Sonntagsblatt 4/2015 | Page 3

Wallei/Vállaj: Beispiel gemeinschaft - lichen Zusammenhalts und Treue Zsófia Jobbágyi, Magyar Hírlap, 01. 06. 2015 „Wir halten an Mutter Erde fest (…), was mehr ist als Humus. Der Boden ist Geschichte, Lebensweise, zwischenmenschliche Beziehungen, gemeinschaftlicher Zusammenhalt, und wenn wir den treue bleiben, dann bleiben wir auch der gemeinsamen Ge - schichte treu”, betonte Zoltán Balog am Wochenende in Wallei, das im Komitat Saboltsch-Sathmar-Bereg liegt, anlässlich der Weihe eines Denkmals zu Ehren es ehemaligen Obernotars der Gemeinde, Sándor Becsky. Der Minister für Humane Ressourcen nannte das friedliche Zusammenleben und Zusammenwachsen ein historisches Vor - bild, was die Deutschen und Schwaben, die sich in der Gemeinde an der ungarisch–rumänischen Grenze ansiedelten, zu Ungarn/ Mad jaren (?) machte. Der Minister rief in Erinnerung, dass die Großmächte beim Friedensdiktat von Trianon ohne die betroffe- nen Völker zu befragen darüber befunden haben, wo die neue Grenzlinie verlaufen soll, die Wallei von Ungarn abgeschnitten hätte. Es gab in der Gemeinde jedoch einen mutigen Menschen und eine mutige Gemeinschaft, wie er formulierte, die nicht zu Kenntnis genommen hätte, dass „man über uns ohne uns befun- den hat”, so dass das Gebiet bei Ungarn verbleiben konnte. Zoltán Balog sprach auch darüber, es in Ungarn eine solche Na - tio nalitätenpolitik gibt, die „beispiellos in Europa” sei, denn „die Zahl derer, die sich zu einer Nationalität bekennen, ständig steigt”. – Dazu: Beispiellos beispielhaft Ein Kommentar von Richard Guth Die zum Topos gewordene Beispielhaftigkeit Ungarns Minder - heitenpolitik kennen wir zu Genüge. Wir sind in der Tat auch erfreut über den Zuwachs bei den bekennenden Deutschen, ich persönlich auch im Falle solcher Deutscher, die sich in Mischehen geboren zu zwei Nationalitäten bekennen. Aber der Blick auf die Statistik verrät auch, dass da Ergebnisse unterschiedlicher Kate - gorien (Volkszugehörigkeit, Zugehörigkeit zur Kulturge mein - schaft) großzügig zusammengerechnet und so als glänzendes Ergebnis präsentiert wurden. Nun gut, der Zuwachs ist in der Tat beachtlich, nicht aber bei den Muttersprachlern, hier verzeichnete die deutsche Gemeinschaft erneut einen Rückgang, wie die übri- gen Nationalitäten ebenfalls. Keiner kann natürlich erwarten, dass eine Ministerrede auf solche Nuancen einzugehen vermag. Wir wissen aber: ohne Sprache kein Fortbestand, ohne Sprache keine gelebten Traditionen. Daher verwundert mich umso mehr die Aussage Balogs bezüg- lich der Beispiellosigkeit. Beispiellos wofür? Hinsichtlich der Zahl der Bekenner? Na ja. Das ist zu komplex, um eine einfache Er - klärung zu liefern. Welche Länder dienen als Vergleiche? Hin - sicht lich eines Schulwesens, das die „Muttersprache” für die kom- menden Generationen sichert? Gewiss nicht, wenn man an die Südtiroler Österreicher, an die Schweden in Finnland oder selbst die Madjaren in den Nachbarländern denkt. Bei all den Schwie - rigkeiten und Widrigkeiten, mit denen sie – auch demografisch bedingt – zu kämpfen haben. Das Selbstverwaltungssystem? Es ist in dieser Form in der Tat beispiellos. Aber wir wissen: Das System ist oft zu Untätigkeit verdammt, denken wir an die Weg nahme des Vetorechts im Schulwesen oder die maglende Mög lichkeit der Einflussnahme auf Entscheidungen der lokalen Politik. Auch wenn durch die Möglichkeit, eigene Institutionen zu betreiben, der Weg in Richtung kultureller Autonomie in An sätzen beschrit- ten wurden. Genauso bemerkenswert ist ein anderer Satz von Balog: „Der Minister für Humane Ressourcen nannte das friedliche Zusam - menleben und Zusammenwachsen ein historisches Vorbild, was die Deutschen und Schwaben, die sich in der Gemeinde an der ungarisch–rumänischen Grenze ansiedelten, zu Ungarn/Madja - ren (?) machte.” Hier ist die Unsicherheit „Ungar/Madjare” mehr als berechtigt, denn das Werk, das der Gentryadel mit dem Y im Namen in vielen deutschen Ortschaften vollbrachte, bedeutete eine Assimilierung zuerst im emotionalen, später im sprachlichen und schließlich im kulturellen Sinne. Als ich die Meldung zuerst vernahm, kam mir Bernadette Baumgartners Monografie, die wir letztes Jahr im Sonntagsblatt vorgestellt haben und die sich mit dem Schicksal der Sathmarer Schwaben beschäftigt, in den Sinn. In der Zwischenkriegszeit begann der rumänische Staat, sicherlich nicht ganz selbstlos, in dieser Region mit der Regermanisierung der deutschstämmigen Bevölkerung im Schul- und Kirchenwesen. Dies stieß beim madjarisch gesinnten Klerus und Schulpersonal auf heftigen Widerstand, so dass die Eröffnung deutscher Schulen nur teilweise und auf Zeit gelang. So setzte sich die Assimilierung der Sathmarer Schwaben unter rumänischer Herrschaft im Ganzen und Großen fort, auch wenn es von Ort zu Ort Un - terschiede gab. So ist der Satz Balogs als Madjarenwerdung zu verstehen, was er hier als positive Errungenschaft darstellt. So gesehen ergäbe sich aber ein Widerspruch zur Beispielhaftigkeit Ungarns Minderheitenpolitik, die die Stärkung der Nationa - liätenidentität zum Ziel hab en soll. Deshalb und auch hinsichtlich der Zeitumstände die Überset- zung „Ungar” wahrscheinlich. Dahinter versteckt(e) sich aber im Umkehrschluss die gleiche Ideologie, die gleiche Abgrenzung vom Fremden, der Ausschluss des Anderen wie im Falle eines bekun- deten ethnischen „magyarrá válás”. Von Becskys Werk konnten die Deutschen von Wallei nicht viel abgewinnen. So ist deren Nennung nicht nur unwürdig, sondern auch überflüssig. Denn wir wissen: Teil der ungarischen Nation zu sein bedeutete ab spätes- tens Anfang des 20. Jahrhunderts die Aufgabe der eigenen Her - kunft, Namensänderung sowie eine kulturelle und sprachliche Assimilation. In diesem Sinne hat Balog Recht: Ungarn Min - derheitenpolitik war und ist – vor allem in ihrer Dimensionalität – beispiellos. O 9. Juni 2015 25 Jahre Deutsche Schule Budapest Am 29. Mai 2015 feierte die Deutsche Schule Budapest ihr 25-jähriges Be - stehen. Die Schule ist somit die älteste anerkannte deutsche Auslandsschule der Region und in etwa so alt wie die jungen Demokratien in den Ländern Mittel- und Osteuropas. Das Leitbild der Schule „Zwei Länder – eine Schule – mitten in Europa” widerspiegelt hierbei das klare Bekenntnis einer Be - gegnungsschule. Seit 25 Jahren bietet die Deutsche Schule Buda - pest deutschen und ungarischen Schülerinnen und Schülern den kulturellen und sprachlichen Austausch untereinander. Neben dem Erlernen der Sprache des jeweils anderen Landes erwerben die Schülerinnen und Schüler wichtige interkulturelle Kompe - tenzen. Die Deutsche Schule ist eine wichtige Brücke in den deutsch–ungarischen Beziehungen. Im Rahmen der Feierlich - keiten wurden zwei zukunftsweisende Vereinbarungen geschlos- sen. (Fortsetzung auf Seite 4) 3