Sonntagsblatt 3/2021 | Page 2

Schicksalsfragen der Gemeinschaft am Vorabend des Wahljahres 2022

LEITARTIKEL

QUO VADIS MINDERHEITENPOLITIK ?

Schicksalsfragen der Gemeinschaft am Vorabend des Wahljahres 2022
Von Armin Stein Vorwort
Ich bin der Ansicht , dass ich dem werten Leser die Kontroversen , die die ungarndeutsche Gemeinschaft diesen Sommer in Aufruhr versetzt haben , nicht mehr vorstellen muss . Sollten Sie jedoch das Gefühl verspüren , noch nicht genug über die Feinheiten der „ Causa Ritter ” gelesen zu haben , kann ich Ihnen die ebenfalls im Sonntagsblatt erschienenen Artikel ” Der Mitläufer ” ( eine Übersetzung ) und „ Was bedeutet eigentlich Autonomie ?” empfehlen . Meiner Meinung nach ist es richtig , dass wir uns als Gemeinschaft mit der Darstellung unserer Volksgruppe nach außen beschäftigen ; jedoch ist es unerlässlich , sich auch mit dem „ großen Ganzen ” auseinanderzusetzen , wobei das Ziel nicht das Attackieren einzelner Personen , sondern das Aufdecken struktureller Schwächen sein muss .
Parteitreue oder Minderheit
Die ungarische politische Landschaft ist durch eine für europäische Verhältnisse extreme Polarisierung gekennzeichnet . Die beiden Lager profilieren sich durch gegensätzliche Meinungen zu nahezu jedem gesellschaftlich relevanten Thema . Die deutsche Minderheit hat in dieser Situation keine einfache Wahl , denn alle im Alltag relevanten politischen Themen werden von einer der beiden Blöcke repräsentiert . Dies wirft die Frage auf , welche Rolle die LdU in diesem Duopol spielen kann ?
Das politische Ziel der LdU ist es möglichst viele ungarndeutsche Mitbürger dafür zu gewinnen , ihre Stimme für die Minderheiten - statt der Parteienliste abzugeben . Die Crux dabei ist die Wähler davon zu überzeugen , dass die Minderheiten-Themen , die die Landesselbstverwaltung repräsentiert , für die ungarndeutschen Wählenden am wichtigsten sind . Dies zwingt jede Minderheitenrepräsentation in eine Bredouille , denn je mehr sie sich in Nicht-Minderheiten-Themen profiliert , umso mehr verliert sie aufgrund des politischen Duopols an Unterstützung .
Aktivität oder Passivität
Aktuell ist die Verfahrensordnung der parlamentarischen Vertretung der Ungarndeutschen wie folgt aufgebaut : In für Minderheiten irrelevanten Themen stimmt der LdU-Abgeordnete immer mit der Regierungspartei ; sollte das Thema für die Minderheit relevant sein , meldet er sich zu Wort , wird aktiv und versucht die Situation im Sinne der Minderheit zu beeinflussen .
Theoretisch scheint dies eine funktionsfähige Herangehensweise an die Problematik der Repräsentation zu sein und es mag sicher Situationen geben , in denen dieser Ansatz Früchte tragen kann , - in der äußerst gespaltenen ungarischen Gesellschaft ist dieses Verfahren jedoch Gift für die Einheit der Minderheit .
Da jedoch jede Entscheidung Mitbürger - unter ihnen auch Ungarndeutsche - betrifft , gibt es aus der Perspektive des Minderheitenwählers keine „ aus Minderheitenperspektive irrelevanten ” Themen . Dies wurde diesen Sommer durch die „ Causa Ritter “ endgültig bewiesen . Man konnte als Reaktion auf das Medienecho der Abstimmung sofort den Zerfall der Minderheitenwähler entlang der Parteiblöcke erleben . Nachdem die Probleme der aktuellen Herangehensweise eindeutig wurden , stellt sich die Frage , welchen alternativen Strategien die Repräsentanten unserer Minderheit folgen könn ( t ) en .
Direkte Demokratie
Dem Schweizer Modell ähnlich ließe sich ein „ basisdemokratischer Weg “ einschlagen . Aufgrund der kleinen Bevölkerungszahl der Minderheit - besonders , wenn wir uns Gedanken über die Zahl der politisch aktiven Ungarndeutschen machen - wäre es eine Alternative Mitgliederentscheide über die einzelnen Themen zu halten . Gibt es genug registrierte WählerInnen , die die LdU zu einer Meinungsbildung bewegen wollen , müsste ähnlich zum Verfahren der Volksabstimmungen eine bestimmte Anzahl an Unterschriften gesammelt werden . Nach dem Erreichen der benötigten Zahl an Unterschriften könnten die Mitglieder in einer Wahl ( hier gilt
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