Sonntagsblatt 3/2020 | Page 6

Merkwürdigkeiten
So verschwand das Schwabentum aus den Dörfern des Talbodens - oder doch nicht ?
Ein Prozess mit vielen Fragezeichen

Von Richard Guth s

In der jüngsten Ausgabe des Sonntagsblattes , die hoffentlich jede werte Leserin , jeden werten Leser von uns erreicht hat , berichtet unser Vereinsmitglied Patrik Schwarcz-Kiefer über das allmähliche Verschwinden der Schwaben in der Ost-Branau ( Der Beitrag ist online bereits Anfang Mai erschienen : http :// sonntagsblatt . hu / 2020 / 05 / 01 / consummatum-est-so-verschwindet-aus-den-doerfern-das-schwabentum-in-der-branau /). Patrik Schwarcz-Kiefer bezieht sich im Artikel auf Angaben der Gemeindeverwaltungen aus den 1950er und 1980er Jahren und spricht von einem deutlichen Rückgang der Zahl der Deutschen in dieser Region . Besonders deutlich war der Rückgang bis 2011 : Dreiviertel der Deutschen sind in diesen 60 Jahren verschwunden . Schwarcz-Kiefer führt das Verschwinden der Deutschen in der Ostbranau auf Assimilierung und negative Migrationsbewegungen zurück .
Sommerzeit bedeutet für mich immer die Gelegenheit , Sachbücher in die Hand zu nehmen , die sich unter anderem der ungarndeutschen Geschichte ( in ihrer gegenwarts- und zukunftsrelevanten Dimension ) widmen . Per Zufall ( wie so oft ) erreichte mich eine Publikation des Bonnharder Historikers und Museologen Dr . Zoltán Szőts aus dem Jahre 2007 , in der dieser die interethnischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg untersucht ( A völgységi nemzetiségi-etnikai csoportok együttélése a második világháborútól napjainkig . - Bonnhard-Sexard 2007 ). Der Kreis Talboden ( ung . Völgység ) im Komitat Tolnau wies bis Ende des Zweiten Weltkriegs den höchsten Anteil an Deutschen im ganzen Land auf : Die deutsche Minderheit stellte Dreiviertel der Einwohnerschaft . Das Ende des zweiten Weltbrennens veränderte das Bild der Landschaft nachhaltig : Nach Flucht und Vertreibung kamen Bukowina-Sekler , Madjaren aus dem ehemaligen Oberungarn und Madjaren aus Ostungarn in den Talboden . Dass diese „ neue Landnahme ” nicht friedlich verlief ( waren doch die Bukowinasekler und Madjaren aus der Slowakei selbst Heimatvertriebene und / oder Flüchtlinge ), zeigen die Namen Lendl / Lengyel ( Internierungslager für Deutsche ) und György Bodor ( der die Ansiedlung der Sekler koordinierte ).
Dennoch verblieb in einigen Ortschaften des Talbodens wie Kleindorog / Kisdorog , Lendl / Lengyel und Tewel / Tevel eine bedeutende deutsche Bevölkerung , so dass es Anfang der 1950er Jahre noch Ortschaften mit deutscher Bevölkerungsmehrheit gab - alles natürlich ein Ergebnis von Zahlenspielen auf Grundlage der Ergebnisse der letzten Volkszählung von 1941 und der Zahl der Geflüchteten und Vertriebenen , denn die Volkszählungsergebnisse von 1949 konnten kein realistisches Bild liefern . Der Rückgang bis 1980 war enorm ( zu diesem Zeitpunkt sprach man von „ einer Bevölkerung mit deutschen kulturellen Ansprüchen ”): in Kleindorog fast 50 % ( von 776 auf 362 Personen ), in Lendl 13 % ( von 237 auf 206 Personen und in Tewel 49 % ( von 577 auf 295 Personen ). Als Vergleichsort wird die Branauer Gemeinde Ofalla / Ófalu genannt , die von der Vertreibung verschont blieb : Hier blieb der Anteil der Deutschen bei über 80 % ( bis heute ), jedoch verlor das Dorf - lange ohne feste Anbindung an das Straßennetz - zwischenzeitlich einen Großteil seiner Bewohner .
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In den drei oben genannten Dörfern sank der Anteil der Bewohner mit „ deutschen kulturellen Bindungen ” bis 2001 auf 10-15 % ( Kleindorog : 16 %, Lendl : 9,9 % und Tewel : 10,1 %). In den restlichen untersuchten Gemeinden ( Warasch / Bonyhádvarasd , Sawed / Závod , Mutschwa / Mucsfa , Jerewe / Györe , Kleinwecken / Kisvejke ) lag der Anteil dieses Peronenkreises deutlich unter 10 % ( zwischen 0,9 und 7,3 %). Die Volkszählung von 2011 bestätigte in etwa diese Zahlen ( mit einer Zunahme ): Kleindorog mit 21,5 %, Lendl mit 14,5 % und Tewel mit 10,6 %. Interessanter gestalteten sich die Zahlen in verloren geglaubten Ortschaften : In Warasch ein Anstieg auf 17,4 %, in Sawed auf 19,8 %, in Kleinwecken auf 30,9 % und in Jerewe auf 2,4 %. In Mutschwa gab es hingegen einen Rückgang von 6,1 auf 2,7 % innerhalb von zehn Jahren .
Die Zahlen zeigen große Schwankungen – und dies ist nicht nur auf mögiche Migrationsbewegungen in der Zwischenzeit oder die Problematik externer Rahmenbedingungen zurückzuführen . Eine ebenso wichtige Rolle dürfte der hohe Anteil von Mischehen spielen : In manchen Orten wurden nach Angaben von Zoltán Szőts bereits 1948 binationale Ehen geschlossen , in anderen Orten ( wie in der geschlossenen Dorfgemeinschaft von Ohfala ) erst Mitte der 1960er Jahre . Aus dem Studium von slowakeimadjarischen Monografien mit soziologischem Schwerpunkt weiß ich , dass Kinder , die in Mischehen aufwachsen , eher die Nationalität des Elternteils annehmen , der der Mehrheitsbevölkerung angehört ( von der sprachlichen Assimilierung ganz zu schweigen ). So bedeutet heute Deutsche ( r ) in Ungarn zu sein eine ethnisch-kulturell und sprachlich vielfach gemischte Herkunftsgeschichte , was uns vor Herausforderungen stellt – aber dies ist ein Faktum , mit dem wir umgehen müssen . Es werden vielfach Stimmen laut , die eine eindeutige Festlegung fordern : Deutscher oder Madjare / Sekler . Eine schwierige und ganz private Entscheidung ! Selbst die Zahlen sprechen dabei keine eindeutige Sprache – ein Auf und Ab ohne feste Identitätsmuster .
Welche Rolle käme dabei der ungarndeutschen Öffentlichkeit und ihren Führungspersönlichkeiten zu , im Falle einer so fragmentierten ungarndeutschen Gemeinschaft mit unterschiedlichen Identitätsmustern zu ? Allen voran sollte man diesen Menschen das Gefühl geben , dass sie genauso dazugehören wie Menschen , die nur deutsche Vorfahren aufweisen und das Glück oder Schicksal hatten , die deutsche Muttersprache bewahren zu können . Aber genauso sollte man Erwartungen formulieren : Selbst jemand mittleren Alters sollte in der Lage sein , seine Komfortzone zu verlassen und die verlorene Großmuttersprache zu erwerben und diese dann aktiv einzusetzen - gewissermaßen als Multiplikator , der anderen als Vorbild dienen kann . Dies soll nicht zwangsläufig die Aufgabe des Bekenntnisses zum andersnationalen Erbe bedeuten ( zumal dies eine illusorische Erwartungshaltung wäre ), dafür gibt es zuhauf Beispiele außerhalb der Landesgrenzen von Ungarn : Menschen aus ethnisch-sprachlich-kulturell gemischten Familien , die sich für die Belange der jeweiligen deutschen Minderheit einsetzen . Eine Bringschuld haben auch der ungarische Staat und die ungarndeutschen Repräsentanten , denn wir sind noch weit entfernt vom Ausbau der kulturellen Autonomie . Genauso wichtig wäre die gezielte Wirtschaftsförderung der ländlichen Regionen – eine Erkenntnis , die man auch in der Slowakei mehrfach zur Sprache gebracht hat .
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