OHNE MÜHE KEIN PREIS
Von Robert Becker Um nur kurz einzukaufen , bin ich diese Tage in ein Warenhaus in der Branauer Stadt Mohatsch unterwegs gewesen . Es war am frühen Nachmittag bei einer Temperatur von etwa 37 Grad Celsius . Am Eingang schob vor mir eine Frau so zwischen 50 und 60 Jahren ihren Einkaufswagen , in dem ein vielleicht zwei Jahre altes Kleinkind saß , gerade durch die Türschleuse .
Der Kleine blickte neugierig um sich , und er entspannte sich sichtlich durch die deutlich kühlere Temperatur im klimatisierten Raum . Ich habe ihm gerade verstohlen zugelächelt , als ich von seiner Großmutter die folgenden Worte zu sprechen gehört habe : “ Koumm , jetz woate mr af ten Outa , kut ? Te kemmt kleich . Noch keh mr eikaawe . Tu krichst a etwos Schenes .“
Am liebsten wäre ich stehen geblieben , um diese plötzliche Begegnung als Ereignis zu feiern , aber einerseits bin ich in der Eile gewesen , andererseits ist auch der Outa inzwischen angekommen , und ich habe diese idyllische Szene ganz gewiss nicht zu stören gehabt . Schon zwischen den Regalen im Geschäft habe ich es mir aber dann doch noch anders überlegt , so hätte ich die Leute gerne angesprochen , aber es kreuzten sich unsere Wege leider kein zweites Mal , und ich war , wie gesagt , in der Eile .
Die Begegnung , über die ich dann auch zu Hause mit den Worten : „ Hurra , mir sen net ti letzte Schwowe in de Keechet !“ – berichtet habe , hat gewiss nicht nur jenen Tag von mir positiv geladen , sondern überhaupt mich noch einmal darin gestärkt , die Situation meiner Volksgruppe in einem etwas positiveren Licht betrachten zu können .
Eigentlich können zu unserem Erhalt ja ausgeklügelte Projekte , Subventionen aller Art , schulische Bemühungen oder politische Erklärungen am wenigsten helfen , wenn sich um uns nicht solche Beispiele auch in der Öffentlichkeit bemerkbar machen .
In mir kommen Erinnerungen hoch , als noch meine Kinder im Einkaufswagen saßen , und wir mit meiner Frau mit ihnen – wie immer – ebenfalls deutsch gesprochen haben . Bei einem solchen Anlass in einem Geschäft trat eine Frau an uns heran , und sagte etwas vorwurfsvoll zu uns , als ob wir uns dafür zu schämen hätten : „ Sie sprechen doch auch ungarisch . Wieso unterhalten Sie sich dann mit Ihren Kindern auf Deutsch ?“ – Unsere Antwort ist kurz und bündig ausgefallen , und hieß : „ Weil wir die Sprache unserer Ahnen pflegen .“
Schon als unsere Kinder dann die Grundschule besucht haben , trat ein Lehrer mit einer ähnlichen Frage an mich heran . Er fragte mich , ob ich dagegen nicht etwas unternehmen könnte , dass unsere Kinder – sogar auch mit ihrem Cousin noch – in den Pausen untereinander deutsch sprechen , wodurch sie sich absondern . Ich erklärte ihm , dass das Absondern nicht das Ziel sei , wie sie ganz gewiss auch nicht hinter dem Rücken der anderen über sie lästern , dagegen würde ich nämlich ganz klar vorgehen , sondern sei es für sie jene Normalität , an der ich sicher nichts ändern möchte .
In unserem Gespräch suchten wir dann nach Beispielen , wo so etwas unter Kindern möglich sei , sich in einer für die anderen nicht gesprochenen Sprache zu unterhalten , so brachte ich ihm die Ungarn in Siebenbürgen hervor , die in den Pausen gewiss nicht rumänisch miteinander sprechen . „ Dies sei etwas Anderes “, sagte der Lehrer , mit etwas verletzten Pathos in seiner Stimme . „ Nein , das ist das Gleiche “, sagte ich zu ihm , wodurch unserer Diskussion meinerseits ein Ende gesetzt wurde .
Leider ist der Umstand noch immer nicht klar in den Köpfen beheimatet , dass sich die Nationalkatastrophe von Trianon nicht aus dem Grund ereignet hat , weil es im Land der Magyaren Völker gab , die ihre eigene Sprache sprechen wollten , sondern vielmehr gerade auch deshalb , weil man sie zur Aufgabe ihrer eigenen Identität und ihrer Sprache bewegen wollte .
Es ist kaum zu glauben , dass in unserer geographischen Heimat sich in kaum hundert bis hundertfünfzig Jahren so viel geändert hat ! In den Dörfern meiner Region gab es nicht nur eine Zweisprachigkeit , sondern ziemte es sich neben seiner Muttersprache sowie der Amtssprache Ungarisch , wenn es auch weitere Nationalitäten im Ort gab , auch ihre Sprache zu beherrschen . So sprach meine Urgroßmutter zum Beispiel auch Kroatisch . Ich möchte in der genauen Kenntnis ihrer Person behaupten , dass sie ihre Heimat ehrlich geliebt und nie verraten hat – selbst wo sie nach dem Zweiten Weltkrieg als Bürgerin zweiter Klasse galt .
In meiner Kindheit , bis in die achtziger Jahre , war meine deutsche Mundart auch auf den Gassen meines Heimatdorfes Surgetin / Szederkény noch lebendig , obwohl durch die Vertreibung und der auf sie folgende ungarische Besiedlung das Ungarische begann , sich als vorherrschend hervorzutun . So wurde ich einmal durch eine Ungarin auf offener Straße angesprochen : „ Sváb kisfiú ! Magyarul beszélj !“ („ Schwabenjunge ! Sprich ungarisch !“) Da einschneidende Erlebnisse an einem ändern können , konnte Ähnliches viele von uns dazu zwingen , in der Öffentlichkeit jedes Wort in der eigenen Muttersprache zu meiden , dann den Sprachgebrauch auch unter den eigenen vier Wänden auf Ungarisch umzustellen .
Diese fatale Erscheinung wurde auch zur Zeit der Wende nicht gebührend beachtet , weil damals , als noch ein nicht unbedeutender Rest unserer Volksgruppe – schon in die Tage gekommen , aber noch unter uns – in seiner sprachlichen Einsamkeit seinem Ableben hinterlassen wurde , ohne es zu merken , dass dadurch sich quasi unsere ganze Volksgruppe von ihrer sie erhaltenden Sprache trennt .
„ Die Schule wird ’ s schon machen .“ – hat man damals wohl gedacht , auch mit dem Hintergedanken , sich vom Tausenderlei unserer Mundarten zu trennen , und statt diesem Kauderwelsch , dem Altkram unseres letzten direkten Mitbringsels aus unserer alten Heimat vor 300 Jahren , zugunsten eines zeitgemäßen Hochdeutsch doch endlich zu trennen , um nicht noch von deutschen Gästen und Delegationen , die mit D-Mark unterwegs sind , noch belächelt zu werden .
Nun ja , die Hoffnung hat sich nicht – oder nur kaum erfüllt . Jedenfalls wurde es uns nicht beispielhaft beigebracht , wie man mit seiner Identität umgeht . Auch das nicht , dass man durch seinen Dialekt einen Wert besitzt , der weitergegeben für guten Halt im Leben so-
10 SoNNTAGSBLATT