Sonntagsblatt 3/2020 | Page 29

militärische Objekte zu stolpern . Die ungarische Stasi befürchtete zudem , so die Ergebnisse der Forschungsarbeit von Slachta , dass sich unter ihnen BND-Agenten befinden könnten . Zudem sahen die Geheimdienstler – wie oben geschildert – auch in der vermeintlichen Verbreitung westlichen Lebensstils eine ernstzunehmende Gefahr . Die Reisetätigkeit setzte in den 1950er Jahren ein : Es gab regelrechte Reisedienste , betrieben von Heimatvertriebenen , die diese Fahrten anboten . Anfangs durften nur ältere Ungarndeutsche in die BRD fahren , die dann mit vielen Paketen heimkehrten , was auch die Stasi aufmerksam beobachtete .
Akribisch wurden Akten über ehemalige Waffen-SS- und Volksbund-Mitglieder angelegt und Informationen über deren Verwandtschaft und Auslandsbeziehungen eingeholt . Besonders interessiert waren die Dienste am Verhalten dieses Personenkreises bei der Revolution von 1956 . Es entstanden infolge der Geheimdienstarbeit Berichte über die vermeintlich feindliche Gesinnung der Ungarndeutschen und Berichte über die Kreise der Heimatvertriebenen mit ihren vermeintlichen Versuchen Presseerzeugnisse einzuschmuggeln , die als westliche Propaganda abgestempelt waren . Ungarndeutsche , die in die BRD reisten ( und einen entsprechenden Visaantrag stellten ), wurden oft einbestellt ; zu groß war die Angst vor einer Infiltrierung durch den Bundesnachrichtendienst .
Der Versuch ein Netz an Informellen Mitarbeitern auszubauen misslang : In den Sechzigern verfügte die Staatssicherheit im ganzen Land lediglich über 40 ungarndeutsche oder mit Ungarndeutschen in Kontakt stehende IM , von denen nur 20 Personen aktiv waren . Diese reisten sogar in die BRD , um Informationen zu besorgen , die aber wenig Substanzielles enthielten . Auch Organisationen der Heimatvertriebenen wurden kontrolliert genau wie die Partnerschaftsbeziehungen zwischen deutschen und ungarischen Gemeinden : Hier behandelt die Monografie die „ patenschaftlichen ” Beziehungen zwischen Gerlingen und Bogdan / Dunabogdány . Denn man ging davon aus , dass diese Kontakte eine identitätsstiftende und -erhaltende Funktion für die Heimatverbliebenen hatten , unter anderem dank der Möglichkeit des Gebrauchs der eigenen Muttersprache . Kommunen im Land Baden-Württemberg spielten bei den „ Patenschaften ” eine entscheidende Rolle , was aber kein Zufall ist , da etwa die Hälfte der 197.000 in die BRD ( bzw . die drei Westzonen ) heimatvertriebenen Ungarndeutschen im Ländle eine neue Heimat gefunden hat ( insbesondere nach dem Bau eigener Heime dank der Zahlungen aufgrund des Lastenausgleichs ).
Die Überwachung erstreckte sich auch auf den Briefwechsel zwischen Heimatvertriebenen und -verbliebenen . Dies führte Mitte der Sechziger zu mehreren Spionageprozessen , von denen die Autorin drei aus dem Komitat Pest detailliert beschreibt . Alle drei ähneln sich in Ablauf , Vorwürfen , Urteilsbegründung und Strafmaß . Daher drängt sich der Eindruck auf , es handele sich um konzeptionelle Verfahren , um die Ungarndeutschen kollektiv zu verurteilen . Interessant in diesem Zusammenhang ist der Umstand , dass selbst die Ermittler von einem hohen Maß an Unzufriedenheit mit der eigenen persönlichen ( wirtschaftlichen ) Lebenslage seitens der Beschuldigten sprechen , also jenseits von jeglicher Ideologie , was ja für eine bewusste Spionage doch essentiell gewesen wäre .
Die bescheidene Ernte und die Normalisierung der ungarisch-westdeutschen Beziehungen führten Anfang der 1970er Jahre zum Einstellen der Beobachtung der Verwandtschaftsbesucher .
SoNNTAGSBLATT
Die Monografie bereitet eine interessante Facette der Stasi-Tätigkeit auf und stellt somit einen wertvollen Beitrag zum besseren Verständnis der ungarndeutschen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg in ihrer historischen , gesellschaftspsychologischen und institutionell-staatstheoretischen Perspektive dar .
______________________________________________ * Krisztina Slachta : „ Rokonlátogatók ”. A magyarországi németek kapcsolatainak állambiztonsági ellenőrzése – egy ellenségkép története . - Fünfkirchen / Budapest 2020
Sonntagsblatt und Wissenschaft
Sprich mit mir ! Prinzipien des Zweitspracherwerbs
Von Judit Klein
Nachdem Kinder die magische Grenze von in etwa 50 Wörtern überschritten haben , sind sie in der Lage , Sätze bilden zu können - zuerst natürlich kurze , die aus einem Wort bestehen , doch die Bedeutung von einem ganzen Satz in sich tragen und so erweitern sich die Sätze in Länge und Komplexität schrittweise .
Zu Beginn des Erwerbs einer Sprache ist das Verstehen wichtig , denn damit fängt der Prozess an , unabhängig davon , um die wievielte Sprache es geht . Später ist es aber wichtig , dass das Kind in eine Situation kommt , in der es in einem Diskurs die Sprache auch gebrauchen kann . Ohne diesen Diskurs können sich die produktiven Fertigkeiten nicht entwickeln und bleiben auf einem Niveau stehen .
Die Kinder bekommen wie im Mutterspracherwerb Inputsätze in einer eindeutigen Situation , wo eine Handlung usw . mit einem Text begleitet wird , aus dem die Kinder die Bedeutung der einzelnen Wörter eindeutig erraten können . Sucht man nach erfolgreichen Methoden im Zweitspracherwerb , dann sind diejenigen erfolgreich , die das ganze Sprachsystem fördern . Die Quantität und Qualität des sprachlichen Inputs spielen eine wesentliche Rolle . Klavier spielen kann man auch nur erlernen , wenn man tatsächlich auf dem Instrument übt , genauso geht es mit dem Autofahren und eben auch mit Sprachen , also „ learning by doing ”: Man sollte nicht nur hören , sondern auch sprechen . So lange Kinder nicht als Adressaten erscheinen , können keine Konversation und keine Interaktion entstehen . Ohne Interaktion ist kein wirkliches Sprachenlernen möglich . Die Kinder sollten häufig individuell angesprochen werden : in kurzen , grammatisch korrekten Sätzen . Kinder brauchen den Kontakt zu Erwachsenen und zu deren Sprache , die den spezifischen Bedürfnissen der Kinder angepasst wird . Alles was mit Mimik und Gestik zu tun hat und zur Sprachverständigung beiträgt , ist auch im Zweitspracherwerb unerlässlich . Sie sind nämlich Vorläufer der Sprache . Kinder organisieren die Sprache – wie schon erwähnt – für sich selbst , sie müssen sie ausprobieren und sprechen . Nach dem Input und der Interaktion kommt ein Output vom Kind . In diesem Sinne bedeutet Input das Hörverstehen , die Interaktion eine Art Klarstellung der Bedeutung von Wörtern und Ausdrücken und das Output das Sprechen , das Aussprechen der Inhalte , das Bemerken , das Einüben und das Konstruieren der Wörter und Ausdrücke .
Die Kinder erwerben die Sprache ohne Erklärungen und ohne Übersetzungen aus den durch den Kontext entstehenden Bedeutungen . Dieser Vorgang kann mit verschiedenen Hilfsmitteln wie Bildern , Realien oder Tätigkeiten unterstützt werden . Die Sprache ist in den alltäglichen Tätigkeiten integriert ( Essen , Spielen , Spaziergang usw .). Der kompetente Erwachsene schafft einen

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( Fortsetzung auf Seite 30 )
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