Sonntagsblatt 4/2013 | Page 12

winkel ” verlassen . Soll heißen , war als betroffener Schwabe zu sehr befangen , um objektiv zu sein . Béla Bellér kann man den Weidlein unterstellten einengenden schwäbischen Blickwinkel gewiss nicht zuschreiben , sein Stil ist emotionsfrei . Durch das Verschweigen Bellérs , schiebt Ritter implizit auch die , von der Landesselbstverwaltung der Ungamdeutschen verlegte Arbeit Bellérs ( A Volksbildungsvereintöl a Volksbundig , Budapest 2002 ) als unbrauchbar zur Seite . Welcher Hochmut !
Der Autor behauptet , ich ( Till ) sei ein Zeitgenosse Weidleins („ Weidlein társa ”) gewesen und habe mit Weidlein bis zu dessen Tode die These verbreitet , der Volksbund sei nur ein ( harmloser ) Kulturverein gewesen . Hierzu wäre zu sagen : Ich habe nie behauptet , der Voksbund sei nur ein Kulturverein gewesen . Selbst wenn er als solcher von der ungarischen Regierung genehmigt wurde , war der Volksbund der Deutschen in Ungarn in Wirklichkeit eine höchst politische Vereinigung . Als Johann Weidlein , dessen Arbeiten ich hoch achte , wenn ich auch nicht in allem mit ihm übereinstimme ( z . B . die Einschätzung der Rolle Ungarns beim Kriegsausbruch ), als Johann Weidlein kurz vor Kriegsende Ungarn als Direktor des Jakob Bleyer Gymnasiums in Budapest verlassen hat , erblickte ich gerade das Licht der ( dunkel werdenden ) donauschwäbischen Welt . Wie konnte ich sein „ társ ” ( Gefährter ) gewesen sein ? Ich bin Johann Weidlein in meinem Leben nie begegnet , seine Arbeiten lernte ich erst kennen , als er schon betagt war und ich selbst bereits fünfzig Jahre alt . Wir Ungamdeutschen verdanken dem aufrechten und kompromisslosen Einzelkämpfer Weidlein viel , insbesondere die heimatvertriebenen Ungamdeutschen , weil er mit seinen Veröffentlichungen mithalf , die aus ihrer Heimat gejagten , gedemütigten und gebrochenen Ungarndeutschen in Deutschland wieder aufzurichten und ihnen Selbstbewusstsein zu geben . Das war auch einer der Gründe , weshalb wir die Herausgabe eines seiner wichtigsten Werke ( nach seinem Tode ), in ungarischer Sprache - im Namen der SUEVIA PANNONICA - in Ungarn veröffentlichen und verbreiten ließen . In diesem Buch ( A magyarországi németség küzdelme fennmaradásáért , Pécs 1996 ), das Johann Weidlein bereits 1950 verfasst hat , wurde schon vor 60 Jahren jenes Dokument des ungarischen Außenministers János Gyöngyösi zitiert , in dem er im Namen der Regierung , im Mai 1945 , vor der Potsdamer Konferenz (!), um die Vertreibungsmöglichkeit der Ungamdeutschen bei den Siegern vorstellig wurde . Ein Dokument , das die fünfzig Jahre hindurch ( und wie wir bei György Ritter sehen , bis in die Gegenwart ) gehegte Unschuldslegende von der ungarischen Politik zusammenbrechen ließ . Vielleicht ist hierin der Grund zu suchen , dass der Autor Johann Weidleins Arbeiten hochmütig Ahnungslosigkeit ( tájékozatlanság !) bescheinigt . György Ritter spricht in diesem Zusammenhang despektierlich von „ Artikeln , die Weidlein zusammengetragen hat ”. Wie gut , dass er das nicht Herrn György Ritter überlassen hat .

Mittellos verließen die Schwaben Ungarn

Ágoston Keisz , origo . hu , 16 . 07 . 2013 ( Übersetzung : Richard Guth )
Am 22 . Dezember 1945 - gut anderthalb Jahre nach der Deportation der ungarländischen Juden - verabschiedete der ungarische Ministerrat einen Erlass , dass das 300-400 000 Seelen starke Ungarndeutschtum Ungarn verlassen muss und dass sein Vermögen an den ungarischen Staat übertragen werden soll . Der erste Transport verließ am 19 . Januar 1946 Wudersch .
Die Geschichte Ungarns und des Deutschtums ist seit fast tausend
Jahren ineinander verwoben . Während unserer gemeinsamen Geschichte wechselten sich Zeiten friedlichen Zusammenlebens und kriegerischer Auseinandersetzungen ab : Die Kriege kamen charakteristischerweise von außen , während die im Land heimisch gewordenen Deutschen grundsätzlich konfliktfrei ihren Alltag mit den anderen Nationen meisterten .
Die ersten Deutschen sind bereits im Mittelalter nach Ungarn gekommen : In Siebenbürgen und im Norden der heutigen Slowakei haben sich Sachsen angesiedelt , die in der Regel Stadtbewohner waren , mit ihnen verbindet man die Geburt der ungarischen Städte und des Handels . Die zweite Ansiedlungswelle erfolgte im 18 . Jahrhundert : Den Bevölkerungsrückgang infolge der Türkenkriege wollte der Wiener Hof mit Hilfe organisierter Ansiedlung kompensieren . Die in dieser Zeit nach Ungarn gezogenen deutschen Gruppen nennen wir Schwaben : Sie ließen sich hauptsächlich in den durch die Türkenkriege am meisten betroffenen Gebieten nieder , also in der Umgebung von Pesth - Ofen , in den Komitaten Weißenburg , Wesprim , Schomodei und Tolnau , im Donau - Theiß - Zwischenstromland und an anderen Orten .
Um die Jahrhundertwende ( 19 / 20 . Jahrhundert ) spielte das Ungamdeutschtum eine bedeutende Rolle im Leben des Landes . Der Anteil der Deutschen auf dem Gebiet des heutigen Ungarns betrug 1910 etwa 7 Prozent , ca . 10 % der Bevölkerung im historischen Ungarn gehörte der sächsischen und schwäbischen Minderheit an . Ihre gesellschaftliche Situation ist bezeichnend : Zum einen waren die Ungarndeutschen Stadtbewohner , zum anderen führten die hauptsächlich in Transdanubien und im Donau - Theiß - Zwischenstromland lebenden Schwaben blühende bäuerliche Wirtschaftsbetriebe .
Nach Trianon
Nach dem Trianon - Frieden wurde die schwäbische Volksgruppe von einer Seelenstärke von einer halben Million und hauptsächlich bäuerlicher Prägung die größte nationale Minderheit , sie bildeten sechs bis sieben Prozent der Bevölkerung . Die Verschärfung der Konflikte rund um die ungarländischen Schwaben lässt sich auf Mitte / Ende der 1930er Jahre datieren . Das war zum einen der Machergreifung von Hitler zu verdanken : Die Hitler ’ sche nationalsozialistische Ideologie , die die Einheit aller Deutscher verkündete , fand auch unter den ungarländischen Schwaben Anhänger .
Ihre Organisation wurde der 1938 gegründete Völksbund , der im nationalsozialistischen Geiste seine Propagandatätigkeit ausübte . Diesem Ziel diente der Umstand , dass 1940 zwischen der ungarischen und deutschen Regierung ein solches Abkommen geschlossen wurde , was ausschließlich dem Völksbund erlaubte , im Kreise der Ungamdeutschen organisatorisch tätig zu werden . Der Völksbund geriet erst 1944 unter vollständigen nazistischen Einfluss , zu dieser Zeit jedoch wurden bereits auch in die SS Ungarndeutsche zwangsrekrutiert , worin dieser auch von den ungarischen Behörden unterstützt wurde .
In der Entwicklung der Lage der Ungarndeutschen stellte die Veränderung der innenpolitischen Verhältnisse den anderen entscheidenden Faktor dar . Neben der sich verstärkenden antisemitischen Grundstimmung Ende der 1930er Jahre nahm auch die Deutschfeindlichkeit einen breiten Raum ein . Wie Krisztián Ungváry in seinem vergangenes Jahr erschienenen Buch „ A Horthy-rendszer mérlege ” ( Die Bilanz des Horthy-Systems ) darlegt , sahen in den Schwaben viele eine derartige Gefahr für die Madjaren wie im Falle der Juden . Das resultiert zum Teil daraus , dass die ungarländischen Schwaben - ähnlich wie die Juden - in der bürgerlichen Umgestaltung eine spezielle , herausragende Rolle spielten , ihre finanzielle Situation war wesentlich günstiger als der ungarische Durchschnitt . Die Ansichten , die sich in dieser Zeit verbreiteten , machten für die gesellschaftlichen Probleme Ungarns die Schwaben und Juden verantwortlich , die in überdurchschnittlichen Verhältnissen lebten . Es ist
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