Sonntagsblatt 3/2020 | Page 22

auch im wahrsten Sinne des Wortes .
Bei dem sonntäglichen , kirchlichen Hochamt ( Messe ) saßen die Schulkinder rechts und links – getrennt nach Jungen und Mädchen – in den vorderen Bankreihen . Vorn am Altar , in der seitlichen Bankreihe , residierte der Lehrer , von dort aus überwachte er mit scharfem Blick die Disziplin der Schüler . Für Verfehlungen jeglicher Art kam dann Montagfrüh in der Schule die für nötig erachtete Abrechnung . Da noch die eindeutige Prügelstrafe vorherrschte , gab es je nach der Schwere der Vorkommnisse Schläge mit dem Stock in die hohle Hand , auf die Fingerspitzen ( körmös ) oder gar , über die Schulbank gezogen , auf den Hintern . Ähnliche Strafaktionen konnten auch passieren , wenn ein Schüler außerhalb der Schule bei „ Verfehlungen “ erwischt wurde , u . a . beim Aufenthalt im Wirtshaus , beim Rauchen , beim Feuermachen an Weidenbüschen , bei Beschwerden aller Art von Erwachsenen und besonders vom Pfarrer u . v . m . Da bis zur 7 ., dann 8 . Klasse Schulpflicht bestand , waren die Kinder und Jugendlichen unter einer straffen Ordnungsmacht ohnegleichen .
Der Schulunterricht vollzog sich in einem großen Klassenraum mit sämtlichen Schülern / -innen ; vorn die jüngeren bis 4 . Klasse , hinten die älteren . Der Lehrer wechselte , kontinuierlich Aufgaben verteilend , hin und her . Ordnung , Aufmerksamkeit und Lerneifer wurden mit einem langen Rohrstock „ dirigiert “.
An diese Abläufe kann ich mich noch ganz gut erinnern , weil ich Ende des 2 . Weltkriegs eingeschult wurde . Auch in den weiteren Schuljahren gab es noch Prügel - übrigens von einer strengen Lehrerin . Der Unterschied war jetzt , dass wir so überflutet wurden von der ungarischen Nationalgeschichte , dass ich sie bis heute nicht vergessen habe , aber uns auch das strenge Verbot aufgelegt wurde , kein Wort Deutsch in der Schule und auf der Straße zu sprechen .
Zu Hause sprachen wir wieder unseren bayerischen-österreichischen Dialekt , der am ähnlichsten der Mundart zwischen dem bayerischen Grenzfluss Inn und dem österreichischen Fluss Enns ist . Das ist das Resümee der Dissertation des Isszimmerers Martin Haas ( magyarisiert Hajnal ) von 1904 mit dem Titel „ Die Isztimärer deutsche Mundart “. Diese Dissertation blieb leider unvollendet , weil der Doktorand schon mit 23 Jahren verstarb .
Zur Auflockerung und zum besseren Verständnis hier ein Dialog zwischen zwei tratschenden Isszimmererinnen : „ Tu , Lizi ( Elisabeth ) hoast scha sowas khead ( gehört )? Na , was isten scha wim ( wieder )? Hiats nimt te Nani ( Anna ) toch ned ten Moatsl ( Mathias ). Abere so was , ta had me scha khed , tas ales kwis ( gewiß ) is , se hamen ja toch scha ksehn ( gesehen ) mid ia hamke ( ihr heimgehen ).” ( Diese Texte und auch andere Informationen habe ich vom Cousin meines Vaters mütterlicherseits , Studienprofessor Dr . Martin Werger ( 1908 – 1988 ), den es als Professor des Lyzeums für Deutschlehrerbildung Budapest durch die Kriegswirren in den westlichen Teil Deutschlands verschlug , wo er letztendlich als Gymnasialprofessor 1970 am Bernhard-Strigel-Gymnasium Memmingen in den Ruhestand ging .)
Während ich schon den reinen ungarischen Schulablauf erlebte , war der Unterricht meiner Eltern dank der Bemühungen von Persönlichkeiten wie Jakob Bleyer noch zweisprachig ( sogenannter Typ B ). Dabei wurden Religion und Sittenlehre komplett in deutscher Sprache , aber Schreiben , Lesen und Rechnen zweisprachig von ebenfalls zweisprachigen Lehrkräften unterrichtet . Das Ergebnis war aber so miserabel , dass es mit den geflügelten Worten unter der Erwachsenen : „ Kann net Ungrisc , kann net Deutsch !“ treffend charakterisiert wurde . Keinesfalls konnten sich unsere Eltern in der deutschen Schriftsprache ausdrücken , sondern sie schrieben in ihrem Dialekt nach Gehör , was mich noch heute erfreut , wenn ich alte Briefe meiner Eltern oder Verwandten nachlese . Ungarisch in Wort und Schrift beherrschten
22 nur diejenigen , die in den Städten über das Gymnasium ihren gesellschaftlichen Aufstieg suchten .
Ja , auch suchen mussten , denn der erstgeborene Sohn bekam später den Bauernhof , die anderen konnten sich darin als Knecht verdingen , in eine andere Bauernwirtschaft einheiraten oder sie bestritten die akademische Laufbahn . Als Beispiel führe ich hier die 14 (!) Kinder meines Vaters Onkel und Bürgermeisters ( s . o .) Martin Angeli ( 1883-1971 ) an .
Von denen wurden zwei Pfarrer ( Martin und Andreas , die im Bistum Weißenburg nach dem Zweiten Weltkrieg noch lange gedient haben , Martin unter anderem in Ujfluch , Weindorf und Schaumar , Andreas unter anderem in Wiehall und Sankt Iwan bei Ofen , Red .), eine Tochter Lehrerin , einer Professor an der Landwirtschaftlichen Universität Budapest und als sogenannter „ Paprika-Professor ” sehr berühmt ( so dass sogar eine Straße am Institut in Budapest-Teting / Budatétény nach ihm benannt wurde , Lambert Angeli , 1916-1971 ).
Weil wir gerade bei den Angeli-Straßennamen sind , auch in Werischwar / Pilisvörösvár bei Budapest gibt es eine Angeli köz ( Angeli-Kosn / Gasse ), in der sogar heute noch eine verwandte Familie Angeli wohnt . Benannt wurde die Gasse auch nach einem Isszimmerer , einem Onkel meines Großvaters Stefan Angeli ( s . o .). Dieser war Martin Angeli ( 1860-1924 ) und als Pfarrer in Werischwar so beliebt , dass noch heute die ehemalige Kirchgasse seinen Namen trägt und eine Büste auf einem Sockel im Kirchhof steht .
Aber weiter in der schulischen Ausbildung , speziell unserer Väter ! Ab der 6 . Klasse begann die obligatorische vormilitärische Ausbildung aller Jungen . Jeder Sonntag von 7 bis 9 Uhr - vom Lehrer kommandiert – wurde gedrillt ( mit Holzgewehren !). Anschließend ging es geschlossen zur Messe in die Kirche , ob man wollte oder nicht . Kirchgangverweigerung war ein gesellschaftlicher Affront und wurde einer kommunistischen Gesinnung gleichgesetzt .
Überhaupt war es ein ungeschriebenes Gesetz , dass am Sonntag die komplette Familie zur Kirche ging - die Männer anschließend ins benachbarte Wirtshaus , die Frauen nach Hause in die Küche zum Mittagessen fertigkochen . Kein Bauer hätte es gewagt , sonntags mit seinem Gespann aufs Feld zu fahren . Der Sonntag war heilig !
Die obengenannte vormilitärische Ausbildung , später donnerstags durch einen Offizier der ungarischen Armee , konnte bis zum aktiven Wehrdienst dauern . Ideologisches Hauptmotto war : Die Schande von Trianon darf sich nicht wiederholen und Ungarn 2 / 3 seines Territoriums verlieren ! ( Das erinnert sehr an Hitlers Schmähungen gegen den Versailler Vertrag .)
Vielleicht klingen meine letzten Ausführungen über die Isszimmerer dörflichen Strukturen sehr nach überzogenen Reglementierungen oder sogar – modern beurteilt – nach Freiheitseinschränkung des Einzelnen . Aber die Isszimmerer wussten damit umzugehen und ihre zahlreichen historisch gewachsenen Feierlichkeiten und ihre traditionellen Gewohnheiten ausführlich zu genießen .
Faschingszeit war Hochstimmungszeit . Es wurde nach alter deutscher Tradition drei Tage von Jung und Alt gefeiert . Da wurde in allen drei Wirtshäusern oft drei Tage bei Tanz mit Blasmusik und viel Wein praktisch durchgefeiert . Heim ging es nur zum Viehfüttern und zum Essen .
Nach dem 1 . Weltkrieg wollte man den Fasching auf den Sonntag begrenzen , was die sinnesfreudigen Dörfler durch die Einführung der sogenannten „ Lumpentage ” am Montag und Dienstag bis Aschermittwoch listig umgingen . Am ersten Augustwochenende war Kirchweihfest ( St . Anna ). Obwohl unpassend mitten in
SoNNTAGSBLATT