LEITARTIKEL
NEUE AMTSZEIT , ALTE
HERAUSFORDERUNGEN
Von Richard Guth
Das Jahr 2024 brachte ein Novum in der Geschichte des ungarischen Wahlsystems der Nachwendezeit : Die Europaabgeordneten , die kommunalen Vertreter sowie die Vertreter der Nationalitäten wurden zur gleichen Zeit gewählt . Die deutsche Einheitsliste erfüllte wieder einmal die Erwartungen , auch wenn die Zahl der ungültigen Stimmen mit etwa 20 % ungewöhnlich hoch war – durchaus ein Alarmzeichen , was auch von der LdU-Vorsitzenden als solches öffentlich identifiziert wurde . Dass das System reformbedürftig ist , zeigt das Beispiel von Angehörigen der griechischen Minderheit , die in Straßburg erfolgreich gegen das bestehende System geklagt haben . Ihnen ging es in erster Linie um den Verlust des politischen Zweitstimmwahlrechts („ Parteistimme “), sollten sie sich als Minderheitenwähler im Vorfeld registrieren .
Aber auch die fehlende Wahlmöglichkeit unter den Kandidaten monierten die Beschwerdeführer und auch dies mit Erfolg : So muss sich das ungarische Parlament demnächst der Sache annehmen . Ausgang offen , zumal es ein perfektes System nie geben wird , wie wir vor anderthalb Jahren in einer Sonntagsblatt-Analyse festgestellt haben ( Ein Urteil , das viele Fragen aufwirft , SB 01 / 2023 , S . 12f .).
Wie auch immer , die Liste der zu lösenden Aufgaben für die Nationalitätenselbstverwaltungen wird nicht kürzer . Die Amtszeit beginnt neu , die Herausforderungen sind aber die gleichen geblieben wie in der letzten Periode .
Gemeinschaft auf Schrumpfkurs Die Zahlen der letzten Volkszählung 2022 waren mehr als unerfreulich . Sie zeugen von einem deutlichen Rückgang der Zahl der Bekenntnisdeutschen . Auch wenn die Gründe komplex sind , zeigen sie dennoch eins : Die Demografie steht nicht auf unserer Seite . Die Gemeinschaft zeigt deutliche Überalterungstendenzen - an sich nichts Ungewöhnliches , denkt man an ähnlich alarmierende Befunde im Kreise der Rumänienmadjaren beispielsweise . Wegzug aus den angestammten Gebieten , viele Mischehen , viele Sterbefälle bei wenig Geburten – dies führt zu einem deutlichen Defizit : Die Alten ( vielfach noch Muttersprachler ) sterben , es kommen zu wenig Junge / Jüngere nach , die sich als ( Ungarn- ) Deutsche definieren . Ein Hauptgrund dafür ist neben der sprachlichen Assimilation die Auflösung der Dorfgemeinschaften , die den Kern der bäuerlich geprägten Gemeinschaft bildeten . Eine Tendenz , die nicht erst in der Wendezeit eingesetzt hat , aber die nach 1989 ihren finalen Abschluss fand / findet : Flucht , Verschleppung , Vertreibung , Ankunft der madjarischen Neusiedler , Kollektivierung , Förderung der Schwerindustrie , bewusste Vernachlässigung der Infrastruktur in den ländlich geprägten Regionen , infolge dessen Abwanderung ( auch der madjarischen telepesek ) in die Städte und seit der Wende / dem EU-Beitritt des Landes verstärkt ins europäische Ausland – all dies hat einen hohen Zoll verlangt . Durch die Zuwanderung von Ausländern - vornehmlich Rentner aus Westeuropa -, Suburbanisierungstendenzen und Baukindergeld für ländliche Regionen ( ung . falusi CSOK ) wachsen manche Dörfer wieder . Trotzdem verläuft die Entwicklung zuungunsten der deutschen Gemeinschaft , denn : Aus deutschen Rentnern werden keine neuen Ungarndeutschen ( auch wenn es vereinzelt positive Gegenbeispiele gibt ). Auch werden aus madjarischen Stadtbewohnern , die ihre Bindungen zur Stadt vielfach nicht verloren haben und den neuen Wohnort oft als „ Schlafplatz ” betrachten , keine aktiven Gestalter des öffentlichen Lebens . Schließlich haben solche Menschen andere Sorgen als die Pflege der schwäbischen Kultur , die sich die Miet- und Immobilienpreise in der Stadt nicht mehr leisten können und sich deswegen dank Baukindergeld und den verhältnismäßig günstigen Preisen ein Häuschen z . B . in abgelegenen Dörfern der Branau zulegen . Ausnahmen gibt es natürlich immer , aber lassen Sie mich ein Beispiel nennen : Neulich war ich in einem Dorf nahe Willand . Die Gemeinde hatte vor 25-30 Jahren noch 140 Einwohner ( die Jüngste damals schon über 50 ) - unter ihnen bis auf 5-10 Personen allesamt
2 SoNNTAGSBLATT