Sonntagsblatt 4/2011 | Page 16

Historisches Tirol : Nord- und Osttirol ( Österreich ); Südtirol und Welschtirol ( Italien )
Im sog . „ Pariser Vertrag ” wurde im Jahre 1946 Italien verpflichtet , den Deutschen in Südtirol eine Autonomie einzuräumen . Dieses Vertragswerk ( in der Länge von lediglich einer Schreibmaschinenseite !) war vollkommen unzureichend und unpräzise . Es bot Italien die Möglichkeit , seine Verpflichtungen von Anfang an zu umgehen . Nicht einmal das Territorium , auf welchem die Autonomie Gültigkeit haben sollte , war festgelegt , so dass Italien die Autonomiebestimmungen nicht auf Deutsch- Südtirol ( Provinz Bozen ) allein anwandte , sondern Italien vereinte Südtirol mit der italienischen Nachbarprovinz Trient zu einer Region , für die nun die Autonomieregelungen zu gelten hätten . In dieser Region hatten die Deutschen keine Mehrheit ( wie in Südtirol ), sondern die Italiener verfügten in der Region über eine Zweidrittel-Mehrheit . So konnten sie ungehindert die Politik der Assimilierung weiter betreiben . In Südtirol änderte sich im demokratischen Italien nur wenig gegenüber der faschistischen Periode . Zwar wurde die deutsche Schule wieder ermöglicht , konnten sich deutsche Zeitungen usw . wieder etablieren und ähnliches mehr , aber die zugesagte und verpflichtende Heimkehr der außer Landes verfrachteten Landsleute wurde so behindert , dass nur rund 20.000 der 70.000 Umgesiedelten wieder heimkehren konnten .
Im politischen Leben und im Beamtenapparat hatten dieselben Personen das Sagen wie in der faschistischen Zeit , nunmehr hatten sie sich lediglich zu Angehörigen der Christdemokraten oder anderer italienischer Parteien gemausert . Die staatlich geförderten Volkswohnbauten wurden weiterhin fast ausschließlich Italienern zugesprochen . Die soziale Zurücksetzung der deutschen Tiroler blieb bestehen , der Beamtenstab bestand nach wie vor zum allergrößten Teil aus Italienern , in der Industriezone in Bozen wurde die Einstellungspraxis nur marginal geändert . Tausende junge Südtiroler waren gezwungen , deshalb die Heimat zu verlassen , um Arbeit im Ausland zu finden , im Jahr 1957 waren es allein 7.000 .
Das „ demokratische ” Italien führte die faschistische Zuwanderungspolitik sogar noch mit steigender Tendenz weiter . Im Jahre 1910 hatten 2,9 Prozent Italiener in Südtirol gelebt , bis zum Jahr 1953 stieg ihr Anteil auf 33,5 Prozent . Bei dieser Hinhaltepolitik Italiens war abzusehen , dass bald eine italienische Mehrheit im Lande leben würde . Der geistige Führer der deutschen Volksgruppe , der Priester und Publizist Kanonikus Michael Gamper schrieb am 28 . Oktober 1953 in dem Tagblatt der Südtiroler „ Dolomiten ”: „ Die gewollte Unterwanderung unseres
Volkes geht weiter . Viele Zehntausende sind nach 1945 und nach Abschluss des Pariser Vertrages aus den südlichen Provinzen in ünser Land eingewandert , während zur gleichen Zeit die Rückkehr von einigen Zehntausenden unserer Landsleute unterbunden wurde ... Es ist ein Todesmarsch , auf dem wir Südtiroler uns befinden , wenn nicht noch in letzter Stunde Rettung kommt .” Man konnte ausrechnen , dass bei Fortsetzung der Zuwanderung von Italienern wie bisher Anfang der 70-er Jahre Italien das Ziel einer italienischen Mehrheit im Lande erreicht haben würde . Dann wäre die Hoffnung auf Recht und Freiheit endgültig vertan .
1961 brachten italienische Parlamentarier im Senat ein Gesetz zur „ Ausbürgerung italienischer Staatsbürger , die sich der Republik gegenüber untreu verhalten ”, ein . Damit sollte der willkürliche Entzug der Staatsbürgerschaft von Südtirolem auf rein administrativem Weg , ohne Klärung einer Schuldfrage durch ein ordentliches Gericht , ermöglicht werden . Dieses Gesetz wurde im Senat beschlossen , es fehlte nur noch die Bestätigung in der zweiten Kammer des Parlaments ( Abgeordnetenkammer ). In der italienischen Tageszeitung „ II Tempo ” hieß es dazu , dass bereits die Ausweisung von lediglich 10.000 „ nazistischen Agitatoren ” die Ruhe in Südtirol hersteilen würde . Eine Massenvertreibung von 200.000 Südtirolem wäre dann gar nicht notwendig . Der politisch-kulturellen Führungsschicht der deutschen Südtiroler drohte die Verweisung aus der Heimat . Diese Zukunftsaussicht gab den entscheidenden Ausschlag für den inzwischen gegründeten „ Befreiungsausschuss Südtirol ” ( BAS ), sich gegen den drohenden Verlust der eigenen Heimat und der nationalen Identität zu wehren .
Monatelang bemühten sich die Männer und Frauen des BAS , mit friedlichen Aufklärungsschriften , Flugblättern , Appellen an die italienischen und internationalen politisch Verantwortlichen eine Besserung der Situation zu erreichen . Alles ohne Echo oder gar Erfolg . Im BAS sah man nur noch die Möglichkeit , durch Sprengstoffanschläge die Weltöffentlichkeit auf die skandalösen Zustände in Südtirol aufmerksam zu machen . Dabei war die oberste Verpflichtung , Menschenleben zu schonen . Die Demonstrationssprengungen richteten sich nur auf Sachwerte .
War die Anwendung von Gewalt nun Terror , wie es die Linken sehen ? Schließlich wurde die „ Pflicht zum Widerstand ” gegen den Nationalsozialismus als Postulat in der Nachkriegspolitik in deutschen Landen aufgestellt , warum sollte gegen den italienischen Faschismus nicht auch zumindest das „ Recht auf Widerstand ” bestehen ? Die Politik des italienischen Staates gegenüber der deutschen Volksgruppe war darauf angelegt , die einheimische Bevölkerung in ihrer Identität auszulöschen , sie umzuvolken , was zweifellos als Völkermord zu definieren ist . Italiens Politik war „ Staatsterrorismus ”, der Freiheitskampf der 60-er Jahre der letzte Versuch , diesen Staatsterrorismus zu bekämpfen . Als erstes Signal wurde der „ Aluminium-Duce ” bei Waidbruck , ein mächtiges Reiterstandbild Mussolinis - in den 40-er Jahren mit der Aufschrift „ Al Genio del Fascimo ” - in die Luft gejagt . Dem BAS ging es darum , keine unschuldigen Menschenleben zu gefährden , weshalb das Ziel der Anschläge ausschließlich auf Sachwerte gerichtet war . Mit der „ Feuemacht ” im Juni 1961 fand der Freiheitskampf seinen spektakulären Auftakt .
Fast vierzig Hochspannungsmasten , Symbole der italienischen Ausbeutung des Landes , wurden gesprengt . Das Ziel , die Weltöffentlichkeit auf Südtirol aufmerksam zu machen , war erreicht .
Aus Platzgründen können die Einzelheiten des Freiheitskampfes , die italienischen Maßnahmen dagegen , die Massenverhaftungen , die durch unmenschliche Folterungen an den politischen Häftlingen erpressten Geständnisse durch italienische Polizei , die Großprozesse gegen die Freiheitskämpfer mit mehreren hundert
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