Sonntagsblatt 3/2020 | Page 7

Unseraans
Von Georg Sawa
Was man ist und was man zu seiner Identität macht , bestimmt man selbst und man spricht sich dann innerhalb einer Gesellschaft oder einer Nation irgendeiner mathematischen Menge zu . Oder man wird von den Anderen einer Menge zugewiesen , denn das Urteil über einen Menschen wird nicht nur von einem selbst geprägt , sondern es kommt – wie es die Geschichte der Menschheit zeigt – oft auch von außen - gemäß des Nationalcharakters . Johann Wolfgang von Goethe sagte über die Gründe der Herausbildung von jenen Merkmalen , die dazu beitragen , uns von anderen Völkern und Volksgruppen zu unterscheiden : „ So viel ist gewiss , dass außer dem Angeborenen der Rasse sowohl Boden und Klima als Nahrung und Beschäftigung einwirkt , um den Charakter eines Volkes zu vollenden . Auch ist zu bedenken , dass die frühesten Stämme meistenteils von einem Boden Besitz nahmen , wo es ihnen gefiel und wo also die Gegend mit dem angeborenen Charakter der Menschen bereits in Harmonie stand .” Das „ Angeborene der Rasse …” sind heute wohl Worte , die man nicht so gerne zitiert , jedenfalls kann man es nicht leugnen , dass es Unterschiede im Volkscharakter gibt , die sich während unzähliger Generationen entwickelt und verfeinert haben . Als eine Ursache der Unterschiede würde ich auch den Sprachgebrauch betrachten , nicht deshalb , weil wir um Fremdsprachen zu verstehen , Sprachkenntnis oder einen Translator brauchen , sondern weil alleine die grammatische Struktur , die Logik – aber auch der Klang – jener Sprache , die man als seine Muttersprache beherrscht und spricht , ihren Stempel ins Denken und ins Gemüt drücken und dadurch zum Gesamtbild des Nationalcharakters und zum Erscheinungsbild des Betroffenen in einer Gesellschaft beitragen . Nicht weniger , sondern noch viel mehr treten diese Merkmale in den Augenschein , wenn man einer Volksgruppe angehört , die im Rahmen einer dominierenden Mehrheit lebt .
Was Goethe in diesem Zitat noch hervorhebt , sind es Boden , Klima , Nahrung und Beschäftigung , die auf den Charakter eines Menschen einwirken sollen . „ Du bist , was du isst ” können wir mit dem Sprichwort sagen und dadurch ergänzen , dass das Tun und Handeln einen ebenfalls bedeutend prägen . Die in Ungarn ankommenden Siedler des beginnenden 18 . Jahrhunderts haben unter den für sie neuen klimatischen und hygienischen Verhältnissen hart zu kämpfen und zu leiden gehabt . Diese brachten vielen von ihnen den recht frühen und schnellen Tod . Typhus , Cholera , Fieberkrankheiten , ja selbst die Pest , waren in diesem Teil von Europa noch bis zu anderthalb Jahrhunderte später allgegenwärtig . Kein Wunder , wenn der Fürstabt von Fulda , Konstantin von Buttlar , bereits 1718 , als die Auswanderung nach Ungarn in ihren großen Wellen noch nicht einmal begonnen hatte , in einer Verfügung festhielt : „ Untertanen , die aus Hungarn zurückgekehrt sind , haben uns hinterbracht , dass , obwohl die Leibeigenschaft dortselbst eingeführt ist , doch kein Deutscher dort leben kann . … Deshalb sind alle zu warnen , dass jeder es wohl bedenken und nicht unüberlegt handeln möge .”
Trotzdem machten sich dann große Mengen – wohl nicht aus Abenteuerlust , sondern in der Hoffnung , sich im Fremden mehr zurechtzufinden als in ihrer Heimat – auf den Weg , um im „ Königreich Hungarn ” ein neues Zuhause zu erschaffen .
Der Geograph und Volkskundler Johann von Csaplovics , schreibt in seinem 1829 erschienenen Buch Gemälde von Ungarn : „ Der Guckguck schmuggelt seine Eier überall in fremde Nester hinein , das Murmelthier schläft überall den Winter durch . Nur der Mensch allein bietet tausendfache Variationen in allen seinen Beschäftigungen , in seiner Lebens- und Denkweise dar , je nachdem das Klima , die Religion , die Regierungsform , die Nahrung ,
SoNNTAGSBLATT die Nachbarschaft auf ihn wirken . … Wie die Erdlagen in unserem Boden , so folgen in unserm Welttheile Völkerlagen aufeinander : zwar oft durcheinander geworfen , in ihrer Urlage indessen noch kenntlich . Die Forscher ihrer Sitten und Sprachen haben die Zeit zu benutzen , in der sie sich noch unterscheiden , denn alles neigt sich in Europa zur allmähligen Auslöschung der National-Charaktere .”
Diese Neigung zur „ allmähligen Auslöschung “ zeigt sich bis zum heutigen Tag – Reste gibt es aber bis jetzt von den „ Völkerlagen ”, die in Ungarn aufeinandertrafen und ein einmaliges geistiges , kulturelles und religiöses Mikroklima geschaffen haben . Das Zusammenleben zwischen den einzelnen Volksgruppen ist nicht immer reibungslos verlaufen , während Jahrzehnte und Jahrhunderte hat es aber geklappt , sich , wo nötig , einander anzupassen . Man hat es gelernt , ähnlich zu sein – aber auch abzuweichen und dies gegenseitig zu respektieren . Wie ich jetzt überlege , ist das vielleicht wichtigste Wort der Selbstdefinition der von mir noch erlebten Vorfahren „ unseraans ” gewesen . „ Unseraans “ macht es halt so oder anders . „ Unseraans “ ( unsereiner ) ist quasi ein Wort für „ wir “. Leider reichte dieses „ Wir “ nur bis zur Gemarkung der Nachbardörfer . Diese waren nämlich schon „ anen Leit ”, andere Leute , die „ net unseraans “ sind , nicht jemand von uns . Das Schlimme - bis zu unserer heutigen Konsequenz - unseres bereits skanzenreifen Scheindaseins der Deutschen in Ungarn ist , dass unser „ Unseraans “ lokale Grenzen kaum in regionale ( geschweige denn landesweite ) ausweiten konnte . Die Hügel begrenzten die Ackerfurche , die Bäche markierten den Zutritt ins Fremde . „ Unseraans “ lebte auf engem Raum – Fremde erkannte man bereits am Zipfel des Kopftuchs . Unterschiede blieben wohl wichtiger als die sprachliche , kulturelle , ja auch religiöse Gemeinsamkeit .
Was ich merke , ist , dass die Idee vom „ Unseraans ” bis heute nachwirkt , nur schaut man da nicht mehr auf die Kopftücher . Nicht viel besser , aber „ unseraans “ trennt sich heutzutage von anderen Mitgliedern seiner Volksgruppe - entlang ideologischer „ Ackerfurchen ”. Dabei muss eine Volksgruppe die Stärke aufbringen , nicht durch – in historischen Maßstäben gemessen – eigentlich banale , als Momentaufnahme geltende Unterschiede von - sagen wir - Parteisympathie das „ Unseraans ” zu definieren . Mein „ Unseraans ” will heißen : Ich bin einer von euch , Deutsche in Ungarn , die ihr meine Sprache noch versteht - entlang und über alle Hügel und Bäche in aller Welt !
Wenn eine Vision an der Realität scheitert
- oder wie wir uns in dieser unserer kleinen ungarisch ( sprachig ) en Welt eingerichtet haben
Von Richard Guth
Vor einiger Zeit hatte ich mehrfach mit einem ungarndeutschen Funktionsträger korrespondiert . Ich war neugierig , welche Möglichkeiten diese Person sieht – in ihrer Eigenschaft als Entscheidungsträger - , sich für den Fortbestand unserer Volksgruppe - mit der sie sich zu 100 % verbunden fühle - aktiv einzusetzen . Vieles wurde von dieser freundlichen und aufgeschlossenen Person genannt : von der Unterstützung von Initiativen und Programmen bis zur Errichtung von Begegnungsstätten und sonstigen Einrichtungen - im Sinne der Traditionspflege . Unterstützung ja , aber aktiv , von sich aus tätig werden ?! Insgeheim hoffte ich darauf , dass diese Person auch dazu Angaben macht , zumal unser viel
( Fortsetzung auf Seite 8 )
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