor : „ Ich hääsch Anni Fischer und häw vier Brieder und 3 Sisters . Mir häwe zehn Phäär und treisich Khi . Mei Eldre paue Frucht und Korn ( gemeint ist ’ Mais ’) an .” Auf meine Frage : „ Hät teer aach Hun un Katze ”? kam die prompte , selbstverständliche Antwort : „ Ä joo , meer hän zwä Hun und troi Katze ”. Ich fragte weiter : „ Gehscht du aach in die Schul ”?, worauf das Mädchen meinte : „ Jo , aawer nimi lang ...”
Eine friedliche , arbeitsame Gemeinschaft , die mit ihrer Umge - bung gut zurechtkommt . Strenge Sitten und gepflegte Bräuche überbrücken den Bogen zwischen Herkunft und Gegenwart . Ihnen ist , wie auch den Latino-Amerikanern und den Indianern , die Zweisprachigkeit erhalten geblieben . Wohl steigen jährlich um die sechs Prozent , vor allem junge Menschen , aus dieser Reli - gionsgemeinschaft aus , was zahlenmäßig jedoch durch den Kin - derreichtum ausgeglichen werden kann .
Washington – die Hauptstadt der Hauptstädte
Durch den waldreichen Gebirgszug der Appalachen geht es der amerikanischen Hauptstadt zu . Washington ist eine europäisch anmutende Stadt - ein Gegenstück zu New York : Breite , von verschiedenen Denkmälern radial ausfallende Boulevards , viel Grün , sauber und überschaulich . Niedrigbauten im Vergleich zu New Yorks Wolkenkratzern , denn kein Gebäude darf höher sein als das Kapitol ...
Der tägliche Zustrom von 3,5 Millionen Menschen kann von der 750 000 Einwohnerstadt gerade noch verkraftet werden . Ne - ben den Weltenbummlern kommen ganze Armeen von Amerika - nern in „ ihre ” Hauptstadt , denn es ist die heilige Pflicht für jeden US-Bürger , einmal in der Hauptstadt gewesen zu sein . Trotz allem , keine Hektik .
Hannelore , eine in Washington lebende Deutsche , unsere ge - wandte Reiseleiterin , schleust uns durch einen Hintereingang ins Kapitol . Wir entkommen dem Gewirr endloser Touristenschlan - gen und stehen plötzlich vor dem Sitzungssaal des Senats , erhalten Eintritt zur Galerie . Eine Senatsdebatte um Waffen im Unterricht wird u . a . auch von Senator Edward Kennedy im Saal aufmerksam verfolgt .
Der Heldenfriedhof Arlington liegt jenseits des Potomac- Flusses , also bereits in Virginia . Auch ein Friedhofsbesuch ist ein Muß für jeden patriotischen Amerikaner . Die Kennedys besitzen dort einen riesigen Grabhügel , Pilgerziel von Touristen verschiedener Nationen . Vor allem John F . Kennedys Grab ist stets um - ringt und reich beblumt . Das ältere Georgetown – besser als Universitätsstadt bekannt , gab es lange vor der Hauptstadt Washington D . C . ( District Co - lum bia ) – das Weiße Haus und das Regierungsviertel wurden erst 1800 auf „ zehn Quadratmeilen in der Wildnis ” errichtet .
Philadelphia – die historische Stadt
Für die meisten deutschen Einwanderer in die neue Welt war Philadelphia die Anlaufstelle . Historisch gesehen bedeutungsvoll , wurde doch 1776 hier die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet , gilt Philadelphia als die Geburtsstadt der Nation . Die Stadt am Delaware-Fluß wird mit ihren 80 Kilometer Kaianlagen zum größten Süßwasserhafen der Welt . Wir besuchten das „ Geburts - haus ” der amerikanischen Flagge . An vielen Häusern im patriotischen Amerika weht das Sternenbanner – im ganzen Land .
Während der gesamten Reise durchblätterte ich an all unseren Stationen die Telefonbücher . Vertraut klingende „ Banater ” Na - men , der amerikanischen Schreibweise wohl angepasst , graphemisch oft aber in ursprünglicher deutscher Schreibweise erhalten , sind im Philadelphia-Telefonbuch besonders häufig verzeichnet .
Auffallend ist im allgemeinen trotz des geschäftlichen Treibens die Ruhe der Amerikaner . In Gesprächen merkt der Amerikaner , dass er es mit Ausländern zu tun hat , obwohl auch Neo-Ameri - kaner die Sprache oft nur in beschränktem Maße beherrschen . Geduldig wartet man auf unsere Erklärungen und Verdeutli - chungs versuche . Mit fast stoischer Ruhe macht jeder seinen Job .
Ein einziges Mal rückte etwas Hektik ins Bild : Wir saßen bereits in der Maschine nach Los Angeles , als es plötzlich hieß , ein kleines Problem verzögere den Abflug . Der Triebwerkschaden wurde in vier Stunden behoben . Kein Lamentieren oder Geschimpfe . Gelassen nahmen es die Passagiere hin , bis auf eine schimpfende Mutter mit vier Kindern : Sie war Französin . Aus dem Nachmit - tagsflug wurde ein Nachtflug .
Das Schicksal einer deutschen Familie – Aus dem Baltikum nach Süd-Amerika
Von der Vielvölkerstadt Riga in die Siedlung im Walde in Eldorado
Die bewegende Lebensgeschichte meiner Familie von Lettland nach Argentinien Von Gisela Wachnitz
Der Anlass dieser Geschichte war eine e-Mail , die ich an Frau Petra Meßbacher schrieb , um mich für den Artikel im Globus 4 / 2014 zu bedanken : „ Die Vielvölkerstadt Riga vor hundert Jahren ”, von Frau Dr . Roswitha Schieb . Meine liebe Großmutter väterlicherseits war Deutsche aus Riga , daher stammt mein Interesse an diese Stadt , die ich nicht kenne , d . h ., von der ich sehr wenig weiß . Ich las den Artikel über das Buch „ Baltische Tragödie ” von
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