Sonntagsblatt 4/2013 | Page 18

Matthias Hug , der im Wirtshaus von Stern die Sterbesakramente empfing , dann aber noch am selben Nachmittag mit Frau und Kindern auf ein Schiff nach Ungarn ging , - damit er nicht an einem lutherischen Ort sterbe ."
Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten war das Jahr 1712 nur der Auftakt weiterer Migrationswellen Richtung Südosten , die unter dem Begriff „ Schwabenzüge ” bekannt sind .
„ Auf dem ungarischen Landtag von 1723 wurde die Anwerbung fremder Bauern und Handwerker auch offiziell von den ungarischen Landständen gefordert und vom Kaiser gebilligt .” Aus dem Reich wurden um 400 000 Kolonisten im Laufe des 18 . Jahrhunderts in Ungarn angesiedelt .
Wodurch die Auswanderer motiviert waren , ihre Heimat im Südwesten des Reichs zu veranlassen , lässt sich vermuten : „ Hungersnöte , Kriegsereignisse , Seuchen , dazu kamen hohe Abgabenund Steuerlasten , Frondienste , Wildschäden und eine in manchen Territorien äußerst rigide Verwaltungspolitik . Auch die unterschiedlichen Formen des Erbrechts , die den Erst- oder Letztgeborenen bevorzugten ( durch das sogenannte Anerbenrecht ) oder dafür sorgten , dass die Bauerngüter durch ständige Teilungen immer kleiner wurden , bis sie keine Familie mehr ernähren konnten , trugen zu persönlicher Perspektivlosigkeit bei . Hinzu kamen häufig persönliche Motive - Verschuldung oder eine verwehrte Heiratserlaubnis (...).”
Die Werben , die über die Dörfer zogen , verstanden ihre Sache und hatten den künftigen Kolonisten einiges zu bieten : die Stellung von Grundstücken aus Bauholz , Hilfen bis zur ersten Ernte sowie eine sechsjährige Abgaben- und Steuerfreiheit unter Maria Theresia ; eigene Häuser mit Küche , Kammer und Stallung , je nach Familiengröße eine ganze , halbe , viertel oder achtel Session Wagen und Pflug zusammen mit einer 10jährigen Steuer- und Abgabenfreiheit unter Joseph II in den 1780er Jahren . Verglichen mit ihrem eigenen Dasein erschien vielen Menschen Ungarn als ein Land , wo die sprichwörtlichen gebratenen Tauben fliegen .
Viele „ überhörten ” die Forderung nach einem Mindestvermögen von mehrhundert Gulden , um die ersten harten Monate zu überstehen . Das Ungarland ist ’ s reichste Land , Dort wächst viel Wein und Treid , So hat ’ s in Günzburg man verkünd ’ t , Die Schiff stehn schon bereit , dort geits viel Vieh und Fisch und G ' flüg , Und taglang ist die Weid ’, Wer jetzo zieht ins Ungarland , Dem blüht die gold ’ ne Zeit . ”
2 .) Unter dem Titel „ Gemeinschaft und Lebenssinn Sozialstruktur eines donauschwäbischen Dorfen ” behandelt der Beitrag von Dr . Ingomar Senz die Landgemeinde Filipowa in der Mittelbatschka . Er ist dabei bestrebt , die Dorfstruktur mit ihren einzelnen Strukturelementen zu zeigen , die herkömmliche Dorfgemeinschaft des 1763 gegründeten Filipowa .
Der katholische Glaube prägte als besonders wichtiges Strukturelement das hiesige Gemeindeleben . „ In der Regel bäuerlicher oder handwerklicher Herkunft und daher von starkem Traditionsbewusstsein geprägt , bewahrten sich die Ansiedlicher ihre mitgebrachte Religiosität auch in der neuen Heimat . Das Motiv der Auswanderung war zwar die Suche nach einer freieren und materiell besseren Leben , aber die religiöse Einstellung blieb dasselbe , ein Christentum aus dem Geiste des Spätbarock . (...)
Als in den dreißiger Jahren die kleine , aber hochaktive Gruppe der Erneuerer in Form des Nationalsozialismus eine neue Weltanschauung in s Dorf tragen wollte , steigerte sich das Christlich zu einer bewussten Aktion des Widerstandes .
Die zehn Gebote waren in Filipowa selbstverständliche Lebensnorm . Glaubensüberzeugung , Sonntagsmesse , Liebe zu den Eltern , Ehrfurcht der Jüngeren vor dem Alter , Achtung vor dem werden Leben , öffentlicher Anstand , eheliche Treue , Ehrlichkeit , Fleiß , Sparsamkeit , Familiensinn , Nachbarschaftshilfe stellten fraglose Werte dar . Daher gab es nur selten schwere Flüche , Entfremdung von der Kirche und ihren Sakramenten , Raufereien und gewissenlose Geschäftspraktiken .
Daneben sind natürlich auch Fehler und Mängel zu nennen , wie Habsucht , Geiz , Bauernstolz , Scheinheiligkeit , Unmäßigkeit und zum Schluss seiner der große Bruderzwist zwischen den aus christlich-katholischem Geist Lebenden und den nationalsozialistisch geprägten Erneuerern .”
Das Basiselement der Gemeindestruktur stellte zweifelsohne das Bäuerliche dar . Erst durch die Modernisierung der Landwirtschaft sank die Zahl der Bauernfamilien zugunsten der von Gewerbetreibenden , Handwerkern und Kaufleuten , auch wenn der Bauernstand im Dorf auch weiterhin vorherrschend war . Die Dorfgemeinde war mehr oder weniger homogen , denn in Filipowa gab es fast keine Großbauern .
Die Gemeinde richtete sich auf eine „ genügsame Selbstversorgung ” ein , wobei sie sehr stark in das Lebensrythmus der Natur eingebunden war . Dies bedeutete , dass jeder Haushalt all das produzierte , was er auch hätte auf dem Markt besorgen können , so betrieb jedes Haus Weinanbau , man hielt sich Kleinvieh und Schweine , von denen eine mittelgroße Familie sogar 3 in einem Winter schlachtete .
„ Das auf Solidarität beruhende Wirtschafts- und Berufssystem von Filipowa war von hoher Leistungsfähigkeit . Es ermöglichte einer großen Zahl von Menschen einen für damalige Zeiten hohen Lebensstandard .
Filipowa konnte den Herausforderungen der 30er Jahre noch widerstehen , „ dann wurde sie zum Opfer von Chaos verbreitenden totalitären Ideologien ”.
Weitere Vorträge der Kulturtagung 2012 befassten sich mit der Auswanderung , Flucht , Vertreibung , Intergration aus der museumspädagogischer Sicht wie auch aus dem Aspekt , in wie fern diese Begriffe als Neukonzeption der Ungarndeutschen Abteilung im Museum von Gerlingen oder aber als Schülerprojekt des Stadtmuseums bearbeitet werden können . Anzeichen dafür , dass die Erinnerung an Freud ’ und Leid ’ der Vorfahren auch bei der Jugend wachzurufen ist , wenn geeignete Mittel und Methoden dafür gewählt werden .
Deutsche Minderheiten in Europa - Ostpreußen , Pommern , Ost-Brandenburg und Schlesien Bevölkerungsverschiebungen im 20 . Jahrhundert
von Kathi Gajdos-Frank
Bedingt durch verschiedene Siedlungsbewegungen gab es bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges deutsche Sprachinseln , die über große Teile Ost- und Ostmitteleuropas verstreut waren . Die äußere Bedrohung durch das Wirtsland in politischer , kultureller und sprachlicher Hinsicht war ein ebenso entscheidender Motor für den Erhalt oder Verlust der Sprachinsel , wie seine geographische Lage .
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