Ostpreußen , zu Sowjetzeiten ein nach Westen abgeriegelter Vorposten der Roten Armee , nun jedoch das Tor des Landes zum Westen , wurde zu einer begehrten Zielregion . Das galt auch für viele Russlanddeutsche , Menschen also , deren Vorfahren überwiegend im 18 . Jahrhundert unter der Zarin Katharina der Großen ins Land gekommen waren und die unter dem Stalinismus besonders gelitten hatten . Viele von ihnen lebten in gemischt-ethnischen Familien , wollten ihre deutschen Wurzeln suchen oder behalten , ohne jedoch ihre russische Identität aufzugeben ; manche strebten daher nicht – oder zumindest vorerst nicht – nach einer Ausreise nach Deutschland , sondern zogen aus zentralasiatischen Regionen in die Oblast Kaliningrad , um unter wirtschaftlich schwierigsten Bedingungen einen Neustart zu versuchen .
In Deutschland war die Resonanz auf diese Entwicklungen zwiespältig . Die Bundesregierung hielt sich offiziell zurück und eröffnete erst 2004 ein Generalkonsulat in der Gebietshauptstadt . In der deutschen Bevölkerung hingegen waren das alte Ostpreußen und auch die russlanddeutschen Minderheiten in den GUS-Ländern nicht vergessen . Die Kreisund Stadtgemeinschaften der Landsmannschaft Ostpreußen starteten Hilfsprojekte ; die Kirchen gründeten neue Gemeinden . Vor allem im norddeutschen Raum schossen Vereine und Hilfsinitiativen wie Pilze aus dem Boden , die sich der Region , seiner Geschichte , Kultur und Wirtschaftsentwicklung , der neuen russlanddeutschen Minderheit , aber auch der Völkerverständigung zwischen Deutschland und Russland verpflichtet fühlten .
Zur Veranschaulichung seien einige Vereine genannt , die über Jahre hinweg mit großem Idealismus aktiv waren , die in einer späteren Konsolidierungsphase in der OSTSEEBRÜCKE aufgegangen sind und deren Aktivitäten und Zielen sich die OST- SEEBRÜCKE nach wie vor verpflichtet fühlt : ( i ) Gedenkstätten Königsberg förderte den Erhalt alter deutscher Baudenkmäler und errichtete in Arnau ( etwa 30 km pregelaufwärts von Königsberg gelegen ) eine Gedenkstätte für Theodor von Schön , einen der preußischen Reformer in der napoleonischen Zeit ;
Eingezeichnet sind die Orte der 14 Deutschkurse , die von der Ostseebrücke unterstützt werden .
( ii ) Aufbau Bernsteinland Ostpreußen unterstützte die kleinbäuerliche Landwirtschaft vornehmlich russlanddeutscher Familien ; ( iii ) das Kuratorium Arnau machte sich um die Erhaltung der Ordenskirche und das Pfarrwitwenhaus in Arnau besonders verdient ; ( iv ) die Deutsch-Russische Freundschaftsgesellschaft Plön – Tilsit / Ragnit organisierte Austauschbesuche zwischen dem Landkreis Plön und dem Rayon Neman ( Region Tilsit / Ragnit ) an der Memel ; ( v ) der Förderverein Rat und Tat veranstaltete landwirtschaftliche Fortbildungsseminare für Kleinbauern .
Ziel der OSTSEEBRÜCKE selbst war es in den Anfangsjahren , russlanddeutsche Neusiedler in der Oblast zu unterstützen . Neben vielen Hilfslieferungen in das Gebiet wurden umfangreiche Hilfen für den Aufbau neuer Existenzen gegeben .
Im Osten des Landes entstanden eine Bäckerei , eine Gärtnerei , eine Kfz-Werkstatt , das Café Elch und mit maßgeblicher Hilfe des ADKV ( Allgemeiner deutscher Kulturverband ) wurde mit dem Aufbau von Häusern für russlanddeutsche Familien begonnen . In vielen Orten im nördlichen Ostpreußen wurden außerschulische Deutschkurse für Kinder , Jugendliche und Erwachsene durchgeführt . Dieser Deutschunterricht wurde in den Jahren
SoNNTAGSBLATT
2009 bis 2017 , als Lothar Lamb , ein ehemaliger Schulrat im Kreis Plön Vorsitzender der OSTSEE- BRÜCKE war , zum Schwerpunkt der Vereinsarbeit und ist es bis heute geblieben . Gegenwärtig finden regelmäßig an 11 verschiedenen Orten in Russisch-Ostpreußen insgesamt 14 Deutschkurse statt , die von der OSTSEEBRÜCKE gefördert werden . Sie werden von etwa 180 Jugendlichen und Erwachsenen besucht , von denen ein großer Anteil russlanddeutsche Wurzeln hat . Manche Kurse gehen über den normalen Deutschunterricht weit hinaus und beteiligen sich an Theaterwettbewerben in deutscher Sprache sowie am jährlichen russlandweiten Deutschwettbewerb „ Tolles Diktat “. Auf eine gute Qualität der Deutschkurse wurde und wird großer Wert gelegt , und zwar auch in der Coronapandemie , in der die Kurse digital stattfinden mussten . Die pädagogische Leitung und Fortbildung der Lehrkräfte liegt bei einem ehemaligen Abteilungsleiter des Deutsch-Russischen-Hauses in Königsberg , der hervorragend Deutsch spricht .
Dem Deutschunterricht dient auch eine jährliche , von der OSTSEEBRÜCKE geförderte Ferienfreizeit für etwa 25 Kinder und Jugendliche , die vornehmlich aus dem Raum Tilsit / Ragnit an der Memel kommen . Sie findet meistens auf Samland , der Ostseehalbinsel nordwestlich von Königsberg , statt und beinhaltet Spiele , Wettbewerbe und reguläre Unterrichtsstunden , mit denen deutsche Sprachkenntnisse vermittelt und vertieft werden . Die Ausstattung der OSTSEEBRÜCKE mit Spenden und aktivem Personal reicht nicht aus , um alle Aktivitäten der aufgenommenen Partnervereine in gleicher Intensität weiterführen zu können . Als laufendes Projekt sei aber die Förderung kleiner landwirtschaftlicher Betriebe durch Lieferung von Maschinen , Ersatzteilen und Saatgut sowie durch fachkundige Beratung genannt . Auch Begegnungen wie eine jährliche Konzertreise des Tilsiter Vokalensembles Cantabile durch Nordund Westdeutschland wurden durch die OSTSEEBRÜCKE regelmäßig unterstützt – bevor die Coronapandemie derartige Aktivitäten vorerst unmöglich gemacht hat .
Mehr noch als durch die Coronakrise schien das Wirken der OSTSEEBRÜCKE im Februar dieses Jahres gefährdet zu sein , als die russische Föderation begann , den von ihr selbst 1991 herbeigeführten Zerfall der Sowjetunion zumindest teilweise gewaltsam rückgängig zu machen . Es drohte ein Abbruch aller Kontakte zu Russland und damit auch der über Jahrzehnte gewachsenen Beziehungen und Freundschaften des Vereins und seines Umfeldes in das Gebiet . Das hat sich zum Glück nicht bewahrheitet . Die Aktivitäten vor Ort konnten auch in diesem Jahr stattfinden , sogar Reisen von Vorstandsund Vereinsmitgliedern in die Oblast Kaliningrad waren möglich und – besonders wichtig – Mitgliedschaft und Unterstützer des Vereins haben differenziert und besonnen reagiert . Ein Spendeneinbruch ist ausgeblieben , so dass die Tätigkeit der OSTSEE- BRÜCKE im Interesse der Völkerverständigung und für die russlanddeutsche Minderheit vorerst gesichert ist .
Offenbar hält unsere Brücke über die Ostsee , ganz im Sinne dessen , was die Leiterin eines unserer Deutschkurse im August 2021 an die OSTSEEBRÜ- CKE schrieb : „ Deutsch ist für mich und für meine Schüler mehr als eine Fremdsprache , Deutsch ist eine wunderschöne Kultur , die wir mit einer großen Liebe erlernen . Ich freue mich auf unsere zukünftigen Pläne und Mitarbeit .“ Dem ist nichts hinzuzufügen !
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